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„Muss das wirklich sein, Zoé?“

Thorsten war von der Hartnäckigkeit meiner Schwester derart überrumpelt, dass er sogar aufhörte, in seinem halbsynthetischen Kartoffelbrei herumzustochern. Eines musste man unserer Mensa lassen: In der Kunst, besonders widerliches Essen zu kreieren, erfand sie sich immer wieder neu.

„Aber wieso denn nicht?“ Zoé nagelte unseren gemeinsamen Freund mit ihrem Enthusiasmus förmlich an den Stuhl. „Ihr habt es doch schon an meinem Geburtstag gemacht. Und ich verspreche euch, diesmal habt ihr ein noch dankbareres Publikum.“

„Hm, ich weiß nicht, ob die Zeit noch ausreicht. So ein Bühnenstück muss immerhin gründlich einstudiert werden.“

Dass ich dies sagte, hatte wenig damit zu tun, dass Thorsten und ich uns vor über einer Woche versöhnt hatten. Der springende Punkt war, dass Zoés Plan auch mich miteinbezog – und ich wenig Lust hatte, mich vor der ganzen Universität zu blamieren. Dass es darauf hinauslief, war ziemlich sicher, wenn man bedachte, von was für einem Stück hier die Rede war …

Im Grunde war es nicht einmal ein komplettes Stück, sondern eine Szenensammlung, die anderthalb Jahre zuvor im Laufe einer durchfeierten Nacht entstanden war.

An diesem bedeutungsvollen Tag lümmelten Thorsten, ich und einige Kumpels auf der Wohnheimcouch vor dem Fernseher herum und zappten uns durch die Kanäle. Da wir blau waren wie die Strandhaubitzen, fanden wir alles – wirklich alles! – was lief, unendlich komisch und inspirierend. Irgendwann, als der Morgen schon graute, blieben wir dann am Kinderkanal hängen – und waren begeistert, festzustellen, dass eine Folge von Tom und Jerry lief.

„Muhaha, guckt ma’, was für krass große Ohren der Tscherry hat!“, rief jemand.

„Un’ der Tom hat voll den stylishen Katzenschwanz!“

Nach ausgiebigem, aber unproduktivem Gegröle wurde dann auch zur Tat geschritten: Thorsten, der schon damals eine Schwäche für einfallsreiche Verkleidungen hatte, zauberte sich aus Tesafilm und ungekochten Spaghetti Schnurrhaare und steckte sich hinten einen pinkfarbenen Stoffgürtel in die Hose. (Wo er den plötzlich herhatte, weiß ich bis heute nicht und möchte es auch nie erfahren). Mir als seinem damals schon „liebsten Kolleschen!“ verpasste er ein Paar fettfleckige Papptellerohren. Anschließend malte er mir mit wasserfestem Edding einen schwarzen Mäuseknopf auf die Nase, den ich eine knappe Woche lang nicht aus dem Gesicht bekommen sollte. Den Rest der Zeit bis zu unserem Rauswurf durch den Hausmeister verbrachten wir damit, Szenen aus Tom und Jerry im Stile des modernen Tanztheaters nachzuspielen.

Einige Tage darauf sahen wir uns die entsprechenden Fotos und Kameraaufnahmen während einer langweiligen Vorlesung unter den Schreibbänken an – und gerieten in so ernste Erstickungsgefahr, dass der Dozent uns empfahl, außerhalb des Hörsaals frische Luft zu schnappen.

Allerdings muss man uns zugutehalten, dass wir etwas daraus machten. Noch am selben Abend setzten Thorsten und ich uns zusammen und schrieben einige unserer besonders gelungenen Ideen in ein Heft.

Das Heft verschwand danach, tauchte aber ein Jahr später wieder auf, als Thorstens Mutter ihn zwang, auch unter seinem Bett Staub zu saugen.

Er brachte es zur Uni mit, wir suchten und fanden die dazugehörigen Bilder in seinem Handyspeicher und wurden fast wieder aus der Vorlesung geschmissen.

Da wir nicht wollten, dass unser Meisterstück noch einmal in Vergessenheit geriet, bastelten wir uns Kostüme und überraschten Zoé an ihrem zweiundzwanzigsten Geburtstag mit einer kleinen Stummfilmeinlage.

Der Erfolg bei den Partygästen war größer als wir es uns je hätten erträumen können. Genau genommen war er sogar ein bisschen zu groß.

Zoé, die eine sehr emsige Präsidentin der Uni-Theater-AG war, setzte sich nämlich an diesem Tag in den Kopf, uns bei der diesjährigen Weihnachtsbenefizveranstaltung einen großen Auftritt zu verschaffen – einem Event, das sich jedes Jahr etwa fünfhundert Besuchern erfreuen konnte. Organisiert war es derart, dass jede Fakultät und die meisten AGs mindestens ein Projekt vorbereiteten, welches am Samstag vor dem ersten Advent zwischen zehn Uhr vormittags und fünf Uhr nachmittags aufgeführt wurde. Da auf diese Weise mehrere Veranstaltungen zur selben Zeit liefen, konnten die Besucher frei über den Campus schlendern und sich ansehen, was ihnen gerade gefiel.

Zum Bezahlen wurde niemand gezwungen, aber Spendenkästen gab es an jeder Ecke, und meist kam auch eine schöne Stange Geld zusammen.

„Denk nur an die armen Kinder, die Weihnachten nicht zu Hause feiern dürfen“, appellierte Zoé an unser Gewissen. Dabei attackierte sie Thorsten und mich mit einem Gesichtsausdruck, neben dem der Kater aus Shrek mit seinem billigen Bettelblick einpacken konnte.

„Möchtet ihr nicht dazu beitragen, dass sie wenigstens ein neues Spielzimmer bekommen?“

„Es ist doch wirklich nichts dabei. Am Ende wird es euch bestimmt Spaß machen“, gab Melanie, die ihre blaue Partymähne nun wieder kinnlang und hellblond trug, meiner Schwester Rückenwind. Ich hatte keine Ahnung, wie es dazu gekommen war, aber auf irgendeine Weise hatte sie sich mit ihrem Stuhl genau zwischen Zoé und mich platziert. Nun warf sie mir unter ihren langen, getuschten Wimpern Blicke zu, die auch einem völlig Unterbelichteten verklickert hätten, dass hier ordentlich mit dem Zaunpfahl gewunken wurde. Blicke, die bei mir regelmäßig eine Art emotionalen Totstellreflex auslösten.

Wirklich, ich mochte Melanie – aber nicht, wenn sie so war wie jetzt. Und das war sie seit der Halloweenparty leider ständig.

„Ihr müsstet euch nicht einmal um Kostüme und Kulissen kümmern“, wiederholte jetzt meine Schwester zum gefühlt hundertsten Mal. „Das würden alles wir übernehmen.“

„Ja, klar“, maulte Thorsten. „Genau wie das Wegpissen hinter dem Vorhang, während wir uns vor allen zum Affen machen.“

„Aber das ist doch der Sinn der Sache, oder? Die Menschen sollen über euch lachen.“

„Aber nur in ausgesuchten privaten Kreisen.“

„Hör ihn dir an, wie er sich ziert.“

Melanie, ihres Zeichens Vizepräsidentin der Theater-AG, verdrehte die Augen. Zoé musterte uns ernst, zuerst Thorsten, dann auch mich. Sie seufzte.

„Wenn ihr wirklich nicht wollt, müsst ihr natürlich nicht. Ich dachte nur, es wäre ein nettes Projekt, und wir haben schon letztes Jahr nichts gemacht … aber dann werde ich mir eben etwas anderes ausdenken.“

Damit hatte sie gewonnen. Bei mir sowieso und bei Thorsten auch, weil der noch wegen des Bikinifotos Gewissensbisse hatte.

„Also schön“, stöhnte er schicksalsergeben. „Meinetwegen. Gabe?“

„Ich bin auch einverstanden.“

Zoés und Melanies Gesichter erhellten sich wie zwei aufgehende Sonnen.

„Ehrlich? Oh, das ist so klasse von euch!“

Waren sie einen Augenblick zuvor noch genervt und enttäuscht, führten sie jetzt sogar einen kleinen Freudentanz auf, wenn auch nur im Sitzen. Thorsten und ich tauschten einen resignierenden Blick – und freuten uns insgeheim doch, weil wir die beiden so glücklich gemacht hatten.

Dann jedoch verdüsterte sich Thorstens Miene.

„Ach du Scheiße! Bitte nicht …“

Überrascht folgte ich seinem Blick – und erkannte den Grund für seinen Unmut.

„Was guckt ihr denn da?“ Zoé und Melanie drehten sich auf ihren Stühlen um.

„Ist da jemand Besonderes?“

Thorsten knirschte mit den Zähnen.

„Nur meine Nachbarin …“

Zoé lächelte erfreut. „Ach, meinst du diese Jana, die eure Halloween-Party aufgemischt hat? Dann geht sie also doch hier auf die Uni!“

Thorstens Zähneknirschen wurde so laut, dass ich begann, mir ernste Sorgen um seinen Zahnschmelz zu machen. Auch Melanie machte ein Gesicht, als hätte sie in eine Zitrone gebissen. „Das war echt ’ne krasse Aktion.“

„Aber wo ist sie denn?“ Zoé spähte suchend über den großen und ziemlich menschenvollen Speisesaal.

„Wir könnten sie fragen, ob sie bei unserem Stück mitmacht.“

„Was?“, riefen Thorsten, Melanie und ich wie aus einem Mund.

„Nein!“, stellte mein Kumpel kategorisch klar. „Wenn die mitmacht, steige ich aus.“ Eine zusammengeknüllte Serviette traf seinen Arm. „Hey! Was soll das?“

Zoé funkelte ihn böse an.

„Sei nicht so gemein, Stocki! Überleg lieber mal: Das Ganze wäre viel besser und professioneller, wenn jemand euch musikalisch begleiten würde. Bei Tom und Jerry wäre der Entertainer am Anfang ideal. Und wenn Jana so viele Preise gewonnen hat, könnte sie zwischendurch bestimmt auch ein bisschen improvisieren. Das wäre superlustig!“

Abwägendes Schweigen folgte. Thorsten kratzte sich über den Dreitagebart.

„Sie würde sowieso nicht mitmachen, Zoé.“

„Dann macht es dir ja nichts aus, wenn ich sie frage, oder?“

Er zuckte abweisend mit den Schultern.

„Tu, was du nicht lassen kannst. Aber ich sage dir jetzt schon, die lässt dich abblitzen.“

Zoé wandte sie sich an Melanie und mich. „Ihr zwei habt doch sicher auch nichts dagegen, oder?“

Wir brummten einvernehmlich ein paar unartikulierte Laute, die meine Schwester frei als Zustimmung deutete. Sie bat mich, ihr zu zeigen, wer genau in der sitzenden, schmatzenden, schwatzenden und Essenstablett umhertragenden Menschenmenge Jana war.

Ein wenig widerwillig deutete ich in Richtung Kasse, wo Jana gerade ihr Mittagessen bezahlt hatte. Jetzt stand sie etwas verloren da und blickte ratlos um sich. Wie ich sie einschätzte, hätte sie sich am liebsten alleine an einen Tisch gesetzt. Da aber jeder Tisch von mindestens zwei Personen besetzt war, steckte sie in der Klemme.

Zoé wiederum schätzte ich ganz klar so ein, dass sie Jana ohne Zögern an unseren Tisch einladen würde. Also stellte ich mich schon mal darauf ein, dass gleich irgendetwas Unangenehmes passieren würde.

Ich hatte ja keine Ahnung …

„Ah, ich glaube, ich sehe sie“, freute sich Zoé. Dann änderte sich ihr Gesichtsausdruck. Sie runzelte die Brauen. „Wie, sagtet ihr, hieß sie noch mal mit Nachnamen?“

„Bergmann“, brummte Thorsten. „Jana. Maria. Bergmann.“

Meine Schwester legte den Kopf schief wie eine Meise.

„Hm …“

„Wieso ist das wichtig?“, fragte Melanie, doch da war Zoé schon aufgestanden und schlenderte mit ihrem federnden Gang direkt auf Jana zu. Keiner von uns ließ sie aus den Augen. Ich erinnere mich, dass ich mich noch wunderte, weshalb wir alle so unter Strom standen …

Dann passierte es: Urplötzlich hallte lautes Geschepper durch den Saal.

Alle Gespräche verstummten. Hunderte Gesichter drehten sich. Als jemand voller Panik „Ist das Blut?“ schrie, war ich bereits aufgesprungen.

Als ich bei Zoé und Jana ankam, waren sie schon dabei, die Scherben einzusammeln, die in einem Radius von gut drei Metern um sie herum verstreut lagen.

„Was ist passiert?“, stieß ich aus.

„Nichts. Ich habe Jana erschreckt, und da ist ihr das Tablett aus der Hand gerutscht. Es war meine Schuld.“

Als ich den betont weichen Klang in Zoés Stimme bemerkte, sprangen meine Augen zu Jana. Deren Gesicht war so puterrot, dass ich den Blick instinktiv wieder abwandte.

„Lasst die Finger von den Scherben, ich bitte jemanden von der Reinigung, das wegzumachen. Hat sich jemand von euch geschnitten?“ Beide verneinten.

„Falls du auf das Blut anspielst, das liegt dort drüben.“

Zoé zeigte auf einen dicken Spritzer Ketschup auf dem schwarzweiß karierten Fliesenboden.

„Alles klar bei euch?“, mischte sich nun auch Thorsten in unsere Runde.

Jana blickte erschrocken auf – und wurde, falls überhaupt möglich, noch röter. Ehe jemand etwas sagen konnte, wurden wir von einem jungen Mann mit weißer Schürze und Wischmopp aus der Gefahrenzone gescheucht. Wahrscheinlich hatte die Kassiererin dem Reinigungsteam Bescheid gesagt.

Ohne weitere Absprache eskortierten wir Jana wie selbstverständlich zu unserem Cliquenstammtisch in der hinteren Ecke des Saals. Währenddessen redete Zoé die ganze Zeit beruhigend auf sie ein, als wäre sie ein verwundetes Tier:

„Komm, jetzt setzen wir uns erst mal und erholen uns von dem Schreck. Hast du sehr großen Hunger? Wir können dir bestimmt noch etwas organisieren … ist schon ärgerlich, so etwas passiert immer dann, wenn man es am wenigsten gebrauchen kann. Neulich stand ich auch an dieser Kasse, und da hat mich der Typ hinter mir so angerempelt, dass ich mein ganzes Mittagessen fallen ließ.“

„Da ist aber nichts kaputt gegangen …“, murmelte Thorsten, ehe Zoés böser Blick ihn zum Schweigen brachte.

„Nein, kaputt gegangen ist nichts. Aber auch nur deshalb, weil die Sachen, die ich fallen lasse, nie besonders tief fallen.“

Während sie so weiterplauderte, beobachtete ich Jana aus den Augenwinkeln. Sie wirkte immer noch ein wenig benommen: Ständig strich sie sich eine schwarze Strähne hinter das Ohr, die ihr dann doch wieder in die Stirn fiel. Die Röte ihrer Wangen war allerdings einer Blässe gewichen, die ihr, wie ich widerwillig zugeben musste, ziemlich gut stand.

Sie sah aus wie ein verwirrtes Schneewittchen – eines, das dringlich danach trachtete, das Weite zu suchen.

„Es tut mir leid …“, stammelte sie, noch ehe wir den Tisch erreichten, an dem Melanie uns mit erhobenen Brauen erwartete. „Ich muss gehen …“

Zoé machte ein langes Gesicht.

„So schnell? Ach bitte, bleib noch ein bisschen! Ich habe so viel von dir gehört und möchte mich wirklich gern mit dir unterhalten.“

Jana sah zuerst sie und dann Thorsten auf eine Weise an, als wäre dies nicht das beste Argument, um sie zum Bleiben zu bewegen. Thorsten erhielt sogar einen besonders feindseligen Blick, zu dem ihm bestimmt ein passender Kommentar eingefallen wäre, hätte Zoés Anwesenheit bestimmte Äußerungen nicht unterbunden. Da mein Kumpel sich also in eisiges Schweigen hüllte, wandte meine Schwester sich hilfesuchend an mich:

„Komm, Gabo, jetzt sag du doch auch mal was! Ihr wart doch alle damit einverstanden, dass wir sie fragen.“

Bei diesen Worten zuckte Janas Kopf in die Höhe. Doch statt sich zu erkundigen, was wir denn von ihr wollten, starrte sie mir ins Gesicht.

„Gabo?“, wiederholte sie mit einem schwer zu deutenden Unterton. „Du heißt Gabo?“

„Gabriel, genau genommen“, erklärte ich.

„Erinnerst du dich gar nicht an ihn?“, schaltete sich Thorsten wieder ins Gespräch ein. „Oder erkennst du ihn bloß nicht ohne die Schminke?“

Er grinste über beide Ohren, der Idiot, doch Jana beachtete ihn gar nicht. Sie musterte immer noch mein Gesicht – auf eine verstörend eindringliche Weise. Nach einer Weile fiel mir in meiner Verwirrung nichts Besseres mehr ein, als es Thorsten gleichzutun und ein blödes Grinsen aufzusetzen.

„Ähm … also, ich hoffe, deine Stiefel leben noch, hehe …“

Fantastisch! Ein dämlicherer Spruch hätte dir wohl nicht einfallen können?

Aber ich konnte nichts dafür. Diese silbergrauen Augen machten mich fertig – erst recht, als das unschuldige Silber sich plötzlich in ein brodelndes, äußerst beunruhigendes Nachtgewittergrau verwandelte.

„Du …?“

Ich öffnete den Mund, um irgendetwas zu sagen. Da es aber bestimmt nichts Konstruktives gewesen wäre, war ich meiner Schwester sehr dankbar, als sie mir das Reden abnahm.

„Wenn du kurz Zeit für uns hast, Jana, würde ich dir gerne erklären, weshalb ich mit dir sprechen wollte. Wir hätten nämlich eine Bitte an dich.“

Glücklicherweise hörte Jana auf, mich mit ihren Lanzenblicken zu durchspießen.

„Eine Bitte? Ich wüsste nicht, was ich für euch tun könnte.“

„Wie solltest du auch?“ Zoé lächelte freundlich. „Ich schlage vor, wir setzen uns doch für einen Moment hin, lernen uns kennen, und dann erzähle ich dir alles.“

So wurde es dann auch gemacht. Zoé, Thorsten und ich ließen uns auf unseren alten Plätzen nieder, während meine Schwester für Jana einen neuen Stuhl zwischen ihren eigenen und den von Melanie schob.

„Also“, begann sie, sobald sie unsere ungeteilte Aufmerksamkeit hatte, „mein Name ist Zoé und das hier ist Melanie. Thorsten und meinen Bruder Gabriel kennst du ja schon. Wir studieren alle hier an der Uni, Thorsten und Gabo Medizin, Melanie Physik und ich Kunst.“

Während Jana ihr lauschte, betrachtete sie uns einen nach dem anderen: Thorsten nur ganz kurz, Melanie schon etwas länger – vielleicht weil sie mit ihrem Stuhl auffällig nahe an mich herangerückt war, als Jana sich neben sie setzte. Zum Schluss war dann erneut ich an der Reihe … und bekam schon wieder den unfreundlichsten Blick von allen ab.

Allmählich begann es mich wirklich zu ärgern: Was hatte ich diesem Mädchen getan, dass ich diese Sonderbehandlung verdiente? So teuer konnten diese verflixten Stiefel doch gar nicht gewesen sein …

„Kurz gesagt, geht es uns um Folgendes“, fuhr meine Schwester fort. Sie erklärte Jana, was wir vorhatten und welche Rolle sie in ihrem Plan spielte. Jana hörte ihr aufmerksam zu und taute am Ende sogar genug auf, um eine Gegenfrage zu stellen:

„Woher wisst ihr eigentlich, dass ich Klavier spiele? Oder dass ich für eure Zwecke gut genug bin?“

Zoé streifte mich mit einem schnellen, verlegenen Blick.

„Nun ja … nachdem du ihre Halloweenparty besucht hast, haben Thorsten und Gabo sich ein wenig über dich schlau gemacht. Im Internet steht wohl ziemlich viel über dein Talent.“

„Eigentlich haben wir nur einen Artikel überflogen … ich meine, eine Artikelüberschrift!“, beeilte sich Thorsten mit kühler Miene, unsere angekratzte Würde wiederherzustellen.

„Irgendwas mit Jugendmusik … stimmt’s, Gabe?“

„Hm“, machte ich und senkte vor lauter Unbehagen den Blick auf die Tischplatte – schwerer Fehler!

„Was ist denn mit dir los?“ Mit ihren perfekt manikürten Händen streichelte Melanie meine Schulter. „Du bist schon den ganzen Tag so in dich gekehrt. Hast du Kummer?“

Ich bemühte mich um ein Lächeln, doch es fiel wohl recht armselig aus. Warum musste Melanie ausgerechnet jetzt wieder mit dem Mist anfangen, wo ich doch wirklich genug andere Sorgen hatte?

Als Zoé das Internet zur Sprache brachte, war mir nämlich mit siedender Hitze etwas klargeworden: Dort neben meiner Schwester saß ein Mädchen, mit dessen Freund ich schon seit Wochen einen regen E-Mail-Wechsel betrieb – und zwar in der virtuellen Gestalt einer Frau!

Dass mein Mailpartner wirklich Basti Maurer war und nicht irgendein dubioser Typ namens Marian, hatte für mich immer außer Frage gestanden. Schließlich hatte ich mich von Zoés Foto distanziert, da war es nur verständlich, dass auch er seine wahre Identität leugnete.

Aber selbst wenn es natürlich nie meine Absicht gewesen war, Jana ihren Basti auszuspannen, war es doch nicht sehr fair gewesen, ihn mit meinem Pseudo-Geflirte durcheinander zu bringen. Fernbeziehungen waren schließlich auch ohne solche Störsender schon kompliziert genug. So gesehen hatte ich Janas böse Blicke sogar verdient, selbst wenn sie unmöglich wissen konnte, weshalb …

„Also, was meinst du?“, unterbrach Zoé meine selbstrügenden Gedanken. „Hast du Lust, mitzumachen?“

Jana zögerte. Inzwischen wirkte sie weder sauer noch kämpferisch, sondern einfach nur erschöpft.

„Ich … kann das jetzt noch nicht sicher sagen. Gebt ihr mir ein bisschen Zeit, darüber nachzudenken?“

Zoé schenkte ihr ein herzliches Lächeln.

„Natürlich. Bis zum ersten Dezember haben wir noch zwei Wochen, um alles einzustudieren, dafür brauchen wir dich auch nicht von Anfang an. Ich denke, es reicht, wenn du bei den letzten beiden Proben dabei bist.“

„Das heißt?“

Zoé blickte in die Runde.

„Ich würde sagen, am Freitag, den 30. November, gegen sechs Uhr abends zur Generalprobe, und dann zur Aufführung am Samstagnachmittag. Oder was meint ihr?“

Wir nickten zustimmend.

„Thorsten ist sicher so nett, dir eine Kopie des Skripts vorbeizubringen. Dann kannst du dir die Sache noch mal in Ruhe ansehen und dir überlegen, ob es etwas für dich wäre. Wenn ja, kommst du einfach am 30. in Gebäude 45 A Saal 5 im Keller zur Probe. Dieser Raum ist für die Theater-AG reserviert.“

„Und ihr braucht diese Begleitung wirklich unbedingt?“, hakte Jana nach.

„Das nicht. Aber es wäre ein absolutes Plus, und du würdest uns einen großen Gefallen tun. Und natürlich auch den kranken Kindern …“

Jana seufzte leise. „In Ordnung. Ich werde es mir überlegen.“

Sie stand auf, schulterte ihren Rucksack und nickte uns kurz zu. Dann verschwand sie in der drängelnden Studentenmenge.

Die Brücke aus Glas

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