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Aufschieberitis

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»Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!« Kommt dir das bekannt vor? Dieses Sprichwort verwendet man gern, wenn man es mit Mitmenschen zu tun hat, die manche Aufgaben gerne aufschieben. Natürlich könnte man entgegnen: »Verschiebe nicht auf morgen, was genauso gut auf übermorgen verschoben werden kann.« Egal. Das ursprüngliche Sprichwort stammt angeblich aus Martin Luthers Bibelübersetzung. Mehr weiß ich dazu nicht. Was ich freilich weiß, ist, dass die Tatsache des Verschiebens, des Aufschiebens unangenehmste Folgen haben kann. Warum?

Notwendige, dringende, wichtige, auch unangenehme Aufgaben schiebt man gerne vor sich her, schiebt man gerne auf. Aber auf wann? Auf morgen vielleicht, weil man möglicherweise noch aus diesem Dilemma herauskommt, es nicht erledigt zu haben. Was aber, wenn es zu spät ist? Wenn es keine Möglichkeit mehr gibt, die Aufgabe zu meistern? Aus welchen Gründen auch immer. Was passiert, wenn sich auf deinem Schreibtisch unerledigte Dinge, Aufgaben etc. stapeln? Was tust du, wenn deine Steuererklärung fällig wird? Finanzbeamte berichten von vielen Steuerpflichtigen, die ihre jeweilige Erklärung prinzipiell im letzten Moment abgeben. Wann tätigst du deine Weihnachtseinkäufe? Das ginge doch wunderbar stressfrei im September oder Oktober. Nein, du machst es vermutlich im Dezember. Am 23.12.? Gehst du termingerecht zu deiner Vorsorgeuntersuchung? Nein?

Falls du jetzt sagst: »Ist ja nichts passiert. Ist ja egal. Mache ich es halt morgen«, ist das ein Irrtum, meine Liebe. So einfach ist es nicht. Deine Lebensqualität wird ganz sicher darunter leiden. Nicht, wenn du einmal ein paar Aufgaben verschiebst. Das kann vorkommen. Wenn dieses Verhalten jedoch an der Tagesordnung steht, dann wird sich dein Stresspegel relativ rasch und kontinuierlich erhöhen, dein Wohlbefinden geringer werden und das wird ganz sicher Auswirkungen auf dein Privatleben haben. Der Kampf gegen die bekannten Erledigungsblockaden erfordert meines Wissens und meiner Erfahrung nach ein Überdenken des Zeitmanagements. Ständiges, institutionalisiertes Aufschiebe-Verhalten stiehlt deine kostbare Zeit und stellt eine dauerhafte Belastung dar.9

Zu deiner Beruhigung sei aber festgehalten, dass das Aufschiebe-Verhalten ein weit, ein weltweit verbreitetes Phänomen ist. Chronisches Aufschiebe-Verhalten ist ganz sicher keine Form der Willensschwäche oder gar Entscheidungsunfähigkeit. Das Ganze hat auch wenig mit Schwäche, Faulheit oder Versagen zu tun. Vielmehr denke ich, dass das ständige »Schweinehund-Nachgeben« so etwas wie eine perfektionierte schlechte Angewohnheit ist, deren Präsenz viele unterschiedliche Gründe hat. Möglicherweise als Folge von (Arbeits-)Überlastung? Oder Arbeitsunlust? Oder auch eine mangelnde Fähigkeit zur Selbstorganisation? Die Hauptsache ist, dass du erkennst, dass es an »etwas« krankt. Und wie herrlich ist die Erkenntnis (oder wird sie sein), wenn du spürst und siehst, dass du selbst es ändern, es verändern kannst.

Der amerikanische Psychologe Joseph Ferrari von der DePaul Universität in Chicago ist einer der führenden Forscher auf dem Gebiet des chronischen Aufschiebens, das man wissenschaftlich als »Prokrastination« bezeichnet. In einer Studie befragten er und sein Team weltweit 4000 Personen nach ihren Arbeitsmustern. Das Ergebnis: 20 Prozent der Befragten leiden massiv unter Zeitverschwendung und Aufschiebe-Techniken. Einige Menschen brauchen das Gefühl des massiven Zeitdrucks, um mit der Arbeit überhaupt anfangen zu können, andere vermeiden das Anpacken einer Aufgabe aufgrund von Versagensängsten ganz und gar. Folgendem Ausspruch Ferraris stimme ich voll und ganz zu: »Einem chronischen Aufschieber zu sagen: tu es einfach … ist so, wie einem Depressiven zu sagen, er solle doch einfach einmal fröhlich sei. Was diese Leute brauchen, ist eine Verhaltenstherapie.«10

Viel Arbeit zieht noch mehr Arbeit an.

LOTHAR J. SEIWERT

Nicht ohne meinen Schweinehund

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