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SCHUHRIEMEN, BITTE!

Sinnbild und Überrest einer großen Zeit, durch Teisingermethoden aus Alltagsmaterial schnellstens hergestelltes Heldentum, mit moderner Prothesenkonstruktion neu angelegtes und repariertes Ebenbild Gottes, aufgestellt an der Straßenecke, wo Kriegsgewinn und Jetzt sich kreuzen, schwingt ein Etwas von einem Menschen in der durch einen gutmütigen oder boshaften Zufall nicht auf dem Felde der Ehre verbliebenen Rechten einen Bund Schnürsenkel. Statt auf Beinen, die andere Schnürsenkelverkäufer außer der Bronzenen auch noch nach Hause gebracht haben, steht dieser auf zwei hosenumschlotterten Prothesen. Mit der Leidenschaft jener Verzweiflung, der man es ansieht, daß sie ein Kind der Wiener Invalidenfürsorge ist, schwingt er sein Bund über den Häuptern arbeits- und beschäftigungsloser Passanten, schwingt sie siegreich, die schwarze Fahne des Elends. Schmettert immer wieder, immer wieder sein: Schuhriemen, bitte! In die Menge, als müßte er diese zum Sturm anführen. Seine Schuhriemen sind unverfälschter Papierspagat – sonst hätte er sich schon längst aufgeknüpft. Von frühem Morgen bis in die Nacht hinein kann man meinen Schnürsenkelverkäufer sehen. Sein Bund bleibt immer gleich groß, kein Mensch kauft Schnürsenkel aus Papierspagat. Aber unermüdlich schreit und fuchtelt dort an der Ecke das Fragment eines Menschen herum, flackernden Hunger in der Miene, Drohung und Gebet in der Stimme. Ist gar kein Schnürsenkelverkäufer mehr, sondern Mahnbild und Prophet. Sein Schrei wird überfahren vom Gekreisch der um die Ecke biegenden Elektrischen, seine Handbewegung weggewischt von der Geste des Profitgeistes. Um ihn herum feilscht Welt, Weib und Gewinn, linkswalzt Wien, die Stadt des Blaufuchses und des Kriegsblinden …

Der General

Täglich um die Morgenstunde, zu der ein Pfeifendeckel zur Salzsäule erstarrte: Exzellenz, ich melde gehorsamst …, geht der General die Straße entlang, frisch rasiert und backenbartgepflegt. In seinem Gang militärische Knappheit und Pseudozielbewußtsein, in seiner Haltung inhaltslose Dressur. Sein Auge noch so blitzblau wie damals, als er vor dem Feinde und zwischen den beiden eine Brigade stand. Bemüht, in die Zukunft zu sehen, sieht er Vergangenheit. Vergangenheit mit Marschmusik, Donnerhall, Prinz-Eugen-Brücken, Gehorsam und Sklavensinn. Wenn ein Soldat an dem General vorbeikommt, bemüht sich der Alte, nicht zu sehen. Er will nachsichtig sein und drückt ein Auge zu. Aber dann ist Bitterkeit, Leere, gähnender Weltraum, Grenze der Vernunft. Er war General, weil sie ihn Exzellenz nannten. Er war General im Gefüge der Brigade. Er war »komplett«, als ihn die anderen grüßten. Er war nie Individuum. Immer ein Bestandteil, wie ein Knopf, ein Kolbenhals, ein Tornister, eine Wasserjacke. Er fand seine Ergänzung im Gehorsam der anderen. Jetzt ist er Überrest, Fragment, Brigadier oder Brigade, Stratege ohne Dienstreglement, Herr ohne Diener. Aber Herr noch immer, mit der Gloriole einer tragischen Ironie um die Generalskappe, standesbewußt ohne Stand und ehrenhaft ohne Kodex …

Nacht und Hoffnungslichter

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