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Lebst du oder er-lebst du?

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Was unternimmst du, wenn es dir schlecht mit dir selbst geht? Denkst du darüber nach, wie es dir geht? Fragst du dich: Wie geht es mir? Und beantwortest du dir diese Frage auch? Wie geht es dir seelisch, körperlich, am Arbeitsplatz, in deiner Beziehung, mit deinen Kindern, mit deinen »Freunden« (überlege dir, wer deine Freunde sind!). Bleiben wir beim Körperlichen. Wie geht es mir physisch? Und noch einmal, und nicht, weil es mir so gut gefällt, sondern weil diese Frage, diese wichtige, alles überlappende Frage und vor allem die Antwort darauf, möglicherweise entscheidend dafür ist, ob du dein Leben lebst, ob du dahinlebst oder gar vegetierst oder ob du dein Leben er-lebst.

Überlege dir auch, in welchem Maße du dich manipulieren lässt: von deinem Lebenspartner, von deinen Kindern, von deinen Kollegen am Arbeitsplatz, von deinen Freunden. Ist es erträglich im Sinne der Akzeptanz? Meinen sie es gut mit dir oder verfolgen sie ausschließlich ihre eigenen Interessen? Wie reagieren sie, wenn du ihnen deine Meinung sagst? Lebst du dein Leben bewusst und siehst du jeden Tag als ein Gottesgeschenk, das dir zur Gestaltung überlassen wurde? Ja, das Leben ist ein Geschenk. Carpe diem. Wie behandle ich mich? Was esse ich? Was trinke ich? Und vor allem, wie viel? Wie oft bewege ich mich? Gehe ich ausreichend an die frische Luft? Mit wem verbringe ich meine kostbare Zeit? Mit welchen Menschen und Handlungsweisen verplempere ich möglicherweise meine kostbare, mit einem Ablaufdatum versehene Zeit? Ja, ich, du, wir alle haben (leider) ein Ablaufdatum.

Denkst du manchmal daran, dass alles endlich ist? Dass auch du endlich bist? Oder siehst du den Tod als Schrecken für andere? Warum Schrecken? Für andere? Nein, auch für dich, auch du wirst sterben. Wir alle sterben. Wir alle haben ein Ablaufdatum. Nur haben wir in unserem Kulturkreis ein Riesenproblem damit. Wir sehen den Tod als etwas Schreckliches, zumindest viele von uns. Warum gehen andere Völker mit diesem Thema viel offener, viel gelassener um? Ich erinnere mich genau an den Tod meiner Mutter vor zweieinhalb Jahren. Um unserer damals achtjährigen Tochter »etwas« zu ersparen, nahmen wir sie nicht mit zum Begräbnis nach Innsbruck. Das war ein Fehler. »Um dem Kind das zu ersparen.« Warum ersparen? Der Tod gehört zum Leben dazu. Vom ersten – bewussten – Atemzug als Neugeborenes bis zum letzten Atemzug. Das ist das irdische Leben.

Wer sich offen mit dem Thema Tod beschäftigt, der erleichtert sich selbst, aber auch den Menschen in seinem Umfeld, den Abschied. Das ist eine erwiesene Tatsache. Die deutsche Fernsehanstalt ARD gestaltete vor zwei Jahren eine Schwerpunkt-Themenwoche zum Thema Sterben. Da sah ich den Leipziger Psychologen und Psychotherapeuten Dr. Dirk Baumeier, der über das Thema Traurigsein sprach. Er meinte, dass Traurigsein eine normale Reaktion sei. »Traurig sein kann man aus verschiedenen Gründen: Weil man ein Spiel verloren hat oder wenn etwas nicht klappt, wie man es sich vorgestellt hat. Trauer hingegen ist eine gesteigerte Traurigkeit. Trauer bedeutet, dass ich innerlich leide und bestimmte Symptome zeige, die über einen längeren Zeitraum stabil sind. Wenn wir Verluste erleiden, dann haben wir das Gefühl, dass sich vieles verändert. Dieses Gefühl, dass Dinge in Fluss gekommen sind, dass vieles nicht mehr so sein wird, wie es einmal war, versetzt uns in Stress. Man fängt an, sich mit der neuen Situation, die sich aus dem Verlust ergeben hat, zu arrangieren, vieles durchzuspielen: Was wird wohl künftig kommen? Was wird anders werden im Leben? Kann ich überhaupt noch anknüpfen an das frühere Leben?«5

Der Tod gehört zum Leben dazu. Sehr viele Menschen wollen nicht hören, dass das Leben ganz sicher einmal sein Ende finden wird, und zwar das von geliebten Menschen und auch das eigene. Wer das Sterben negiert, der schneidet sich von einem Teil des Lebens ab. Die Angst vor dem Tod hemmt unsere Lebensfreude und auch unsere Lebensenergie. Mein lieber Freund W. ist verheiratet, tolle Frau, ein Sohn. Ein absolut sportlicher Mensch, raucht nicht, lebt nicht exzessiv, ist lebensfroh, unternehmungslustig, gebildet, wachsam. Eines Tages hatte er Magenschmerzen oder Darmbeschwerden. Plötzlich, so wie wir das alle kennen. Er ließ sich vernünftigerweise untersuchen, dann kam die Diagnose relativ schnell und schonungslos: Darmkrebs und Metastasen in der Leber. Na bumm. Ich kürze die Geschichte ab. Ich saß in der Onkologie an seinem Krankenbett. Und ich war traurig. Gedanken schwirrten mir durch den Kopf: Warum trifft es immer die Falschen? Es trifft ja meistens die Falschen … Und so saß ich da, war schlecht drauf, die Rührung, das Mitleid oder das Selbstmitleid übermannten mich und plötzlich rannen mir die Tränen herunter. Er blickte mich lange an, mit sehr lebendigen Augen. Er umarmte mich und sagte: »Was hast du? Was willst du? Ich habe mein ganzes Leben zufrieden und glücklich gelebt. Ich habe mein Leben gelebt, ich habe es er-lebt. Wenn es aus sein sollt, ja dann ist es aus.« Das verstand ich zuerst überhaupt nicht. Ich verspürte so etwas wie Zorn gegen ihn, gegen seinen vermeintlichen Egoismus. »Denkst du an deine Frau? An deinen Sohn? An deine Freunde? Nein, das tust du nicht. Du bist ein Egoist!« Er war sehr besonnen, wie meistens in unserer Freundschaft, und meinte: »Sei ein wenig gelassener. Auch jetzt. Schauen wir einmal.« Und dann meinte er: »Schon dieses gemeinsame Erlebnis jetzt, das war doch alles wert!?« Er drückte mich noch einmal und plötzlich verstand ich. Er-lebe dein Leben. Lebe es nicht nur. Vergeude nicht kostbare Stunden, Tage, Monate. Erlebe es. Übrigens:lebt. Recht gut sogar. Der Krebs und die Metastasen haben sich zurückgebildet, die Chemotherapie hat gut angesprochen. Er fühlt sich den Umständen entsprechend wohl. Er erlebt sein Leben.

Mich macht meine Hilflosigkeit in diesen wenigen Situationen, die ich erleben darf/muss, schwach. Daran werde ich noch arbeiten. Nutzen wir die Zeit, die uns zur Verfügung steht! Wir haben zwar gefühlt noch viel Lebenszeit, aber in der Realität? Sicher kennst du Mitmenschen, die immer wieder betonen, wie gut sie es sich gehen lassen werden, wenn sie endlich in Pension sind. »Da gönne ich mir dann viel«, »Da fahre ich dann nach XY«, »Da realisiere ich alle meine verdrängten und tatsächlichen Wünsche«, »Dann treffe ich endlich meine Freunde wieder« etc. In der Pension. Will ich dann meine »Freunde« wieder treffen? Nein. Ganz sicher nicht.

Oft hört man auch: »In der Pension, mit dem Ruhestand ändert sich alles.« Glauben das diejenigen, die das sagen, tatsächlich? Das Arbeiten ist schuld daran, dass wir uns gehen lassen? Dass wir unseren Wünschen, Bedürfnissen nicht nachkommen? Wenn wir nicht mehr arbeiten, dann schauen wir auf uns? Dann sind wir achtsam? Das ist ein Trugschluss. Wir gehen mit 65 oder 62 oder 60 in Pension, je nachdem. Und dann soll das Leben eine Wende nehmen? Zu unseren Gunsten? Nein, das glaube ich nicht. Nimm dein Lebensband zur Hand: Du weißt schon, ein Maßband mit einem Meter – schneide vorne die bereits gelebten oder erlebten Jahre ab, dann am Ende, je nachdem, ob du Frau oder Mann bist, deine durchschnittliche Lebenserwartung (Mann 78 Jahre, Frau 83 Jahre) und schau dir dann die Differenz auf 100 an: Das ist das, was dir an Jahren, an Lebensjahren (durchschnittlich wohlgemerkt) übrig bleibt. Und die letzten Lebensjahre werden relativ sicher qualitativ nicht die Besten sein, außer du schaust akribisch auf dich und bleibst von Schicksalsschlägen verschont …

Also? Was denkst du? Aufschieben? Pension? Jede Minute, jede Stunde, jeden Tag: Handle! Nimm dein Leben in die Hand! Ab jetzt. Ab heute. In deinen verschiedenen Lebensbereichen. Du kannst dein Leben verändern. Tu es!

Nicht ohne meinen Schweinehund

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