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Nach diesem Zwischenfall war die Party vorüber – zwar nicht offiziell, aber ihr Lebenslicht war unwiederbringlich ausgeblasen. Wären wir freundlich gebeten worden, die Musik leiser zu stellen, hätten wir es getan, und niemand hätte eine große Sache daraus gemacht. Schließlich waren wir erwachsene Menschen, mit denen sich vernünftig reden ließ. Niemand wollte, dass eine alte Omi wegen uns ihre Migräne bekam.

Aber von einer rotznasigen Schülerin bedroht zu werden und klein beigeben zu müssen, war etwas ganz anderes.

Natürlich regten wir uns über sie auf, vor allem am Anfang. Und nachdem Thorsten uns ihren Namen verraten hatte, geisterte er wie ein Unwort durch die Girlanden-geschmückten Hallen des Stockhausen’schen Anwesens: Jana. Maria. Bergmann. Mörderin der guten Laune.

Besonders unangenehm für mich war die Einsicht, dass alles anders gekommen wäre, wenn ich die Tür nicht geöffnet hätte. Die Klingel der Stockhausens war nämlich einige Tage zuvor kaputtgegangen, und bei dem Lärm im Haus hätte niemand Janas Klopfen gehört.

Sie wäre gezwungen gewesen, aufzugeben, oder wirklich die Polizei zu rufen – was immer noch wesentlich besser gewesen wäre. Eine Feier, bei der die Polizei antreten musste, erhielt sofort den Ruf, besonders ausgelassen, wild und somit gelungen gewesen zu sein.

Eine Feier, die von einer Jana. Maria. Bergmann. verdorben wurde, erhielt diesen Ruf sicherlich nicht.

Dabei trug die Stimmung des Hausherrn nicht wenig dazu bei, dass sich die Gäste in den darauffolgenden Stunden allmählich zu anderen Partys verdünnisierten.

Thorsten war stinksauer.

Als wir gegen halb zwei das Haus für uns alleine hatten, hockte er mit verschränkten Armen auf der schutzbezogenen Wohnzimmercouch und schmollte vor sich hin. Seine finstere Miene verlieh ihm in Verbindung mit seinem Kostüm ein wirklich unterirdisches Aussehen, erst recht im fahlen Schummerlicht der Totenkopflichterkette, die wir mit Tesafilm an der Decke befestigt hatten.

Für einen Moment überlegte ich, ob ich ein Foto von ihm machen sollte, um ihn aufzuheitern, ließ es aber doch lieber bleiben.

Mit einem Seufzen schlurfte ich zur Stereoanlage, von der inzwischen nur noch Musik in der Lautstärke von Kaufhausgedudel ausging, und schaltete sie aus.

Beinahe bereute ich es, denn mit einem Mal wurde es unheimlich still – so als hätte ich, passend zu meiner Verkleidung, unserer armen, präfinalen Feier endgültig den Todesstoß versetzt. Andererseits war es jetzt auch wieder egal.

Mit der Bedächtigkeit eines Priesters während einer Trauerandacht ordnete ich meine schwarze Kutte und ließ mich neben Thorsten auf der Couch nieder. Ich überlegte gerade, wo eigentlich meine Papp-Sense abgeblieben war, da durchbrach plötzlich ein tiefes Brummen die Stille.

„Wieso jetzt?“

Thorsten versuchte, die Fäuste zu ballen, aber seine gepolsterten, roten Hellboy-Handschuhe ließen nicht zu, dass er sie ganz schloss.

„Fünf Jahre lang hatte ich meine Ruhe! Wieso taucht sie gerade jetzt wieder auf? Und warum, zum Kuckuck, hat sie sich nicht geändert?“

Ich machte eine kurze Hochrechnung. Angenommen, Jana hatte die Schule gerade abgeschlossen. Dann war sie also vor fünf Jahren …

„Du meinst, sie war schon mit dreizehn so?“

Thorsten lachte spöttisch auf.

„Schlimmer! Damals hat ihr Großvater noch gelebt, und sie ist jeden zweiten Abend hier aufgekreuzt, um uns zu terrorisieren. Kannst du dir das vorstellen?“

Da ich Thorsten erst seit dem Studium – und somit seit vier Jahren – kannte, konnte ich das nicht. Im Gegensatz zu ihm war ich nach dem Zivildienst von zu Hause ausgezogen, und Zoé, die mir zwei Jahre später folgte, war die einzige Verwandte, die ich in der Nähe hatte. Aus diesem Grund bildete ich mir ein, reifetechnisch ein kleines bisschen weiter zu sein als Thorsten. Aber Partys an jedem zweiten Tag? Das kam mir sogar für seine Verhältnisse ziemlich übertrieben vor – vor allem, da er ja nicht alleine hier lebte. Ich hütete mich jedoch, ihm das ausgerechnet jetzt unter die Nase zu reiben.

„Und was ist dann passiert?“, fragte ich stattdessen.

Mein Kumpel zuckte die Achseln.

„Sie bekam irgendein Hochbegabten-Stipendium und wechselte auf ein Internat irgendwo in der bayerischen Pampa.“

„Meinst du, sie hat die Schule beendet und kommt nun zum Studieren wieder her?“

Thorstens Augen wuchsen auf die Größe von Untertassen.

„Ich hoffe doch, nicht! Sie ist bestimmt nur zu Besuch hier! So eine Hochbegabten-Tussi wird sich doch wohl eine berühmtere Uni suchen als unsere, oder?“

Das „oder“ klang derart flehend, dass ich mir ein Grinsen verkneifen musste.

„Was ist denn mit ihren Eltern?“, fragte ich weiter.

„Ich weiß es nicht genau, glaub, die sind nach Kanada emigriert. Sie arbeiten für irgendein Physikforschungsinstitut. Ich habe sie jedenfalls noch nie gesehen.“

„Aha. Und du bist dir sicher, dass du nicht insgeheim auf Jana stehst?“

Thorsten bedachte mich mit einem Blick, kalt genug, um die Hölle einzufrieren.

„Nein, du Hirni, ich stehe nicht insgeheim auf sie! Ich unterhalte mich bloß beim Müllraustragen öfters mit meiner alten Nachbarin, wie es sich gehört. Deshalb weiß ich einige Dinge über die Familie.“

Ich entschuldigte mich eilig für diesen schweren Fauxpas.

„Und wenn sie hier bleibt, was tust du dann?“

Thorsten schüttelte es vor Entsetzen über diese Aussicht.

„Was soll ich schon tun? Ich kann sie ja schlecht aus dem Haus ihrer Großmutter werfen. Und für die alte Bergmann ist es bestimmt auch schön, ihre Enkelin wieder bei sich zu haben … sie lamentiert zwar nicht herum, wie andere Omas in dem Alter, aber sehr glücklich wirkt sie nicht.“

Als er meinen verwunderten Blick bemerkte, geriet er ins Stammeln. „Das sagt zumindest meine Mutter …“

„Wenn Jana sich solche Sorgen um sie macht, weshalb hat sie sie dann zwischendurch nicht besucht? Fünf Jahre sind eine lange Zeit.“

„Besucht hat sie sie schon, aber nur einmal im Jahr an Weihnachten.“

Ach so … Die Stockhausens waren begeisterte Skifahrer und verbrachten die Zeit um Weihnachten und Silvester traditionell in Österreich.

„Ansonsten schrieben sie sich monatlich Briefe und telefonierten. Meine Mutter sagt, das sind die einzigen Lichtblicke im Leben der alten Frau.“

„Hm …“

Plötzlich kam mir eine Idee.

„Hey, ich weiß, wie wir rauskriegen, ob sie hier bleibt! Wir schauen einfach bei Facebook!“

Thorstens Miene erhellte sich.

„Warte hier!“

Mit einem Satz sprang er auf und flitzte aus dem Wohnzimmer. Zwei Minuten später kehrte er mit einem kleinen Notebook wieder, das er auch gern in die Vorlesung mitnahm.

„Dann wollen wir mal!“

Gespannt steckten wir die Köpfe zusammen, während mein Kumpel den Internetexplorer hochfuhr. Kurz darauf loggte er sich in sein Facebook-Konto ein und überließ es dann mir, Janas Namen in die Suchspalte zu tippen.

„Warte mal!“, rief er, während ich noch am Werke war. „Wir sind doch gar nicht mit ihr befreundet. So können wir ihre Seite überhaupt nicht einsehen!“

Seine Sorge erwies sich als unbegründet, denn die Suchmaschine teilte uns mit, dass es für unsere Anfrage keine Ergebnisse gab. Jana benutzte entweder irgendeinen Spitznamen, den wir im Leben nicht erraten würden, oder sie war gar nicht bei Facebook registriert.

„Das war wohl nichts“, maulte Thorsten.

Enttäuscht begafften wir den blau schimmernden Bildschirm, bis Thorsten die brillante Idee kam, es mit Google zu versuchen.

Hier wurden wir tatsächlich fündig, und zwar nicht zu knapp! Selbst meinem Kumpel entschlüpfte ein beeindrucktes „Wow, nicht schlecht …“, als uns über zwanzig Links entgegensprangen, in denen es aus irgendeinem Grund um Jana ging.

Offensichtlich war sie im Internat gut gefördert worden, vor allem auf musischem Gebiet: Neben einigen Zeitungsartikeln, in denen es um ihre schulischen Erfolge in Mathematik oder Spanisch ging, überwogen bei weitem diejenigen, die ihre musikalischen Aktivitäten dokumentierten.

Das kleine Biest war tatsächlich zweimalige Gewinnerin des ersten Preises beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ in der Kategorie Klavier solo. Ein Artikel vom vorherigen Jahr enthielt auch ein Bild von ihr – das erste, das mir Jana Bergmann zumindest in ihrer halben Pracht zeigte:

Eine kurvige, gut proportionierte Siebzehnjährige mit seidig schimmernden, schwarzen Haaren, die wasserfallartig ihren geraden Rücken herabflossen, um sich dort mit dem Schwarz ihrer Bluse zu vermischen. Sie hatte eine unheimlich aufrechte Haltung, wie sie hinter dem glänzenden Konzertflügel saß. Der Fotograf hatte sie aus einem eher hohen Winkel getroffen, sodass man ihren Oberkörper und einen Teil ihres Faltenrocks erkennen konnte.

Am Auffälligsten war aber ihr Gesicht: ein ovaler, blasser Fleck, der in der dunklen Umgebung leuchtete wie eine weiße Seerose auf einem nachtschwarzen Teich. Ihre Nase war gerade und zierlich, mit einem winzigen Höcker direkt unterhalb der Wurzel, ihre Lippen eher schmal, mit beinahe aristokratischem Schwung. Sie hatte sie leicht geöffnet, was ihrem Gesicht etwas sehr Verletzliches verlieh. Ihre Lider waren gesenkt, so als ob sie schliefe – ein starker Kontrast zu der strammen Körperhaltung.

„Hm, hat sich doch ganz gut gemacht, die Kleine.“ Grinsend stieß ich Thorsten meinen Ellenbogen in die Rippen. Er brummte etwas Unverständliches und klickte auf das nächste Bild – wo uns eine weitere Überraschung erwartete.

„Oho, schau einer an. Hättest du das gedacht?“

Das Bemerkenswerte an dieser Aufnahme war, dass Jana uns hier nicht allein entgegenblickte. Sie hatte auch noch einen feschen, strohblonden Strahlemann an ihrer Seite, der den Arm um ihre Schulter legte und sie eng an sich zog. Wie die sprichwörtlichen Turteltauben trugen beide den gleichen hellgrauen Wollpullover mit einem winzigen, schwarzen Emblem, das wie ein Kranz aussah – vermutlich ihre Internatsuniform. Unter dem Bild prangte in geneigten, schnörkeligen Lettern:

„Bastian Maurer und Jana Bergmann – auf der Bühne und privat ein Paar.“

Thorsten prustete. „Bastijana, wie süß! Besser als Brangelina.“

Ich dagegen war skeptisch:

„Ob das noch aktuell ist? Sie lächelt zwar, aber schau, wie sie das Gesicht zur Seite dreht.“

Thorsten winkte ab. „Ach, das macht sie nur, weil sie es nicht leiden kann, wenn man sie fotografiert. Das war schon früher so. Und guck, das Bild wurde erst vor drei Wochen hochgeladen.“

Thorsten war nicht mehr zu bremsen. Aufgeregt fuhr er sich durch die roten Stachelhaare – das Einzige an ihm, was wir nicht hatten einfärben müssen – und schleuderte den störenden Hellboy-Haarreif zusammen mit den Handschuhen quer durch das Zimmer.

„Wir werden schon noch sehen, ob du mir entkommst, kleines Miststück …“

Mit fliegenden Fingern rief er erneut die Facebook-Seite auf, suchte nach einem Bastian Maurer und … „Bingo!“

Obwohl wir ganz sicher in keiner Weise mit diesem Wunderknaben befreundet waren, schien er nicht viel vor uns verbergen zu wollen. Mit breitem Zahnpasta-Lächeln gab er bereitwillig preis, dass er zwanzig Jahre alt war, sein Abitur auf dem Privatinternat Schloss Eberfelsheim absolviert hatte und sich nun darauf vorbereitete, professioneller Geigenbauer und Violinist zu werden.

Neben seinem Profilbild präsentierte er uns stolz eine Reihe ausführlich kommentierter YouTube-Links sowie eine lange Fotogalerie, in welcher Jana ausgesprochen oft auftauchte – immer mit dem leicht abgewandten Gesicht, ansonsten aber wohl recht friedlich gestimmt.

„Der Typ wohnt in Freiburg. Dann stehen die Chancen doch gut, dass sie ihm dorthin folgt!“

Thorsten rieb sich die Hände, während ich den Blick mit bereits einschlafendem Interesse über die Seite schweifen ließ. Irgendwie kam es mir jetzt blöd vor, was wir hier machten. Partytöterin hin oder her, ich hatte inzwischen das Gefühl, mehr über Jana Bergmann und ihren Typen zu wissen als über manchen meiner engeren Freunde. Und das war definitiv mehr, als ich wissen wollte. Mit einem herzhaften Gähnen streckte ich meine müden Glieder und erhob mich.

„So, Kumpel, ich pack’s dann mal langsam.“

Thorsten hämmerte schon wieder auf die Tasten ein und hörte mir nicht zu. Auch gut. Ich musste sowieso noch meinen Mantel suchen. Und meine Sense natürlich.

Als ich wenige Minuten später in das Wohnzimmer zurückkehrte, hockte Thorsten immer noch auf der Couch und kicherte vor sich hin wie ein leibhafter Beelzebub.

„Guck mal, Gabe! Das ist so geil, geil, geil!“

Erschöpft schüttelte ich den Kopf.

„Thorsten, echt, ich will heim.“

Doch dann ließ ich mich trotzdem noch mal neben ihn plumpsen – und war ganz schnell wieder hellwach.

„Was ist das?“ Ich deutete auf den Bildschirm.

„Ein Chat.“

„Ja, das sehe ich. Wer ist Basti87?“

Thorsten kicherte abermals. „Rate mal.“

„Sag bloß, der ist online.“

„Ist er nicht. Aber er wird sein blaues Wunder erleben, wenn er das nächste Mal online geht. Tja, selber schuld, wenn man alles über sich herumposaunt. Selbst seinen Stammchatroom …“

Mir schwante nichts Gutes.

„Thorsten … wer ist Gabi_hotchicken?“

Mein bester Freund zog den Kopf ein wie ein schuldbewusster Hund den Schwanz.

„Na ja, ich dachte, wenn ich ihm als Frau schreibe, kommt man mir weniger auf die Schliche. Außerdem ist es viel witziger. Und weil ich von Thorsten keine weibliche Form kenne, dachte ich … jetzt guck nicht so, Mann! Ist doch voll egal!“

Da hatte er eigentlich recht – dachte ich zumindest, bis ich las, welche Nachricht Gabi_hotchicken Basti87 hinterlassen hatte:

Hi, Süßer!

Ich habe gerade deine YouTube-Videos gesehen und bin voll angeturnt! Wohnst du eigentlich mit deiner Freundin zusammen? Falls nicht, könnten wir ja mal was unternehmen. Du könntest mir zum Beispiel das Geigespielen beibringen. Ich stehe auf Streichinstrumente, besonders auf die schönen, langen Bögen. ;-)

Was ich biete: Goldbraunes, gewelltes Haar, bernsteinfarbene Augen und einen sportlichen Body. Außerdem studiere ich Medizin.

Bei Interesse melde dich einfach: getewe@jahoo.com.

Knutschaa!

„Na, bin ich ein Genie oder was?“ Der Übeltäter grinste wie ein Schnitzel. „So finden wir mit Sicherheit heraus, ob Jana nach Freiburg zieht.“

Nach ein paar Sekunden der Paralyse hatte ich meinen Sprachapparat wieder soweit im Griff, dass ich mich halbwegs artikuliert an meinen ehemals besten Freund wenden konnte:

„Sag mal, spinnst du, irgendeinem wildfremden Typen meine E-Mail-Adresse zu geben? Samt Personenbeschreibung? Und mit so einem … tuntigen Text!“

Thorsten schaute bedröppelt drein.

„Bist du aber empfindlich. Es ist doch nur eine Adresse von zweien. Und auch noch die, die du kaum benutzt. Du kannst sie jederzeit löschen, falls es brenzlig wird.“

„Ich will sie aber nicht löschen, verdammt! Und überhaupt, du glaubst doch nicht im Ernst, dass Maurer dir … mir darauf antworten wird?“

„Wieso denn nicht? Ich würde darauf antworten.“

Das glaubte ich sofort. Es war doch nicht zu fassen!

„Niemand, der halbwegs bei Trost ist, würde auf eine Nachricht antworten, die klingt, als stamme sie von einer Transe auf dem Strich!“, tobte ich.

Thorsten sah alles andere als glücklich aus, doch diese Nacht hatte ich kein Mitleid mehr für ihn übrig – was ihm offensichtlich nicht bewusst war, denn er schob noch hinterher:

„Dann war es also auch blöd von mir, ein Foto von Zoé anzuhängen?“

Die Brücke aus Glas

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