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Wir haben gerade ein Schiff versenkt

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Zu Hause stellte Olmenburg die Aktentasche auf seinen kleinen Schreibtisch, holte die Thermoskanne heraus und brachte sie seiner Wirtin. „Ab morgen brauchen Sie mir nichts mehr einzupacken. Ich muss nicht mehr ins Amt“, sagte er. „Ansonsten wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir weiterhin das Frühstück machen.“

Frau Pennysucker erschrak. „Mein Gott, hat man sie entlassen?“

„Schon vor zwei Jahren“, bestätigte ihr Mieter, „aber ich bin trotzdem hingegangen.“

Das verstand Pennysucker schon gar nicht, doch sie sagte nichts. Hauptsache, die Miete wurde gezahlt.

In seinem Zimmer breitete Olmenburg auf dem Tisch eine Zeitung aus und holte die Sektflasche aus der Tasche. Nun stand sie vor ihm mit all ihren Geheimnissen. Ein Glück, dass niemand in seine Aktentasche geschaut hatte. Er hatte alle Zeit der Welt, das letzte Geheimnis des Geheimarchivs zu lösen.

Zunächst betrachtete er die Flasche selbst. Sie sah wie eine ganz normale Sektflasche aus, war aber ziemlich verschmutzt. Olm betrachtete sie genauer mit einem Vergrößerungsglas. Ihm fiel ein Glasrelief mit der Jahreszahl 18*26 zwischen einem fünfzackigen Stern auf fünf nach unten strebenden Linien auf. Das sah aus wie der Stern von Bethlehem oder eine Silvesterrakete. Die Jahreszahl war interessant. Sollte diese das Alter der Flasche darstellen?

Der Koogl Analysator würde mehr über sie herausbringen.

Der Laserscanner benötigte ganze 5 Sekunden und eine ganze Umdrehung der Flasche um ihre Längsachse, dann kam schon das Ergebnis:

Messung infolge starker Verschmutzungen durch Fremdmaterial ungenau. Vorläufige Analyse: Sektflasche der Sektkellerei Kessler in Esslingen, Deutschland, mundgeblasen, mit Anhaftungen von …

Es folgte eine lange Liste von verschiedenen Algen, Strukturen aus Kieselsäuren, Kristallen und Insektenteilen.

Zusammenfassung: Nach den bisher ausgewerteten anhaftenden Spuren stammt die Flasche aus den ersten 14 Jahren des 20. Jahrhunderts. Sie wurde zunächst geöffnet und geleert, danach erneut verkorkt und in das Wasser eines verschmutzten Hafenbeckens verbracht. Weitere Spuren, insbesondere mehrere Kratzer am Hals und eine winzigkleine Absplitterung am Boden lassen vermuten, dass die Flasche längere Zeit in Gletschereis eingefroren war.

Eine genauere Bestimmung der Glasbläserei und der Sektkellerei könnte durch eine Hohlraumanalyse herbeigeführt werden.

Olmenburg staunte. Das deutete doch stark auf eine Flaschenpost hin, was er ohnehin schon vermutet hatte.

Auch die Hohlraumanalyse war schnell erledigt und brachte weitere Ergebnisse zutage. Zunächst überflog Olm die technischen Daten von Länge, Breite und Höhe. Das war weniger interessant, die Aussage über die Wandstärke schon eher. Seitenweise folgten weiter Einzelaussagen. Die meisten lasen sich wie eine Liste der Teilnehmer einer Insektenvollversammlung, die sich alle im Laufe der Zeit in der Flasche getroffen hatten. Igittigitt!

Er scrollte schnell zur Zusammenfassung an das Ende der Analyse. Dort fand er das, was er suchte:

Die Flasche wurde 1909 in der Schwarzwälder Glashütte Buhlbach in Baiersbronn mundgeblasen. Dies ergibt sich aus der Form und den Glasbestandteilen. Das Glasrelief zeigt das Gründungsjahr 1826 der Sektkellerei Kessler mit dem „Großen Kometen“. Dieser Komet steht für den Jahrhundertwein von 1811, an dessen Erzeugung der Firmengründer in seinem früheren Champagnerhaus in Reims maßgeblich beteiligt war. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts tauchte dieser Komet auf zahlreichen Flaschen und Etiketten der Firma Kessler auf. Der Firmengründer Christian Georg von Kessler verstarb im Jahre 1842.

Der so genannte „Große Komet“ (Komet Flaugergues) wurde 1811 von Honoré Flaugergues zuerst entdeckt und war so hell, dass er mit bloßem Auge gut erkennbar war. In diesem Jahr gelang den Winzern in Europa ein Jahrhundertwein, was man mit dem Einfluss des Kometen erklärte. Der Wein wurde allgemein als „Kometenwein“ bezeichnet.

Die analysierte Flasche gehört zu einer Serie von nur 250 Flaschen und wurde für die Sektkellerei Kessler in Verbindung mit der Werbeaktion „Kessler Sekt - Der siegende Dreadnought“ hergestellt.

Als „Dreadnut“(frei übersetzt: Fürchtenichts) bezeichnete man in Großbritannien ein Einkaliberschlachtschiff (Linienschiff). Dieser Begriff wurde später auch in anderen Ländern, wie auch von der Kaiserlichen Marine übernommen.

Der Analysator wies ferner auf ein Werbeplakat von 1910 hin. Darauf war ein Kriegsschiff mit zwei Schornsteinen, drei Masten und vielen Kanonen abgebildet. Den Schiffsrumpf bildete eine Kessler Sektflasche. Die Grafik war von dem Simplizissimus-Zeichner Th. Th. Heine (1867-1948) gefertigt und sollte eine Anspielung auf die 1902 eingeführte Sektsteuer zur Finanzierung der Flottenaufrüstung des Deutschen Reiches sein. Im oberen Bildbereich stand der Schriftzug „Kessler Sekt – Der siegenden Dreadnought“. Das Impressum unter dem Plakat verzeichnete: G. C. Kessler & Co., Kgl. Hoflieferant, Esslingen. Aelteste deutsche Sektkellerei. Gegründet 1826.

Olmenburg starrte nachdenklich auf den Monitor mit der Analyse. Seine Vermutung hatte sich bestätigt. Es war tatsächlich eine Flaschenpost aus der Zeit um 1910. Die Flasche stammte eindeutig aus einer Produktion von 1909, die ausschließlich an die Kaiserliche Marine für einen Empfang auf dem Panzerkreuzer SMS Blücher, anlässlich der Ernennung des Admirals Alfred von Tirpitz zum Großadmiral ausgeliefert wurde. Das deckte sich mit dem beigefügten Briefbogen. Doch weshalb, zum Teufel, hatte man die Flaschenpost ins Meer geworfen? Das konnte vielleicht die Geheimnachricht aufklären.

Die Handschrift auf dem Blatt bestand aus merkwürdig kantigen, überwiegend spitz zulaufenden Schriftzeichen. Olm ließ auch dieses Blatt durch den Scanner laufen. Vielleicht gab es ja eine Dechriffierung dafür.

Die Antwort war viel einfacher. Bei der Handschrift handelte es sich um die deutsche Kurrentschrift, welche um 1911 durch die Sütterlinschrift abgelöst wurde. Der Text lautete:

Das ist eine wichtige Flaschenpost.

Wir sind hier auf dem Panzerkreuzer SMS Blücher zusammen mit Kaiser Wil­helm dem Zweiten und Leutnant zur See Hellmuth von Ruckteschell. Wir haben gerade ein Schiff versenkt. Das hat Spaß gemacht. Bitte schicken Sie diese Nachricht an Wilhelmine Heldenreich, Dorpamarsch im Deutschen Reich. Unser Vater ist gerade bei dem großen Admiral Tirpitz und lässt auch grüßen.

Viele Grüße von Emma und Berta.

Der Text war eindeutig eine verschlüsselte Nachricht. Kein Wunder, dass Churchill darin den Beweis für ein Kriegsverbrechen der Deutschen Marine vermutete. Olmenburg musste die Zusammenhänge nur noch klären. Wenn die Titanic tatsächlich von der Blücher versenkt worden war, dann war das eine Sensation. Alles deutete darauf hin. Die Zeit stimmte. Die Flasche befand sich zum Zeitpunkt des Untergangs mit großer Wahrscheinlichkeit im Meer.

Doch wie kam sie in das Geheimarchiv der Britischen Admiralität? Warum wurde sie überhaupt mit der chiffierten Botschaft ins Meer geworfen?

Das waren alles Fragen, die der Olm noch klären musste.

Dorpamarsch Forever

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