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Schwarz und ohne Zucker
ОглавлениеDer Autoverkäufer schaute geringschätzig beiseite, als Rupp den Autosalon betrat. Er sah sofort: Dieser Kunde, wenn es überhaupt einer war, lag unter dem Niveau der Automarke, deren Stern gerade wieder aufging. Nach der großen Pleite begann die neu gegründete Public Mobile Group AG – allgemein nur, als „PM“ bezeichnet – unter dem alten Logo einen Neuanfang. Der SUV war gerade im März 2016 auf den Markt gekommen, allerdings nicht „Made in Germany“. Er wurde in China gebaut. Aber Konstruktion, Konzept und Entwicklung lagen in deutscher Hand, versicherten die Prospekte.
Raupe gab sich privat gern etwas lässig. Dazu gehörten auch die Jeans und die schwarze Lederjacke. Alles schon etwas abgetragen. Der Verkäufer beachtete ihn nicht, auch als Raupe demonstrativ um einen Ausstellungswagen herumschlich. Er polierte stattdessen einige imaginäre Fingerabdrücke an einem anderen Fahrzeug weg.
Raupe wollte die Fahrertür öffnen, doch schon zischte der Verkäufer: „Bitte nicht anfassen!“
„Ich möchte mal einen Blick ins Cockpit werfen“, forderte Rupp.
„Sie sollten mal einen Blick in die Preisliste werfen“, erwiderte der Verkäufer. „Dann erübrigt sich bestimmt auch der Blick ins Auto!“
Solch eine Arroganz hatte Raupe noch nie erlebt. Wurden denn hier nur Leute mit Anzug und Binder bedient? Er setzte sich demonstrativ auf einen Stuhl, der zu einer kleinen Sitzgruppe gehörte, und schwieg.
Der Verkäufer näherte sich misstrauisch und überlegte, wie er den ungebetenen Gast wieder loswerden könnte. Mit Gewalt wohl kaum.
Ein Ehepaar betrat den Laden, er mit dunklem Anzug, sie etwas aufgedonnert mit rotem Hut. Die hat ohnehin nichts zu sagen, sah er sofort mit geübtem Verkäuferverstand, und sprach den Mann an: „Was kann ich für Sie tun?“
„Ich interessiere mich für einen Wagen der gehobenen Mittelklasse.“
„Ja, gewiss doch, da sind Sie bei uns genau richtig“, hub der Verkäufer eilfertig an. „Würden Sie bitte erst einmal Platz nehmen, dann können wir in Ruhe Ihre Wünsche besprechen.“ Er dirigierte das Paar zu der Sitzgruppe und sprach Raupe an: „Der Platz wird jetzt gebraucht.“
Raupe nahm das nickend zur Kenntnis und blieb sitzen. Der Verkäufer räusperte sich.
„Der Herr kann ruhig sitzen bleiben“, meinte der Kunde im Anzug und setzte sich ebenfalls. Der Verkäufer rückte einen zweiten Stuhl für die Dame zurecht.
„Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?“, fragte er.
„Ja gerne, schwarz ohne Zucker“, antwortete Raupe.
„Für uns bitte auch!“, meinte der Mann.
„Für mich bitte mit Sahne!“, fügte die Frau hinzu.
Den Verkäufer packte die Verzweiflung. Jetzt musste er schon drei Personen bedienen, und der abgeschabte Mensch störte allein schon durch seine Anwesenheit.
„Worauf warten Sie noch?“, fauchte er Raupe an.
„Darauf, dass ich bedient werde“, entgegnete Raupe, „und solange bleibe ich hier sitzen!“
„Sie sehen doch, dass ich Kunden habe“, lamentierte der Verkäufer.
„Ich bin auch Kunde!“, erboste sich Raupe jetzt. „Zumindest war ich einer, doch jetzt ist mir der Spaß vergangen. Bitte veranlassen Sie, dass mich einer der Direktoren der PM Group noch heute anruft!“ Er zog seine Visitenkarte heraus und reichte sie dem Verkäufer. Dieser las fassungslos die Karte des Geschäftsführers der Emma Heldenreich Stiftung, die zu einer der größten Reedereien Bremens gehörte.
Kaum eine Stunde später rief der Reeder bei Raupe an. „Was suchten Sie denn bei der PM Group?“, wollte er wissen. „Der Chairman rief mich an und wollte wissen, warum er so dringend zurückrufen soll.“
„Eigentlich wollte ich mich im PM-Autosalon nur erkundigen, ob man dort auch Motorräder bekommt, aber der Verkäufer hat mich nicht bedient.“
„Motorräder?“, fragte Hansen. „Die bauen doch keine Motorräder! Die haben immer nur Autos produziert, wenn man von den betriebseigenen Currywürsten einmal absieht.“
„Ja, schon“, erklärte Raupe. „Ich bin da einer merkwürdigen Sache auf der Spur. Ich habe einen Umschlag mit Konstruktionsplänen in Kömmels Schreibtisch gefunden. Na, eigentlich ist es ja jetzt mein Schreibtisch, aber wo kommen die Pläne her?“
„Und wie kommen Sie in diesem Zusammenhang auf die PM Group?“, wollte Hansen wissen.“
„Weil diese auf allen Plänen eingetragen ist.“
„Ich glaube, das besprechen Sie mal direkt mit Walker. Er erwartet Ihren Anruf. Und halten Sie mich auf dem Laufenden.“
Unter der genannten Nummer meldete sich die persönliche Assistentin des Chairmans. Sie war bereits informiert und vereinbarte mit Raupe einen Gesprächstermin für den nächsten Tag.
Na also, geht doch!
„Was haben Sie denn bloß mit unserem Verkäufer gemacht?“, fragte Hendrick Walker, Vorstandsvorsitzender der PM Group AG, als Raupe das Büro betrat. „Der arme Kerl war ja ganz geknickt, als er mich anrief und um dringenden Rückruf bei Ihnen bat.“
„Hat er den Grund meiner Bitte um Ihren Anruf genannt?“, fragte Raupe zurück.
„Na eben nicht!“, wunderte sich Walker. „Ich habe deshalb Hansen angerufen, weil ich den vom Golfspielen kenne. Aber der wusste noch nicht mal, dass Sie in unserem Autosalon waren. Also, wie kann ich Ihnen denn helfen?“
„Nur eine Frage beantworten!“, antwortete Raupe. „Die hätte mir auch der Verkäufer beantworten können.“
„Und warum haben Sie ihn nicht gefragt?“, wollte Walker jetzt wissen.
„Ich hatte keine Chance! Er ignorierte mich völlig! Er behandelte mich, als wäre ich ein Obdachloser, der einen Kaffee schnorren wollte.“ Raupe beschrieb nun ausgiebig, wie es ihm in dem Autosalon ergangen war.
Man sah Walker deutlich an, wie verärgert er war, aber ein Lächeln konnte er sich trotzdem nicht verkneifen. „Eigentlich ein guter Mann!“, sagte er, „An seiner Menschenkenntnis sollte er noch arbeiten!“, dann, zu Raupe gewandt: „Wie war denn die Frage?“
„Verkaufen Sie auch Motorräder?“, wollte Rupp wissen.
Walker war etwas verblüfft. „Nein!“, sagte er bestimmt. „Aber wie kommen Sie denn ausgerechnet jetzt auf diese Frage? Wir haben tatsächlich vor, eine neue Sparte Motorräder aufzubauen, aber das sind nur erste Überlegungen.“
„Nur erste Überlegungen?“, wand Raupe ein. „Ist das nicht schon ein bisschen mehr?“
„Wie kommen Sie denn darauf?“, wehrte Walker ab.
Raupe öffnete seine Aktentasche und entnahm ihr den Umschlag, den er in seinem Schreibtisch gefunden hatte. Er zog einen ganzen Packen Pläne heraus und breitete sie auf Walkers Schreibtisch aus. Es waren offensichtlich Konstruktionspläne für ein Motorrad, und in der Kopfleiste eines jeden Blattes waren das Logo und der Firmenname „PM Group AG“ eingetragen. „Können Sie mir das erklären? Sind das die ersten Überlegungen? Und wie kommen die Zeichnungen in meine Schreibtischschublade?“
Walker starrte erstaunt auf die Pläne, nahm den einen und anderen in die Hand, hielt ihn gegen das Licht und schüttelte den Kopf. „Ich versichere Ihnen, die habe ich noch nie gesehen. Da scheint unsere Entwicklungsabteilung schon weiter zu sein, als ich dachte. Wer ist denn der Konstrukteur?“ Er versuchte, den Namen zu entziffern, aber die Pläne waren nur mit einer unleserlichen Unterschrift signiert. Eigentlich sah es mehr wie eine kleine Zeichnung aus – als hätte Otto Waalkes den Rüssel eines Elefanten gezeichnet.
Walker griff zum Telefon und bat die Chefsekretärin, sofort Herrn Chang in sein Büro zu bitten. Dieser erschien nur wenige Minuten später.
„Unser Chefkonstrukteur, Herr Chang Weig So, Herr Friedrich Rupp, Geschäftsführer der Emma Heldenreich Stiftung“, stellte er die beiden vor. Dann wandte er sich direkt an Chang: „Warum weiß ich nichts von diesen Plänen? Wer hat sie in Auftrag gegeben, und wer ist der Konstrukteur?“
Chang betrachtete aufmerksam die Zeichnungen und antworte dann in einwandfreiem Deutsch: „Diese Pläne habe ich noch nie gesehen, und …“, er tippte auf die Unterschrift, „die Signatur kenne ich nicht. Sie stammt nicht aus meiner Abteilung.“
Es wurde immer rätselhafter. Raupe überlegte. Warum wollte man die Existenz der Baupläne abstreiten? Das heißt, die Pläne existierten ja. Das konnte man nicht abstreiten. Aber warum taten Walker und sein Chefkonstrukteur so, als gäbe es die Pläne gar nicht? Da war etwas faul! Raupes Interesse wuchs von Minute zu Minute.
„Würden Sie uns die Pläne bitte für eine Überprüfung überlassen?“, fragte Walker jetzt.
„Nein!“, wehrte Raupe entschieden ab. „Wenn Ihnen die Konstruktionen nicht gehören, sehe ich auch keinen Grund, sie Ihnen zu überlassen!“
Walker überlegte einen Moment und gab dann seinerseits zu bedenken: „Das ist ein interessantes juristisches Problem: Sie besitzen Konstruktionszeichnungen, die mit Namen und Logo unserer Firma gekennzeichnet sind, wissen aber nicht, woher sie stammen, wir dagegen können sie im Augenblick nicht zuordnen, obwohl sie offensichtlich uns gehören. Was meinen Sie wohl, wer – juristisch gesehen – Eigentümer der Pläne ist?“
Raupe musste zugeben, dass das Recht auf Walkers Seite stand, doch er wollte nicht so kampflos aufgeben. Irgendetwas stimmte da nicht. Das wollte er jetzt wissen!
Aber Walker war eher nachdenklich als kampfbereit. Er wollte das Geheimnis auch aufklären, aber dazu benötigte er die Pläne. Wie sollte er sie sonst im Detail überprüfen? Irgendjemand aus seinem Betrieb musste sie doch angefertigt haben, es sei denn, es war eine Totalfälschung, die man ihm unterschieben wollte. Er machte deshalb Rupp den Vorschlag, in dessen Gegenwart von allen Zeichnungen eine Kopie in Originalgröße anzufertigen. Die technischen Möglichkeiten gab es im Betrieb. Raupe würde dann die Originale wieder mitnehmen, und die PM Group konnte die Kopien ausgiebig prüfen.
So geschah es auch. Raupe zog mit den geheimnisvollen Papieren wieder ab, und Walker versprach, sich zu melden, wenn er das Geheimnis gelöst hatte.