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Das menschliche Maß (Protagoras)

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Protagoras (ca. 490–411 v. Chr.), der letzte des hier vorgestellten Trios früher griechischer Philosophen, war bereits ein Zeitgenosse dessen, der uns heute als Inbegriff des Philosophen schlechthin gilt: Sokrates. Im Gegensatz zu Sokrates jedoch, dessen Lebensdaten man recht genau kennt, wissen wir von Protagoras einmal mehr nur ungefähr, wann er gelebt hat. Mit Protagoras rücken wir endlich zudem näher an den zentralen Ort der griechischen Philosophie: Athen. Geboren in Abdera, ganz im Nordosten des heutigen Griechenlands, soll er einen großen Teil seines Lebens in Athen verbracht haben.

Protagoras folgt zunächst Annahmen, die bereits Xenophanes entwickelt hat. Dann geht er jedoch ein wesentliches Stück weiter. Für Protagoras ist nämlich der Mensch das »Maß aller Dinge«.10 Was meint das? Auf einen ersten Blick könnte man meinen, Protagoras plädiert für eine entschieden anthropozentrische Weltsicht im Sinne dessen, dass eben wir im Mittelpunkt der Welt stünden und dass das von uns angelegte Maß somit für alles und jedes gültig sei, also ganz anders als das eher krude wirkende »Macht euch die Erde untertan!« der biblischen Schöpfungsgeschichte.

Aber ganz so einfach ist es bei Protagoras nicht. Weitere überlieferte Fragmente seines Denkens klären hierzu weiter auf. Er erweist sich hierbei nämlich als ein entschieden reflexiver Denker, was sich insbesondere in seinem Verständnis wiederum von der Idee der Wahrheit offenbart. Versuchte Xenophanes noch, »Wahrheit« auf bloße »Annahme« zu reduzieren, argumentiert Protagoras durchaus moderner, dass »Wahrheit Relationalität« sei. Damit aber entwickelt er eine bereits dezidiert systemische Perspektive: Die Vorstellung einer Wahrheit steht bei ihm in Relation zu einem Beobachter. Als Grund für diese Position führt Protagoras genau dies auch an: »[…] weil jedes Erscheinende oder Vermeinte auf jenen hin (dem es erscheint oder deucht) vorliege.«11

Das »menschliche Maß aller Dinge« beinhaltet bei Protagoras damit eben nicht die Vorstellung eines primär menschfokussierten Weltbildes, sondern betont die Relativität einer Aussage zu ihrem Sprecher. Damit wird dies alles eher zu einem Akt konstruktiver Verzweiflung anstelle dogmatischer Weltsicht: Uns bleibt schlichtweg nichts anderes übrig, als uns zum Maß aller Dinge zu nehmen. Aber damit haben wir am Ende gar nicht so viel gewonnen – außer eben der Erfahrung der Relationalität vom Menschen und seiner Um-Welt.

Bei Protagoras kommen damit jedenfalls – vielleicht zum ersten Mal in der griechisch-alteuropäischen Geistesgeschichte – elaboriertere konstruktivistische und relativistisch-systemische Denkweisen zusammen. Wahrheit ist relativ zum Beobachtenden und in dieser Weise nicht absolut. Das menschliche Maß aller Dinge steht somit für das Eingeständnis dessen, dass wir über die Grenzen unserer Reflexivität und Relativität nur schwer hinauszugelangen vermögen. Ob daraus ebenjene Beliebigkeit folgt, die all die befürchten, die um einen festen Wahrheitsbegriff bemüht sind? Das mag sich zeigen.

Eine kurze Geschichte des systemischen Denkens

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