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Vom Erkennen (Xenophanes)

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Es ist nicht viel, was wir von dem Denken der frühen antiken Philosophen wissen. Nur weniges wurde schriftlich festgehalten und hat die Zeiten überdauert. Etliche antike Texte sind verloren gegangen oder dringen allenfalls vermittelt durch andere zu uns, die ungleich später davon berichteten. Wir haben somit oftmals kaum mehr eine Chance, zu einer wirklich zuverlässigen Einschätzung einzelner antiker Denker vorzudringen. Wohl aber regt einiges zumindest zum Nachdenken an, und dies mag durchaus einen guten Einstieg darstellen.

Ein langes Leben ist offenbar nicht ausschließlich ein Ergebnis moderner Medizin. Der antike Philosoph Xenophanes soll steinalt geworden sein. Etwa 95 Jahre scheint er gelebt zu haben (ca. 570–475 v. Chr.). Geboren in Kolophon, an der Westküste der heutigen Türkei gelegen, soll er aus seiner Heimatstadt vertrieben worden sein und hat danach an verschiedenen Orten gelebt.

Xenophanes eröffnet eine Weise des Denkens, die wir heute zumindest einer Vorform des Konstruktivismus zuordnen würden. Denn er äußert sich reichlich skeptisch in Bezug auf unser Erkenntnisvermögen:

»Klares hat freilich kein Mensch gesehen, und es wird auch keinen geben, der es gesehen hat […]. Bei allen Dingen gibt es nur Annahme.« 4

Schon so früh werden also schon Zweifel geäußert an der Sicherheit unserer Sinneswahrnehmungen bzw. an dem, was unsere Erfahrungswelt angeht. Vermutlich würde ein moderner Konstruktivist einen Satz wie diesen gerne unterschreiben. Mit dieser Skepsis, was »Klares« anbelangt, und der Betonung dessen, dass wir nur von Annahmen ausgehen können, dürfte offensichtlich sein, dass es so etwas wie Wahrheit für Xenophanes demnach gar nicht erst geben kann, zumindest nicht, was unsere Erfahrungswelt anbelangt. Wer weiß, vielleicht war er es sogar, der das jahrtausendealte philosophische Ringen um das kleine, feine Wörtchen »Wahrheit« mit diesen knappen Worten eingeleitet hat? Jedenfalls eröffnet er einen Diskurs, der bis heute nachhallt.

Nun mag man sich vielleicht zunächst noch damit trösten, so strikt habe er dies doch gar nicht gemeint. Doch sehr deutlich ist eine weitere, in ihrem Kern sogar noch weiter gehende Feststellung, die Xenophanes in diesem Zusammenhang bezüglich unseres Urteilsvermögens macht:

»Denn sogar wenn es einem in außerordentlichem Maße gelungen wäre, Vollkommenes zu sagen, würde er [der Mensch] sich dessen trotzdem nicht bewusst sein.«5

Wir können somit zwar das Richtige sagen, aber nie so weit kommen, dies beweisen zu können. Es bleibt immer nur Annahme. Damit erweist sich Xenophanes als konsequent in seiner Skepsis. Am Ende mögen wir recht haben, wir werden es aber niemals wirklich wissen können. Wir können gar nicht genau wissen, was wir wirklich wissen.

Es mag anhand dieser winzigen Textschnipsel (und sehr viel mehr wissen wir leider nicht von Xenophanes) zwar zu weitgehend zu sein, Xenophanes als einen oder gar als den frühesten Konstruktivisten anzuerkennen. Zudem könnte man natürlich sagen, die alten Griechen haben es nun einmal einfach nicht besser gewusst. Doch Xenophanes formuliert Annahmen, welche immer wieder aufgegriffen, neu formuliert und diskutiert werden: so etwa rund 100 Jahre später bei Sokrates oder über 2000 Jahre später bei Immanuel Kant – und schließlich bis heute.

Unsere Spurensuche nach systemischen Ideen beginnt somit gar nicht mit einer klassisch »systemischen« Einsicht, sondern mit einem Vorbehalt bezüglich unseres Erkenntnisvermögens. Um dies kurz anhand des vorigen Beispiels mit dem Stuhl auszuführen: Wir können uns niemals wirklich sicher sein, dass der Stuhl, auf dem wir gestern gesessen haben, uns heute noch trägt. Es bleibt uns jedoch wohl trotzdem nichts anderes übrig, als daran zu glauben und insbesondere darauf zu vertrauen, wollen wir uns nicht völlig dem Zweifel und der Verzweiflung ausliefern. Es wird im weiteren Verlauf noch deutlicher werden, wie sehr sich systemische und konstruktivistische Annahmen miteinander verzahnen.

Eine kurze Geschichte des systemischen Denkens

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