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2. Imparitätsprinzip (Aufwandsantizipationsgebot)

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(1) Zielsetzung und Unterformen des Imparitätsprinzips: Nach dem Imparitätsprinzip sind Risiken und Verluste aus einzelnen Geschäften zu berücksichtigen, soweit sie am Abschlussstichtag zwar eingetreten, aber noch nicht am Markt bestätigt sind. Positive und negative Erfolgsbeiträge werden somit ungleich – imparitätisch – behandelt: Eine Erfassung von Erträgen vor deren Bestätigung am Markt ist nach dem Realisationsprinzip unzulässig (Ertragsantizipationsverbot). Das Imparitätsprinzip sieht abweichend von den Periodisierungsgrundsätzen vor, dass negative Erfolgsentwicklungen bereits in der Periode zu erfassen sind, in der sie wirtschaftlich entstanden sind. Die Wertverluste sind bereits in der Periode als Aufwendungen gewinnmindernd zu verbuchen, in der sie das Reinvermögen reduziert haben. Einer Bestätigung am Markt in Form eines Umsatzakts bedarf es bei Vermögensminderungen nicht (Aufwandsantizipationsgebot).

Die relativ starke Betonung des Grundsatzes einer vorsichtigen Gewinnermittlung dient der Erhaltung des bilanziellen Eigenkapitals (Kapitalerhaltungsgrundsatz). Durch die Verrechnung von Aufwendungen wird die Höhe des ausgewiesenen Gewinns reduziert. Durch die Verringerung des maximal ausschüttbaren Betrags wird insoweit ein Abfluss von Zahlungsmitteln vermieden, als Zahlungsverpflichtungen (wie beispielsweise Ausschüttungen und Ertragsteuern) von der Höhe des Gewinns des Unternehmens abhängen. Diese Zahlungsmittel können dann eingesetzt werden, wenn die Vermögensminderung zu einer Zahlungsverpflichtung wird.

Aufgrund des Objektivierungsgrundsatzes und damit des Grundsatzes der Rechtssicherheit (Grundsatz der Tatbestandsbestimmtheit) darf eine Aufwandsantizipation nur vorgenommen werden, sofern konkrete Hinweise dafür bestehen, dass die Wertminderungen bzw die Aufwendungen eingetreten sind. Die Minderung des Reinvermögens muss in intersubjektiv nachprüfbarer Weise konkretisiert werden können. Offen sein darf lediglich die Bestätigung durch einen Umsatzakt oder durch einen anderen Marktvorgang. Das Imparitätsprinzip bedeutet nicht, dass erst in der Zukunft möglicherweise eintretende Vermögensminderungen am Abschlussstichtag bereits gewinnmindernd erfasst werden dürfen. Der Verrechnung von zukünftigen, potenziellen Aufwendungen steht das Stichtagsprinzip entgegen.

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Für den Anwendungsbereich der verschiedenen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung gilt also Folgendes:

Die Periodisierungsgrundsätze (insbesondere Abgrenzung von Aufwendungen der Sache und der Zeit nach) erfassen entstandene und am Markt bestätigte („realisierte“) Aufwendungen.
Das Imparitätsprinzip bezieht sich auf entstandene, aber noch nicht realisierte Aufwendungen.
Die Berücksichtigung von Aufwendungen, die voraussichtlich in zukünftigen Wirtschaftsjahren eintreten werden, ist aufgrund des Stichtagsprinzips nicht möglich.

Die nach dem Imparitätsprinzip zu berücksichtigenden negativen Erfolgsbeiträge können sich auf erfüllte Geschäfte (Beschaffung von Vermögensgegenständen und Entstehen von Schulden) und auf schwebende Geschäfte (abgeschlossene, aber noch nicht erfüllte Verträge) beziehen. Die drei Unterformen des Imparitätsprinzips stimmen insoweit überein, als sie zur Berücksichtigung von Minderungen des Reinvermögens führen, die am Abschlussstichtag bereits eingetreten, aber nach den Periodisierungsgrundsätzen noch nicht zu verrechnen sind. Sie unterscheiden sich dadurch, dass sie sich auf unterschiedliche Bilanzpositionen beziehen:

Imparitätsprinzip dem Grunde nach (Verlustantizipation durch Bildung von Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften: Einstellung von zusätzlichen Passiva)
Imparitätsprinzip der Höhe nach (Bewertung von Aktiva und Passiva) mit den Unterformen 1. Niederstwertprinzip (Aufwandsantizipation durch außerplanmäßige Abschreibung von Wirtschaftsgütern auf den niedrigeren Stichtagswert: Abwertung von Aktiva) 2. Höchstwertprinzip (Aufwandsantizipation durch außerplanmäßige Zuschreibung von bilanziellen Schulden auf den höheren Stichtagswert: Aufwertung von Passiva).

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(2) Verlustantizipation durch Rückstellungsbildung: Das Imparitätsprinzip dem Grunde nach führt zur Verlustantizipation durch die Bildung von Rückstellungen. Von besonderer Bedeutung ist das Imparitätsprinzip bei Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften. Schwebende Geschäfte sind Verträge, die noch von keiner Seite erfüllt sind. Ein Verlust droht, wenn nach den am Abschlussstichtag geltenden Verhältnissen der Wert der voraussichtlich zu erbringenden eigenen Leistung höher ist als der Wert der zu erwartenden Gegenleistung, wenn also ein Verpflichtungsüberhang vorliegt.

Die Verlustantizipation durch Rückstellungsbildung bezieht sich sowohl auf Absatzgeschäfte als auch auf Beschaffungsgeschäfte:

Bei Absatzgeschäften kommt das Imparitätsprinzip dem Grunde nach zur Anwendung, wenn der mit einem Kunden festgelegte (Verkaufs-)Preis geringer ist als der Wert der dafür zu erbringenden eigenen Leistungen.
Bei Beschaffungsgeschäften droht im bilanzrechtlichen Sinn ein Verlust, wenn am Abschlussstichtag der Tageswert des noch nicht in den Verfügungsbereich des Kaufmanns gelangten Vermögensgegenstands geringer ist als der mit dem Lieferanten vereinbarte (Einkaufs-)Preis.

Durch die Bildung einer Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften wird der Grundsatz durchbrochen, dass schwebende Geschäfte nicht erfasst werden. Nach dem Imparitätsprinzip dem Grunde nach werden die durch schwebende Geschäfte verursachten Minderungen des Reinvermögens bilanziell bereits erfasst, obwohl sie sich erst im Zeitpunkt der Erfüllung des Geschäfts realisieren (Aufwandsantizipationsgebot).

Im Gegensatz hierzu erfassen Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten Aufwendungen, die nach dem Prinzip der Abgrenzung von Aufwendungen der Sache nach (wie Garantie- oder Pensionsrückstellungen) oder nach dem Grundsatz der Abgrenzung von Aufwendungen der Zeit nach (zB Rückstellungen für Schadensersatzverpflichtungen) zu passivieren sind. Der Unterschied besteht darin, dass Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten auf die Periodisierungsgrundsätze zurückzuführen sind, während Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften auf die Kapitalerhaltungsgrundsätze zurückgehen.

Abb. 10:

Ursachen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften


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Bei Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften wird eine Saldogröße passiviert. Der Anspruch und die Verpflichtung selbst gehen – wie generell bei schwebenden Geschäften – nicht in die Bilanz ein. Lediglich der Verpflichtungsüberhang wird als Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften auf der Passivseite bilanziert. In dieser Vorgehensweise wird kein Verstoß gegen das Saldierungsverbot (§ 246 Abs. 2 S. 1 HGB) gesehen, da sich das Saldierungsverbot nur auf Erträge und Aufwendungen bezieht, die nach den Periodisierungsgrundsätzen (bereits) zu erfassen sind.

Beispiel für ein Beschaffungsgeschäft:

Die AB-OHG erwirbt bei einem Großhändler Rohstoffe. In dem am 10.12.01 abgeschlossenen Kaufvertrag wird mit dem Lieferanten ein Kaufpreis von 200 000 € und als Liefertermin der 15.1.02 vereinbart. Am Abschlussstichtag (31.12.01) könnten die gleichen Rohstoffe zu 190 000 € eingekauft werden.

Der Wertverlust ist erst im Zeitpunkt der Auslieferung am Markt bestätigt, dh am 15.1.02. Die Vermögensminderung ist allerdings bereits im abgelaufenen Wirtschaftsjahr entstanden. Die AB-OHG hat bei Lieferung 200 000 € zu bezahlen, obwohl am Abschlussstichtag erkennbar ist, dass die eingekauften Rohstoffe nur einen Wert von 190 000 € haben. Die eigene Leistung übersteigt die zu erwartende Gegenleistung um 10 000 €. Der drohende Verlust aus dem schwebenden Beschaffungsgeschäft ist durch Passivierung einer Rückstellung bereits im Jahr 01 gewinnmindernd zu erfassen. Der Eingang der Rohstoffe wirkt sich auf den Gewinn des Jahres 02 nicht aus.

10.12.01: keine Buchung (Grundsatz des Nichtausweises schwebender Geschäfte)
31.12.01: Aufwand 10 000 € an Rückstellung 10 000 €

Aufwandsantizipation nach dem Imparitätsprinzip dem Grunde nach (Verpflichtungsüberhang) im Jahr des Vertragsabschlusses

15.1.02: Rohstoffe 190 000 €
Rückstellung 10 000 € an Bank 200 000 €

Da der Wertverlust bereits im Vorjahr durch die Bildung einer Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften erfasst wurde, ist der Vorgang im Jahr der Erfüllung des Vertrags erfolgsneutral.

Beispiel für ein Absatzgeschäft:

Die Bau-KG vereinbart in einem am 12.12.01 abgeschlossenen Werkvertrag, dem Kunden bis zum 30.6.02 eine Eigentumswohnung zu einem Festpreis von 300 000 € zu erstellen. Bis zum Abschlussstichtag wurde mit dem Bauvorhaben noch nicht begonnen.[1] Eine am Abschlussstichtag vorgenommene Nachkalkulation zeigt, dass aufgrund von zwischenzeitlich eingetretenen Preissteigerungen für die Herstellung der Wohnung voraussichtlich Aufwendungen von 320 000 € anfallen.

Der Wert der eigenen Leistung (= Aufwendungen zur Herstellung der Wohnung von 320 000 €) liegt voraussichtlich um 20 000 € über der Gegenleistung des Kunden (= Festpreis von 300 000 €). Diese Unterdeckung gilt nach dem Imparitätsprinzip dem Grunde nach als Aufwand des Jahres 01, der zur Passivierung einer Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften und damit zu einer entsprechenden Gewinnminderung führt. Fasst man alle Buchungen zusammen, ändert sich im Jahr 02 der Erfolg der Bau-KG nicht. Den Aufwendungen für die Erstellung des Gebäudes von 320 000 € stehen Erträge in gleicher Höhe gegenüber: Umsatzerlöse von 300 000 € sowie Ertrag aus der Auflösung der Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften von 20 000 €.

12.12.01: keine Buchung (Grundsatz des Nichtausweises schwebender Geschäfte)
31.12.01: Aufwand 20 000 € an Rückstellung 20 000 €

Aufwandsantizipation nach dem Imparitätsprinzip dem Grunde nach (Verpflichtungsüberhang) im Jahr des Vertragsabschlusses

Januar bis Juni 02 (Bauphase):
diverse Aufwendungen an diverse Bestände
(Material, Löhne, …) 320 000 € (Bank, Rohstoffe, …) 320 000 €
Fertigerzeugnisse 320 000 € an Bestandserhöhungen
(Ertragskonto) 320 000 €

30.6.02 (Fertigstellung und Übergabe):
Forderungen aus Lieferungen und Leistungen 300 000 € an Umsatzerlöse 300 000 €
Bestandsminderungen
(Aufwandskonto) 320 000 € an Fertigerzeugnisse 320 000 €
Rückstellung 20 000 € an sonstiger betrieblicher Ertrag 20 000 €

Da der Wertverlust durch die Bildung einer Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften bereits im Vorjahr erfasst wurde, ist der Vorgang im Jahr der Erfüllung des Vertrags erfolgsneutral.

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Die aus schwebenden Geschäften drohenden Verluste müssen in der Handelsbilanz durch die Bildung einer Rückstellung berücksichtigt werden (Ansatzpflicht, § 249 Abs. 1 S. 1 HGB). In der Steuerbilanz besteht jedoch für Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften ein Passivierungsverbot (§ 5 Abs. 4a S. 1 EStG). Durch diese Durchbrechung des Maßgeblichkeitsprinzips (Fall 2b: zwei voneinander abweichende verbindliche Normen) fallen die handelsrechtliche und steuerrechtliche Gewinnermittlung in einem konzeptionellen Punkt auseinander. Für die Verletzung der handelsrechtlichen GoB in der Steuerbilanz hat der Gesetzgeber keinen der für die steuerliche Gewinnermittlung bedeutsamen Grundsätze angeführt. Vielmehr dient die Aufhebung des Imparitätsprinzips dem Grunde nach in der Steuerbilanz im Wesentlichen dazu, die durch die Abschaffung der Gewerbesteuer vom Kapital im Jahr 1998 entstandene Minderung der Steuereinnahmen auszugleichen. Das Verbot, in der Steuerbilanz Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften zu passivieren, beruht also ausschließlich auf haushaltspolitischen Überlegungen. Steuersystematische Argumente bestehen nicht.

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(3) Niederstwertprinzip: Die Grundform des Niederstwertprinzips bezieht sich auf abgeschlossene Beschaffungsgeschäfte. Für Absatzgeschäfte ist der Grundsatz der verlustfreien Bewertung – eine spezielle Ausprägung des Niederstwertprinzips – zu beachten.

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(a) In seiner Grundform stellt das Niederstwertprinzip die Ausgestaltung des Imparitätsprinzips der Höhe nach dar, soweit sich dieses auf die Aktivseite der Bilanz bezieht. Das Niederstwertprinzip gilt für Wirtschaftsgüter, die am Abschlussstichtag in der Steuerbilanz aktiviert sind, dh für abgeschlossene Beschaffungsgeschäfte. Nach dem Niederstwertprinzip ist für Wirtschaftsgüter eine aufwandswirksame Abwertung auf den Stichtagswert (beizulegender Wert, Teilwert) vorzunehmen, sofern dieser niedriger ist als die (fortgeführten) Anschaffungs- oder Herstellungskosten (§ 253 Abs. 3, 4 HGB, § 6 Abs. 1 Nr 1, 2 EStG).[2]

Beispiel:

Die AB-OHG erwirbt bei einem Großhändler Rohstoffe. In dem am 10.12.01 abgeschlossenen Kaufvertrag wird mit dem Lieferanten ein Kaufpreis von 200 000 € und als Liefertermin der 20.12.01 vereinbart. Am Abschlussstichtag (31.12.01) könnten die gleichen Rohstoffe zu 190 000 € erworben werden. Um die bereits gelieferten Rohstoffe in der Bilanz der AB-OHG mit ihrem niedrigeren Stichtagswert bewerten zu können, ist eine außerplanmäßige Abschreibung von 10 000 € zu verrechnen.

10.12.01: keine Buchung (Grundsatz des Nichtausweises schwebender Geschäfte)
20.12.01: Rohstoffe 200 000 € an Bank 200 000 €

erfolgsneutraler Beschaffungsvorgang

31.12.01: Aufwand 10 000 € an Rohstoffe 10 000 €

Imparitätsprinzip der Höhe nach (Niederstwertprinzip): Aufwandsantizipation durch außerplanmäßige Abschreibung auf den niedrigeren Stichtagswert.

Der Unterschied zwischen den beiden Formen des Imparitätsprinzips besteht darin, dass sich das Niederstwertprinzip (als eine Unterform des Imparitätsprinzips der Höhe nach) auf abgeschlossene Geschäfte bezieht, während das Imparitätsprinzip dem Grunde nach bei schwebenden Geschäften zu beachten ist. Den beiden Prinzipien ist gemeinsam, dass entstandene, aber noch nicht realisierte negative Erfolgsbeiträge erfasst werden. Bei Beschaffungsgeschäften bedeutet dies, dass in dem Fall, in dem der Tageswert des erworbenen Wirtschaftsguts unter den vereinbarten Einkaufspreis sinkt, der Wertverlust den Gewinn der abgelaufenen Periode mindert. Das Imparitätsprinzip kommt unabhängig davon zur Anwendung, ob die erworbenen Wirtschaftsgüter am Abschlussstichtag bereits ausgeliefert wurden (außerplanmäßige Abschreibung auf den niedrigeren Tageswert nach dem Niederstwertprinzip) oder ob die Wirtschaftsgüter erst im nächsten Wirtschaftsjahr in den Verfügungsbereich des Bilanzierenden gelangen (Aufwandsverrechnung durch Bildung einer Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften).

Handelsrechtlich wird durch das Nebeneinander von Niederstwertprinzip und Imparitätsprinzip dem Grunde nach ein geschlossenes Konzept verwirklicht. Demgegenüber kommt es in der Steuerbilanz zu Widersprüchen: Das Imparitätsprinzip dem Grunde nach wird nicht beachtet, aber das Imparitätsprinzip der Höhe nach wird berücksichtigt. Bei abgeschlossenen Beschaffungsgeschäften sind über das Niederstwertprinzip entstandene, aber noch nicht realisierte Wertverluste durch eine außerplanmäßige Abschreibung auf den niedrigeren Stichtagswert aufwandswirksam zu erfassen, während bei eingeleiteten, aber noch nicht ausgeführten Beschaffungsgeschäften der Wertverlust aufgrund des Verbots eines Ansatzes von Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften noch nicht gewinnmindernd verbucht werden kann. Das steuerbilanzielle Passivierungsverbot für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften nach § 5 Abs. 4a S. 1 EStG führt zum einen zu einer Durchbrechung des Maßgeblichkeitsprinzips (Fall 2b). Zum anderen werden in der Steuerbilanz wirtschaftlich vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich behandelt. Die Höhe des steuerpflichtigen Gewinns hängt beispielsweise davon ab, ob die eingekauften Wirtschaftsgüter kurz vor dem Abschlussstichtag ausgeliefert werden (Gewinnminderung durch Verrechnung einer außerplanmäßigen Abschreibung) oder kurz danach (keine Berücksichtigung der Wertminderung aufgrund des Bilanzierungsverbots für Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften).

Abb. 11: Anwendungsbereich des Imparitätsprinzips bei Beschaffungsgeschäften

Handelsrecht Steuerbilanz
Imparitätsprinzip dem Grunde nach(schwebendes Geschäft) Drohverlustrückstellung:Pflicht § 249 Abs. 1 S. 1 HGB Drohverlustrückstellung:Ansatzverbot § 5 Abs. 4a S. 1 EStG
Imparitätsprinzip der Höhe nach (abgeschlossenes Geschäft) Abwertung auf den (niedrigeren) Stichtagswert
§ 253 Abs. 3, 4 HGB § 6 Abs. 1 Nr 1, 2 EStG

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(b) Eine Unterform des Niederstwertprinzips bildet der Grundsatz der verlustfreien Bewertung. Nach diesem für Absatzgeschäfte geltenden Prinzip bestimmt sich der Stichtagswert eines Wirtschaftsguts danach, dass aus dem zu erwartenden Veräußerungserlös sowohl die aktivierten Werte (bereits angefallene Aufwendungen) als auch die bis zum Verkauf voraussichtlich noch anfallenden Aufwendungen gedeckt werden können:

voraussichtlicher Nettoveräußerungserlös
bis zum Verkauf voraussichtlich noch anfallende Aufwendungen
= Stichtagswert nach dem Grundsatz der verlustfreien Bewertung

Durch den Grundsatz der verlustfreien Bewertung soll verhindert werden, dass bei einer späteren Veräußerung des Wirtschaftsguts ein Verlust entsteht. Um die entstandene, aber noch nicht am Markt bestätigte Minderung des Reinvermögens auszuweisen, wird der negative Erfolgsbeitrag durch eine außerplanmäßige Abschreibung auf den niedrigeren Stichtagswert erfasst.

Beispiel:

Die Bau-KG vereinbart in einem am 8.10.01 abgeschlossenen Werkvertrag, bis zum 31.3.02 eine Eigentumswohnung zu einem Festpreis von 300 000 € zu erstellen. Mit dem Bauvorhaben wurde bis zum Abschlussstichtag bereits begonnen.[3] Bislang fielen Aufwendungen von 140 000 € an. Bis zur endgültigen Fertigstellung ist mit weiteren Aufwendungen von 180 000 € zu rechnen.

In der Summe übersteigen die Aufwendungen (= 320 000 € = 140 000 € + 180 000 €) die zu erwartende Gegenleistung (= 300 000 €) um voraussichtlich 20 000 €. Der aus dem Bau der Eigentumswohnung zu erwartende Verlust von 20 000 € ist bereits im Jahr 01 durch eine Abwertung der aktivierten Werte zu erfassen. Das unfertige Gebäude wird deshalb nicht mit seinen Herstellungskosten (im Jahr 01 angefallene Aufwendungen) von 140 000 € bewertet, sondern mit seinem niedrigeren Stichtagswert von 120 000 €. Der Grundsatz der verlustfreien Bewertung bewirkt, dass im Jahr der Fertigstellung und Übergabe der Eigentumswohnung – im Jahr 02 – das Gesamtergebnis ausgeglichen („verlustfrei“) ist. Der am 31.12.01 aktivierte Wert von 120 000 € addiert sich zusammen mit den im Jahr 02 noch anfallenden Aufwendungen von 180 000 € auf 300 000 €, dh auf den mit dem Kunden vereinbarten Festpreis.

8.10.01: keine Buchung (Grundsatz des Nichtausweises schwebender Geschäfte) Oktober bis Dezember 01 (Beginn des Bauvorhabens):
diverse Aufwendungen an diverse Bestände
(Material, Löhne, …) 140 000 € (Bank, Rohstoffe, …) 140 000 €
Erzeugnisse 140 000 € an Bestandserhöhungen
(Ertragskonto) 140 000 €

erfolgsneutraler Herstellungsvorgang

31.12.01: Aufwand 20 000 € an Erzeugnisse 20 000 €

Imparitätsprinzip der Höhe nach (verlustfreie Bewertung als eine Unterform des Niederstwertprinzips) in dem Jahr, in dem mit der Herstellung begonnen wurde: Aufwandsantizipation durch außerplanmäßige Abschreibung auf den niedrigeren Stichtagswert

Januar bis März 02 (Fortführung des Bauvorhabens):
diverse Aufwendungen an diverse Bestände
(Material, Löhne, …) 180 000 € (Bank, Rohstoffe, …) 180 000 €
Erzeugnisse 180 000 € an Bestandserhöhungen
(Ertragskonto) 180 000 €

31.3.02 (Fertigstellung und Übergabe):
Forderungen aus Lieferungen und Leistungen 300 000 € an Umsatzerlöse 300 000 €
Bestandsminderungen
(Aufwandskonto) 300 000 € an Erzeugnisse 300 000 €

Da der Wertverlust durch die außerplanmäßige Abschreibung auf die bilanzierten Erzeugnisse bereits im Vorjahr erfasst wurde, ist der Vorgang im Jahr der Erfüllung des Vertrags erfolgsneutral („verlustfrei“).

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(c) Vermögensminderungen, die sich aus dem Absatz der betrieblichen Hauptleistung ergeben, werden handelsrechtlich bereits in der Periode erfasst, in der abzusehen ist, dass die eigene Leistung höher ist als die zu erwartende Gegenleistung. Für die Handelsbilanz gilt dies unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt mit der Herstellung des zu veräußernden Erzeugnisses begonnen wird:

Wurde mit der Produktion bis zum Stichtag noch nicht begonnen, erfolgt die Aufwandsverrechnung über das Imparitätsprinzip dem Grunde nach, dh durch die Bildung einer Rückstellung für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften.
Wurde mit der Produktion im abgelaufenen Geschäftsjahr bereits angefangen, ergibt sich über den Grundsatz der verlustfreien Bewertung (eine Unterform des Niederstwertprinzips) eine Aufwandsverrechnung, indem der Bilanzansatz des unfertigen Erzeugnisses um den aus dem Absatzgeschäft voraussichtlich eintretenden Verlust vermindert wird.

In der Steuerbilanz wird auch bei Absatzgeschäften der Anwendungsbereich des Kapitalerhaltungsgrundsatzes unterschiedlich abgegrenzt. Wurde mit der Produktion des zu veräußernden Produkts im abgelaufenen Wirtschaftsjahr begonnen, wird das Imparitätsprinzip beachtet, während in dem Fall, dass mit der Produktion bis zum Bilanzstichtag noch nicht angefangen wurde, durch das Verbot der Bildung von Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften der aus einem Absatzgeschäft zu erwartende Verlust noch nicht berücksichtigt werden darf. Die Differenzierung nach dem Stand des Fertigstellungsprozesses ist jedoch kein sachgerechtes Kriterium dafür, inwieweit eingetretene, aber noch nicht realisierte Minderungen des Reinvermögens zu erfassen sind.

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(4) Höchstwertprinzip: Auf der Passivseite ist das Imparitätsprinzip der Höhe nach als Höchstwertprinzip ausgestaltet. Verbindlichkeiten sind mit ihrem am Abschlussstichtag geltenden Wert anzusetzen, sofern dieser höher ist als der ursprüngliche Bilanzansatz. Das Höchstwertprinzip kommt beispielsweise zur Anwendung, wenn der Wert einer Verbindlichkeit im Zeitablauf Schwankungen unterworfen ist, wie es typischerweise bei Fremdwährungsverbindlichkeiten der Fall ist. Die Erhöhung des (in € umgerechneten) Werts der Verbindlichkeit führt zu einer Minderung des Reinvermögens. Diese ist durch eine aufwandswirksame Aufwertung der Verbindlichkeit zu erfassen, auch wenn der Anstieg der Belastung erst in dem Zeitpunkt bestätigt wird, in dem die Verpflichtung zu erfüllen ist. Das Höchstwertprinzip gilt sowohl für die Handelsbilanz (§ 253 Abs. 1 S. 2 iVm § 252 Abs. 1 Nr 4 HGB) als auch für die Steuerbilanz (§ 6 Abs. 1 Nr 3 EStG).[4]

Beispiel:

Die K-AG erwirbt am 28.11.01 Rohstoffe zum Preis von 270 000 US-$. Der Lieferant gewährt ein Zahlungsziel bis zum 27.1.02. Im Zeitpunkt der Lieferung beträgt der Kurs 1,35 US-$/€. Bis zum Abschlussstichtag (= 31.12.01) fällt der Kurs des Euros auf 1,20 US-$/€. Am 27.1.02 beträgt der Kurs weiterhin 1,20 US-$/€.

Am 28.11.01 ist die Verbindlichkeit aus Lieferungen und Leistungen mit 200 000 € einzubuchen. Nach dem Imparitätsprinzip der Höhe nach ist die Verbindlichkeit am Abschlussstichtag auf ihren höheren Tageswert (= 225 000 €) aufzuwerten. In der Gewinn- und Verlustrechnung führt diese Zuschreibung zu einer Aufwandsverrechnung von 25 000 €. Der Bilanzansatz der Rohstoffe bleibt von der Wechselkursänderung und der Veränderung des Bilanzansatzes der Verbindlichkeit unberührt (Grundsatz der Einzelerfassung und Einzelbewertung iVm dem Realisationsprinzip).

28.11.01: Rohstoffe 200 000 € an Verbindlichkeiten 200 000 €

erfolgsneutraler Beschaffungsvorgang

31.12.01: Aufwand 25 000 € an Verbindlichkeiten 25 000 €

Imparitätsprinzip der Höhe nach (Höchstwertprinzip): Aufwandsantizipation durch außerplanmäßige Zuschreibung auf den höheren Stichtagswert

keine Veränderung der Bewertung der Rohstoffe (nach dem Realisationsprinzip bzw seiner Unterform Anschaffungswertprinzip dürfen entstandene, aber am Markt nicht bestätigte Währungsgewinne nicht ausgewiesen werden)

27.1.02: Verbindlichkeiten 225 000 € an Bank 225 000 €

erfolgsneutraler Zahlungsvorgang, da der Kursverlust bereits im Jahr 01 durch eine außerplanmäßige Zuschreibung verrechnet wurde.

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(5) Kurzbeurteilung des Imparitätsprinzips: Ausgangspunkt zur Beurteilung des Imparitätsprinzips (der Konventionen zur Beschränkung von gewinnabhängigen Zahlungen) bildet die Zielsetzung der Ertragsteuern, das Markteinkommen eines Steuerpflichtigen zu erfassen. Nach dem Nettoprinzip ist es unstrittig, dass Vermögensminderungen verrechnet werden können. Es ist allerdings festzulegen, zu welchem Zeitpunkt die Vermögensminderungen das steuerpflichtige Einkommen reduzieren. Nach dem Realisationsprinzip erhöhen Vermögensmehrungen zu dem Zeitpunkt das steuerpflichtige Einkommen, zu dem sie am Markt bestätigt werden. Das Imparitätsprinzip führt – wie es der Name zum Ausdruck bringt – zu einer Ungleichbehandlung: Während für die Erfassung von Vermögensmehrungen auf die (modifizierte) Reinvermögenszugangstheorie abgestellt wird, werden Minderungen des Reinvermögens durch die Bildung von Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften oder durch eine außerplanmäßige Abwertung auf den niedrigeren Tageswert (Aktiva) bzw eine außerplanmäßige Aufwertung auf den höheren Stichtagswert (Passiva) nach dem Imparitätsprinzip bereits zu dem Zeitpunkt berücksichtigt, zu dem sie wirtschaftlich verursacht sind. Bei Vermögensminderungen wird also auf die Reinvermögenszuwachstheorie zurückgegriffen.

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Im Gegensatz zur handelsrechtlichen Rechnungslegung sind das Imparitätsprinzip und der dahinter stehende Kapitalerhaltungsgrundsatz für die Steuerbilanz nicht zwingend notwendig.[5] Während gesellschaftsrechtlich gezahlte Dividenden nicht zurückgefordert werden können, besteht für den Staat die Möglichkeit, über den Verlustrücktrag in der Vergangenheit eingenommene Steuern zu erstatten. Nach dieser Sichtweise ist nicht das für die Steuerbilanz bestehende Passivierungsverbot für Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften negativ zu beurteilen, vielmehr sind die außerplanmäßigen Abschreibungen bei Aktiva und die außerplanmäßigen Zuschreibungen bei Passiva der Fremdkörper. Wenn das Imparitätsprinzip in die Steuerbilanz nicht übernommen werden soll, muss dies sowohl für das Imparitätsprinzip dem Grunde nach (Drohverlustrückstellungen) als auch für das Imparitätsprinzip der Höhe nach (Niederstwert–, Höchstwertprinzip) gelten.

Ein zusätzliches Argument gegen die Notwendigkeit des Imparitätsprinzips ist, dass die Minderung der Einsatzfähigkeit eines Wirtschaftsguts aufgrund von außergewöhnlichen technischen oder wirtschaftlichen Abnutzungen nach dem Grundsatz der Abgrenzung von Aufwendungen der Zeit nach erfasst werden kann. Nach diesem zu den Periodisierungsgrundsätzen gehörenden Prinzip sind aperiodische Geschäftsvorgänge in der Periode zu verbuchen, in der sie eintreten. Der Teil der Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts, der verbraucht wurde, kann nicht mehr zur Erzielung von Erträgen genutzt werden. Voraussetzung für eine Verrechnung von Wertminderungen nach dem Grundsatz der Abgrenzung von Aufwendungen der Zeit nach ist, dass sich aufgrund von außergewöhnlichen Umständen die Substanz eines Wirtschaftsguts verringert hat, dh der Wertverzehr muss tatsächlich eingetreten sein. Ist die Wertminderung sicher oder zumindest so gut wie sicher, kann sie nach dem Konzept der Reinvermögenszugangstheorie gewinnmindernd verrechnet werden. Insoweit besteht hinsichtlich des Zeitpunkts der steuerlichen Erfassung zwischen der Verbuchung von Erträgen nach dem Realisationsprinzip und der Verbuchung von Aufwendungen nach dem Grundsatz der Abgrenzung von Aufwendungen der Zeit nach Übereinstimmung. Diese ist aber nur dann gewährleistet, wenn es sich nicht um nur vorübergehende Wertminderungen handelt, die lediglich auf Preisschwankungen zurückzuführen sind. Derartige Wertminderungen könnten nur erfasst werden, wenn im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung generell auf das Konzept der Reinvermögenszuwachstheorie abgestellt werden würde.

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Die Aufhebung des Imparitätsprinzips im Rahmen der steuerlichen Gewinnermittlung ist aber nur dann begründbar, wenn die Verlustverrechnung nicht eingeschränkt wird. Als Alternative zu einem uneingeschränkten Verlustrücktrag besteht die Möglichkeit, entstandene Verluste vorzutragen und bis zum Zeitpunkt ihrer Verrechnung zu verzinsen. Bei einem verzinslichen Verlustvortrag wird die zeitliche Verschiebung des Verlustvortrags durch eine Erhöhung der Steuererstattung um entsprechende Zinsen ausgeglichen.[6] Nicht sachgerecht ist es, das Imparitätsprinzip zurückzudrängen (Einführung eines Passivierungsverbots für Drohverlustrückstellungen nach § 5 Abs. 4a S. 1 EStG) und gleichzeitig die Verlustverrechnung (zB den Verlustabzug nach § 10d EStG) einzuschränken. Da der Gesetzgeber den Umfang der Verrechnung von Verlusten in den letzten Jahren mehrfach eingeschränkt hat, ist aus der vorstehenden Aussage ein Umkehrschluss zu ziehen: Bleibt es bei den zurzeit geltenden Einschränkungen der Verlustverrechnung, muss das Imparitätsprinzip für die Steuerbilanz sowohl dem Grunde nach als auch der Höhe nach gelten.

Besteuerung von Unternehmen II

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