Читать книгу Die 50 bekanntesten archäologischen Stätten Deutschlands - Wolfram Letzner - Страница 19
Оглавление„Ihre Dörfer legten sie nicht in unserer Art so an, dass die Häuser eng nebeneinander stehen und eine Straße bilden: jeder umgibt seinen Hof mit einem freien Raum [. . .] Nicht einmal Bruch- oder Backsteine sind bei ihnen in Gebrauch; sie verwenden zu allem [. . .] roh behauenes Bauholz. Manche Stellen <an den Außenfronten ihrer Häuser> überstreichen sie freilich mit einer gewissen Sorgfalt mit einer so weißglänzenden Erdmasse, dass sie den Eindruck von Bemalung erweckt. Sie sind auch gewohnt, unterirdische Höhlen auszuheben, über die sie eine starke Dungschicht legen; das ist dann eine Zufluchtsstätte für den Winter und ein Getreidespeicher; [. . .]. (Tacitus, Germania 16)
[13] Westgreußen – Die „Funkenburg“ eine germanische Siedlung
Thüringen
Wer heute die „Funkenburg“ in Westgreußen besucht, wird in mancherlei Hinsicht die Ausführungen des römischen Geschichtsschreibers P. Cornelius Tacitus (ca. 55 – ca. 117/120 n. Chr.) nachvollziehen können, weil er noch heute Dinge sehen kann, die der römische Gelehrte bereits erwähnte. Aber an anderer Stelle wird er auch überrascht sein von der Größe der Anlage, die so gar nicht mit den Vorstellungen des Tacitus in Einklang zu bringen ist.
Als vor mehr als 40 Jahren der damalige Bodendenkmalpfleger U. Müller auf einem Bergsporn unweit von Westgreußen immer wieder Begehungen durchführte, konnte er nicht ahnen, was daraus entstehen sollte. Seine Lesefunde, die er an das Museum in Weimar weiterleitete, veranlassten das dortige Museum, auf dem Bergsporn Ausgrabungen durchzuführen. Daraus entwickelte sich eine Großgrabung, die von 1974 bis 1980 dauern sollte. Erstaunliches kam dabei ans Tageslicht: Man konnte nämlich ein komplette germanische Siedlung ausgraben, die vom 3. bis zum Ende des 1. Jhs. v. Chr. bewohnt war und dann ganz offensichtlich verlassen wurde, wie die vielen Funde belegen konnten.
Insgesamt wurden während der Grabung 40.000 m² – das entspricht der Fläche von etwa fünf Fußballfeldern – untersucht. Dabei kamen zwei Abschnittswälle im Nordwesten zum Vorschein, die jeweils von einem 4 m tiefen Graben begleitet wurden. Aufgrund dieser beiden Befestigungen entschied man sich dazu, von einer „Vorburg“ und einer „Hauptburg“ zu sprechen. Der Aushub diente zur Aufschüttung eines ebenfalls 4 m hohen Walls. (Abb. 13) Zu den steil abfallenden Seiten des Sporns fanden sich wohl nur Palisaden. Bei der Suche nach einem Tor im äußeren Wall wurden die Archäologen nicht fündig, doch ein entsprechender Zugang zur Siedlung muss hier bestanden haben. Im inneren Wall hingegen wurden zwei sehr unterschiedliche Tore gefunden: ein aufwendiges Kammertor mit Einbauten und ein ganz einfaches Tor. Außerdem war dieser Wall durch einen zusätzlichen Turm gesichert.
Abb. 13 Westgreußen „Funkenburg“. A Kasse/Shop/Verwaltung; B Toiletten; C Experimentierfeld; 1 Tore; 2 Torturm; 3 Turm; 4 Langhaus; 5 Grubenhäuser; 6 Grubenhütte mit Grassodendach; 7 Speicher; 8 Grubenspeicher; 9 Backöfen; 10 Wildkräuter; 11 Getreide und Feldfrüchte.
Insgesamt fanden die Ausgräber über 50 Gebäude. Dabei wurden in der „Vorburg“ eine Reihe kleinerer Gebäude beobachtet. Diese waren entweder ebenerdig oder in den Boden eingetieft. Ein ganz anderes Bild zeigte hingegen die Innenbebauung der „Hauptburg“: Hier konnten ein großes Pfostenhaus (8 x 13 m), zahlreiche ebenerdige Speicherbauten (3 x 4 m) und Grubenhäuser ausgegraben werden. Außerdem entdeckte man rund 600 Gruben, die unterschiedliche Zwecke erfüllten. Dabei gab es solche, die in der Mitte einen Pfosten besaßen, der auf eine Überdachung schließen ließ. Sie wurden daher als Speichergruben interpretiert, die den von Tacitus beschriebenen entsprechen. Dazu kamen noch kleinere Funde unterschiedlicher Art.
Das große Pfostenhaus ließ natürlich die Frage nach der Nutzung offen, da es schon aufgrund seiner Größe ein Alleinstellungsmerkmal besaß. Weil man in der Nähe Spuren von Tier- und Menschenopfern fand, schlossen die Ausgräber schnell auf eine kultische Verwendung. Diese Deutung mag aus den Zeitumständen heraus opportun gewesen sein. Eine nicht minder plausible, damals aber vielleicht nicht politisch korrekte Interpretation könnte sein, hier den Sitz eines „Stammesfürsten“ zu sehen.
Ein großer, unbebauter Platz im Zentrum der „Hauptburg“, den man bei Ausgrabung nachweisen konnte, könnte dann vielleicht auch mit kultischen Handlungen verbunden gewesen sein, wäre aber auch durchaus als Versammlungsplatz zu deuten.
Als die Archäologen im Jahr 1980 abrückten, war von den Ausgrabungen nicht mehr viel zu sehen. Nur der Wall zwischen Vor- und Hauptburg, den man mit der Grabenverfüllung wieder aufgebaut hatte, zeugte von deren Tätigkeiten. Diese unbefriedigende Situation führte dazu, dass schon 1984 die Ortsgruppe des Kulturbundes, einer dem Staat nahestehenden Organisation, damit begann, erste Rekonstruktionen vorzunehmen.
Nach dem Ende der ehemaligen DDR entstand der Verein „Funkenburg e. V.“, der in den folgenden Jahren die Chance nutzte, umfassende Rekonstruktionen an Ort und Stelle durchzuführen und so die Grabungsergebnisse durch Rekonstruktionen bis 1999 zu visualisieren. Es entstand ein eindrucksvolles Freilichtmuseum, bei dem das Wallsystem mit den Toren, das große Pfostenhaus sowie eine Reihe von kleineren Gebäuden die Möglichkeit bieten, Geschichte hautnah zu erleben.
www.funkenburg-westgreussen.de
Literatur
S. Barthel, Rekonstruktion einer germanischen Burganlage in Westgreußen, Lkr. Sondershausen, Ausgrabungen und Funde 39, 1994, 238–246; S. Barthel, D8 Westgreußen, in: J. Herrmann (Hrsg.), Archäologie in der Deutschen Demokratischen Republik (1989) 504 f.