Читать книгу Kunst des Lebens, Kunst des Sterbens - Yungdrung Wangden Kreuzer - Страница 10

Gelassenheit, Mitgefühl und Luzidität

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Und damit kehren wir zurück zu dem, was ein gutes Leben eigentlich ausmacht und ermöglicht: die Kultivierung von Gelassenheit, Mitgefühl und Luzidität.

Das Achten auf persönliche Psychohygiene und die Anwendung von Meditation und Entspannungsübungen zur Stressreduktion sind zu einer lebensnotwendigen Gegenmaßnahme geworden, um dem sich aufbauenden inneren und äußeren Druck überhaupt standhalten zu können. Meditation kann im gedanklichen Chaos Ordnung schaffen, kann psychisches und physisches Leid lindern und heilen, und sie kann als Teil einer umfassenden Geistesschulung, wenn sie kontinuierlich und systematisch geübt wird, schließlich sogar die eigentlichen Ursachen unseres Leids, die tief in unserem Unterbewusstsein liegen und uns konditionieren, beseitigen und damit auch den Zustand eines bleibenden, von äußeren Umständen unabhängigen Glücks verwirklichen.

Wie gesagt: Kein fühlendes Wesen will leiden. Alle Wesen suchen das Glück oder das für sie Angenehme, aber leider meist auf Wegen, die sie von Objekten abhängig machen und Sucht erzeugen und damit notwendigerweise zu neuen Leiden führen und den Zustand des Mangels, der Unfreiheit und geistigen Unruhe damit fortsetzen. So heißt es auch bei Seneca: »Wenn du glücklich sein willst, vermehre nicht deine Besitztümer, sondern verringere deine Wünsche.« Durch die Übung der Meditation erfährt der Geist häufiger Zustände von entspannter Ruhe, von wunschlosem Glücklichsein und eine nichturteilende, verständnisvolle Klarheit, die authentische Selbsterkenntnis ermöglicht. Durch die Einübung einer gelassenen, an nichts haftenden Wachheit und ruhigen Achtsamkeit gegenüber den eigenen Gedanken wird man dieser erst wirklich gewahr, durch Gewahrsein wird man frei von ihnen, und irgendwann steht es uns wirklich frei, ihnen zu folgen oder nicht. Diese Übung des ständigen Loslassens kann schließlich zu einer stabilen, verlässlichen »Gelassenheit« führen, die frei ist vom Denken, frei vom Ich und seinen Wünschen und Ängsten, und sie bringt uns mit dem Leben in Einklang, bedeutet sie doch eigentlich nichts anderes, als ein Leben in Übereinstimmung mit der vergänglichen Natur aller Dinge zu führen.

Luzidität im Sinne des Buddha bedeutet, unser eigenes Denken und all unsere Erfahrungen als von der Natur eines Traums zu erkennen und zu meistern. Gelingt es uns, beides, Gelassenheit und Luzidität, zu kultivieren, so können wir die Ursachen des Leids in uns – also Unwissenheit und Unachtsamkeit, Anhaften und Aversion – beseitigen, und die Ursachen des Glücks heute und in der Zukunft werden dadurch vermehrt. Alle Erscheinungen können uns dann zum Freund und Lehrer und zum willkommenen Anlass eines immer neuen und frischen Erkennens des Wesentlichen werden.

Durch die Betrachtung des Vergänglichen erkennen wir das Unvergängliche. Wenn wir den Tod oder die Auflösung der Formen nicht mehr als Ende des Erlebens, sondern als seine Transformation verstehen, so schwindet alle Angst vor Veränderung, und es wird möglich, jeden Augenblick unseres Lebens und Sterbens mit Achtsamkeit und Wertschätzung zu genießen.

Im frühen Buddhismus des »Theravada« besteht die Hauptübung des Meditierenden darin, Körper, Atmung und Geist, ohne zu urteilen, direkt zu beobachten und so der Vergänglichkeit aller Phänomene gewahr zu werden. Durch diese unmittelbare Beobachtung kann man zur zweifelsfreien persönlichen Erkenntnis kommen, dass weder der »Wahr-Nehmende« noch das »Wahr-Genommene« eine bleibende, selbstständige Existenz besitzen.

Alles Lebendige fließt als ein Strom fortwährender Wandlungen, und keiner dieser Augenblicke ist genau so wiederholbar. Vom Feinsten bis zum Gröbsten können wir ein ständiges Werden und »Entwerden« in uns selbst und unserer Umgebung beobachten, und tatsächlich ist Vergänglichkeit das einzig bleibende und gemeinsame, direkt beobachtbare Charakteristikum all unserer sonst so verschiedenen Erfahrungen. Nichts ist so beständig wie der Wandel. Weil alles an uns, in uns und um uns herum vergänglich ist, sind wir im Grunde von Anfang an erlöst – aber wir wollen die Vergänglichkeit und damit unser Erlöstsein nicht wahrhaben. Wir wollen nicht vergänglich sein.

Ein Buddha aber ist völlig vergänglich, fließend und selbstlos. Er ist frei vom Größenwahn und frei vom Minderwertigkeitskomplex des Ich-Bewusstseins, denn er verweilt in nichts.

»So wie Eis nur Wasser ist, sind die Menschen in ihrem wahren Wesen Buddha«, lehrte Hakuin in seinem Gesang des Zen.


Nun ist ein ständiges Erfassen, Begreifen und Einordnen die natürliche Funktion unseres Denkbewusstseins, doch das Denken oder der Verstand kann seiner Art nach die ungreifbare Wirklichkeit nicht erfassen, sondern nur seine eigenen Konzepte, Abstraktionen und Deutungen des Erlebten festhalten, obwohl alle unsere Bewusstseinszustände und alle Erscheinungen vergänglich sind und unser Erleben genau besehen ein ständiges Sterben und Geborenwerden ist – denn was auch immer erscheint, es verschwindet quasi im selben Augenblick wieder, nur um neuer Erscheinung Raum zu geben.

Wir erfahren ein kontinuierliches Schwingen zwischen Form und Formlosigkeit, und doch erscheinen Leben und Sterben unserem dichotomischen Denken als unversöhnliche Gegensätze; und an dem einen haftend, fürchten wir das andere. An dem einen festhaltend, entgeht uns das andere. »Sein oder Nichtsein?«, fragt unser Bewusstsein, denn die übergegensätzliche Einheit von Wahrnehmung und Leerheit kann es nicht erfassen. Seine Funktion ist es, die Dinge auseinanderzuhalten und einzuordnen. Das Bewusstsein lebt in seiner eigenen virtuellen Welt von Namen und Vorstellungen und hält an seinen reduktionistischen und einseitigen Überzeugungen und Begriffen als empirische Wirklichkeit fest.

Hier liegt also eine grundlegende Verwechslung vor, die weitreichende negative Folgen hat, denn wenn die Prämisse falsch ist, sind auch die daraus gezogenen Schlüsse falsch. Daraus ergibt sich eine Kette von Fehlwahrnehmungen. Das denkende Bewusstsein lebt in einem Traum von Fassbarkeit und Pseudowissen, der zwar mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt, aber sprachlich und gedanklich von der Mehrheit der Menschen immer wieder formuliert und als gemeinsames Erleben geteilt wird. Die Glaubenssätze oder geistig-seelischen Konstrukte einer Person sind deshalb auch immer kontextuell in der Verbindung mit seiner Familie und Gesellschaft zu untersuchen, um ihre Textur zu verstehen und sie, falls nötig, lösen zu können.

Je mehr wir an Formen und am Körper haften und uns mit diesen identifizieren, umso mehr fliehen und verabscheuen wir deren Auflösung, als ob es unsere eigene wäre. Dasselbe gilt auch für das Selbstbild und für alles, was unser Bewusstsein als Bleibendes fixiert und »verbegrifflicht«.

Unsere Anhaftungen trüben unseren Blick und verhindern die unmittelbare Schau des Gegebenen, und deshalb definierte Sokrates, genauso wie christliche, buddhistische, hinduistische und taoistische Meister, das philosophische Leben, das Leben eines Menschen, der die Wahrheit liebt und ihr gemäß leben möchte als ein ständiges Sterben, ein ständiges Loslassen, das ihn schließlich von aller Bindung und Beschränkung des Körpers und des Geistes befreien wird, wenn er in einem Vergessen alles Geschaffenen sich selbst schließlich ganz der göttliche Weisheit überlässt.

Sokrates antwortete der unfassbaren Natur der Wirklichkeit entsprechend, indem er sagte: »Ich weiß, dass ich nichts weiß.«


Es ist erfreulich und ein gutes Zeichen, dass seit einiger Zeit überall auf der Welt und vor allem in den nun seit Langem von einer positivistischen und materialistischen Sichtweise in Philosophie und Wissenschaft geprägten westlichen Gesellschaften parallel zu den beschriebenen Entwicklungen aber auch eine Fülle von Büchern über Tod, Sterbebegleitung und verwandte Themen erschienen sind und erscheinen. Ein starkes ­Interesse an Spiritualität und authentischer Selbsterkenntnis ist im Menschheitsbewusstsein entstanden und findet seine Antwort in einer Fülle von Publikationen, die die Weisheitslehren der verschiedensten Traditionen zugänglich machen. Die Bandbreite reicht hier von esoterischen Privatoffenbarungen und Lebensratgebern für »Glückssucher« bis hin zu klassischen Texten der Weisheitsliteratur der Welt und höchsten Belehrungen und Schriften bis heute ungebrochener Übertragungslinien vom Meister auf den Schüler, wie wir sie vor allem im tibetischen Buddhismus finden. Dieser hat mit seiner großen Wertschätzung der schriftlichen und mündlichen Überlieferung die weltweit umfangreichste Literatur über buddhistische Psychologie, ihre Therapien und Meditationstechniken und über Thanatologie (das Wissen vom Sterben und vom Tod) bewahrt und hervorgebracht. Die darin gelehrten Anweisungen werden auch heute noch weitergegeben und präzise in der persönlichen Geistes­schulung und in der Sterbebegleitung angewendet.

Selbst seit über vier Jahrzehnten in der Nachfolge von tibetischen Meistern des Mahamudra und des Dzogchen stehend, bin ich voll Dankbarkeit für die unschätzbaren Lehren, die ich von ihnen erhalten habe. Dasselbe gilt natürlich auch für meine Lehrer im Zen-Buddhismus und im Theravada. (In den Literaturhinweisen im Anhang dieses Buches findet sich eine Auswahl von Büchern, die ich zu einem weiteren Studium empfehlen kann.)


Wenn ich in den Kapiteln dieses Buches über Leben und Sterben, über Bindung und Erlösung, über Zeitgeist und Erleuchtungsgeist, über Irrtum und Wahrheit, über Körper, Psyche und Geist, über Luzidität und Unbewusstheit, über heilsame und unheilsame Manifestationen des Denkens, über Leid erzeugendes und von Leiden befreiendes Handeln spreche, so tue ich das im Gewahrsein der buddhistischen Lehre, dass alles Erkennen, Denken und Benennen der Traum des Geistes ist.

Insofern es Traum ist, ist all unser Erleben auch symbolisch, weil das Denken und Sinnen des Geistes sich als Wort, Gestalt und Situation darin zum Ausdruck bringt und sich, ganz seiner Artung und Qualität entsprechend, dabei verortet und versinnbildlicht. So ist ein jeder Seinsbereich, wie zum Beispiel die Menschenwelt, die karmische Vision der dort lebenden Wesen und wird durch ihr kollektives Denken, ihre Emotionen und Wünsche verändert und geformt. Ein jeder Geist erträumt sich seine Welt und ist, falls er mit Verstand begabt ist, mit der Deutung des Erlebten beschäftigt. Nun ist die Deutung mit dem Erlebten natürlich nicht identisch, prägt aber als Annahme, als Vorurteil und mentales Konstrukt wiederum das weitere Erleben.

Es fällt leicht und ist normal, sich auf die eigenen Deutungen zu fixieren und ihren relativen Charakter zu vergessen. Weil aber der erkennende Geist von seinen eigenen Gedanken und Beschreibungen nicht erfasst werden kann, ist es äußerst sinnvoll, zwischen dem Geist an sich als absoluter Wirklichkeit (Natura naturans) und seinen Erfahrungen und Formulierungen als relative Wirklichkeit (Natura naturata) klar zu unterscheiden. Diese provisorische gedankliche Unterscheidung entspricht natürlich nicht der nondualen Wirklichkeit, sie dient im Buddhismus nur dazu, das Spiel der Wahrnehmung erkenntnistheoretisch zu verstehen.

Worte sind Träger des Sinns und haben lediglich eine hinweisende Funktion, denn nichts von dem, was gesagt werden kann – sei es eine Dummheit, eine mathematische Formel, eine Ideologie, Theologie oder Philosophie –, besitzt eine eigene Wirklichkeit unabhängig vom Geist, der es formuliert und wahrnimmt. Selbst die Buddha-Lehre, die mit immer denselben und immer verschiedenen, der Situation der Hörer angepassten Worten darauf hinweist, dass wir gerade träumen, ist insofern ein Traum im Traum.

Wenn wir träumen, erfahren wir die vielfältigsten Erscheinungen und halten sie für wirklich, doch wenn wir erwachen, verfliegt der Traum, und wir erkennen, dass alles nur in unserem eigenen Geist geschah. Und genauso ist es, so lehrte der Buddha, mit jeder Erfahrung im Universum: Sie erscheint, ist erlebbar, und doch ist sie nichts anderes als der eigene Geist, der sich auf diese Art in sich selbst spiegelt und erfährt. Dies deutlich und ohne Unterbrechung zu erkennen ist Erleuchtung oder völlige Luzidität.

Wenn wir einen Albtraum haben und im Traum leiden, so hat dies zwar seine Gründe in unserem Unterbewusstsein, aber trotzdem werden wir von diesem leidvollen Erfahren in dem Augenblick frei sein, wenn wir erwachen oder wenn wir luzide werden und erkennen, dass es nur ein Traum war.

Das Leid in unserem Traum des Lebens, durch Unwissenheit um die wahre Natur der eigenen Erfahrungen begründet, besteht leider weiter, solange diese Unbewusstheit nicht durch das Erlangen einer vollen, alle Schichten durchdringenden Luzidität oder Erleuchtung abgelöst worden ist.

Der Ausdruck »Luzidität« wurde im Bereich der Medizin und Psychologie bisher einerseits für die Klarheit des normalen Bewusstseins, also für die geistige Präsenz, Wachheit, Ansprechbarkeit und Orientierungsfähigkeit einer Person, verwendet und andererseits für den besonderen Zustand einer gesteigerten geistigen Klarheit im Traumerleben, in dem man sich bewusst ist, dass man träumt. »Luzidität« ist also ein Begriff für Geistesgegenwart und Präsenz, welche, wie die Intelligenz oder das »Helle-Sein« des Geistes einer Person, durchaus geringere und höhere Grade ihrer Entwicklung kennt und in den uns erlebbaren Bewusstseinszuständen entweder kontinuierlich präsent ist, sporadisch erlebt wird oder völlig fehlt wie im Tiefschlaf. In all diesen Erlebnisformen und auch im Sterben und im Nachtodzustand ist Vollbewusstheit oder besser völlige Luzidität erreichbar.


Die leuchtende, erkennende Klarheit des Geistes ist Basis sowohl für das Erkennen einfachster Zusammenhänge und koordinierter Wahrnehmung wie auch für das intuitive Verstehen der wahren Natur von Selbst und Welt und für übersinnliche Erfahrungen wie Telepathie und Präkognition (Vorauswissen).

Wie am Beispiel des möglichen Erlangens von Luzidität im Traum ersichtlich wird, kann und soll unsere geistige Klarheit weiterentwickelt werden und nach und nach alle Schichten bewusster und unbewusster Erfahrung durchdringen. Wir nutzen, wie oft zu hören ist, bisher nur einen kleinen Teil unseres Gehirns – und leider nutzen wir auch nur einen kleinen Teil unseres Herzens, unserer Empathiefähigkeit. Nur ein kleiner Teil des unbegrenzten Potenzials unseres Geistes und seiner Erkenntnismöglichkeiten, ein kleiner Teil der Weisheit und der Liebe, die in uns ist, konnte sich bis jetzt offenbaren.

»Lass den Buddha heraus, der in dir steckt«, so sagt man im Zen. Wer seine geistige Klarheit, die in ihm angelegte Fähigkeit zu einer gesteigerten Luzidität und Achtsamkeit entwickelt, kann das Dunkel der Unbewusstheit durchdringen und sich von der Beschränkung durch eingefahrene Denkstrukturen und subliminale Gewohnheitsmuster, von Konditionierungen und imaginierten Zwängen befreien, indem er durch direkte, nichturteilende Beobachtung deren vergängliches und damit unwirkliches Wesen erkennt. Die konstruktivistische Psychologie geht, in diesem Punkt im Einklang mit der 2400 Jahre alten Bewusstseinslehre des Buddhismus, davon aus, dass wir als Menschen eigentlich nie von absoluter oder auch objektiver Wahrheit denken oder sprechen können, sondern nur von der Art unseres Erkennens, von unserer Art, das Gegebene zu erfahren.

Dass die Dinge nicht von selbst erscheinen, sondern ihre Erscheinung erst vom erkennenden Subjekt mit seinen Anschauungsformen Zeit und Raum produziert wird, sagte auch Kant, aber er versteht diesen Satz anders als der Buddha und folgert anderes daraus. Er ist ein Philosoph der Aufklärung. Er hatte zwar den fiktiven Charakter menschlicher Begriffsbildung und sinnlicher Anschauung erkannt, verstand es aber dann in dem Sinn, dass die äußere Welt davon unabhängig existiere. Ähnlich wie Descartes verfestigte er damit denkerisch ein Subjekt und ein Objekt in der Wahrnehmung, trennte sie voneinander und lieferte so die Prämissen für das sogenannte wissenschaftlich-positivistische Denken, in dem in der Folge die fixe Idee einer klinisch sauberen ­entmenschlichten ­»Empirie« – nämlich die Idee, man könne das Wesen der Natur erkennen, wenn man möglichst so tue, als gäbe es keinen Erkennenden – größte Bedeutung gewann. Die übliche Definition der wissenschaftlichen »Empirie« ist eine Erkenntnis, die nicht von einer Theorie oder Begriffen beeinflusst ist, sondern auf Fakten beruht, die aus der Erfahrung gewonnen werden.

Nun gibt es natürlich keine Erfahrung ohne ein erfahrendes Bewusstsein; und auch alle Messergebnisse sind nichts ohne jemanden, der sie deutet, aber man kaprizierte sich auf die Vorstellung einer unabhängig vom Betrachter existierenden »objektiven« Wirklichkeit.

Ging das vorher geltende theologische Denken von einem göttlichen Wesen und Geist als Schöpfer aller Dinge aus, so wurden im Paradigmenwechsel der Aufklärung zunehmend »Gott«, das Geistige, Transzendente, Unwägbare und dann auch das Seelische als nur subjektiv und erdacht diskreditiert, und die äußere Welt und ihre Verhältnisse wurden als allein wirklich und das Subjekt prägend gesehen. Man fiel also von einem Extrem in das andere. Vom naiven Glauben, dass ein unabhängig existierender, persönlicher Gott uns geschaffen hat und folglich für alles verantwortlich ist, verfiel man in den ebenso naiven Glauben, dass Bewusstsein aus Materie entstanden ist und eine unabhängig existierende Welt uns hervorgebracht hat und bestimmt. Vielen schien die zweite Hypothese sinnfälliger, war sie doch für eine grob sinnliche Wahrnehmung eher nachvollziehbar.

Kunst des Lebens, Kunst des Sterbens

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