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3.1 Die existenzerhaltende Strategie der Pflege

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Die Haltung der Pflege wird in einer »existenzerhaltenden Strategie« umgesetzt, deren Aktivitäten »auf die Erhaltung der Existenz, das Wohlergehen und die Entwicklung anderer Menschen und der Umwelt abzielen« (Müller, 2018, S. 87). »Der Gedanke der Existenzerhaltung erstreckt sich dabei nicht nur auf den körperlichen Aspekt, sondern umfasst auch das seelische Wohlbefinden im Sinne der Erhaltung eines positiven Selbstbildes und des Rechts, nicht verletzt oder gedemütigt zu werden« (Friesacher, 2008, S. 288 ff.; zit. n. Müller, 2018, S. 88).

Dabei stehen folgende Kernstrategien im Vordergrund: aufmerksam sein, in Kontakt gehen, in Beziehung gehen/sein/bleiben, ohne Gegenleistung handeln, nähren/versorgen, Verantwortung übernehmen, Sicherheit herstellen, Angst reduzieren, Hoffnung stärken, Lösungen entwickeln, präventiv denken, vorwegnehmend handeln, (Teil-)Führung übernehmen, anwaltschaftliche Vertretung (Müller, 2018, S. 92). Diese »Handlungsstrategien sind charakteristisch und ein Alleinstellungsmerkmal für den Pflegeberuf« (Müller, 2018, S. 96).

Pflege ist in verschiedener Hinsicht existenzrelevant. Denn zunächst zielt Pflege mit ihren Stärken und ihrer Haltung auf die eigene Existenz der Pflegenden selbst und erst danach auf die Existenz der Pflegebedürftigen ab. Erst über die eigene Existenzerhaltung der Pflegenden wird die Existenzerhaltung anderer Menschen ermöglicht. Insofern wird dem Punkt »ohne Gegenleistung handeln« (Müller, 2018, S. 92) als Kernstrategie hier entschieden widersprochen. Selbstlosigkeit im Sinne eines jahrzehntelangen falsch interpretierten und zu Unrecht proklamierten unterwürfigen Dienens (s. Kap. 2.1) führt zur Selbstaufgabe und ist deshalb für jede Pflegekraft ungesund und nicht erstrebenswert. Jeder Pflegekraft steht sehr wohl eine angemessene Gegenleistung für ihre professionelle Arbeit zu. Sie wird zu Recht erwartet!

Jede/-r einzelne an Corona Erkrankte, aber auch jede/-r andere Pflegebedürftige hat spätestens in dieser krisenhaften Zeit die außerordentliche Bedeutung der Pflege kennen und schätzen gelernt. Denn nur die Pflege ist in ständigem Kontakt mit den Infizierten und allen anderen Pflegebedürftigen, trotz der erhöhten Infektionsgefahr, trotz der deutlich erschwerten Arbeitsbedingungen mit ständigem Mundschutz und spezieller Schutzkleidung, trotz der zahlreichen Todesfälle und trotz der Sorgen um die eigene Gesundheit und um die Gesundheit der eigenen Familie.

Für alle diejenigen, die pflegebedürftig sind, bedeutet Pflege neben Versorgung, Hilfe und Linderung bei Schmerz und Leid vor allem auch Zuwendung, Ansprache, gemeinsame Zeit miteinander verbringen, sozialen Kontakt halten, auch wenn sonst keine Kontakte mehr aufrechterhalten werden können, und trägt damit zur Existenzerhaltung bei.

Kontakt und Zuwendung ist für jeden Menschen schlechthin existentiell notwendig. Denn der Mensch ist ein ζῴον πολιτικόν (zoon politikon), ein Gemeinschaftswesen, das den Kontakt mit anderen Menschen unbedingt benötigt, weil es sonst vereinsamt, darüber krank wird und sogar daran sterben kann. »Der Mensch als ein soziales Wesen lebt […] in Gemeinschaft mit anderen und steht mit diesen in Beziehung und Abhängigkeit« (Müller, 2018, S. 83).

Deshalb sind kranke, behinderte und alte alleinstehende Menschen von der Coronapandemie besonders schlimm betroffen. Sie sind von sozialer Isolation bedroht, weil ihnen menschlicher Kontakt fehlt und im Extremfall überhaupt nur durch Pflegepersonen aufrecht gehalten und gewährleistet werden kann.

Für viele Pflegebedürftige bedeutet Pflege in so einer Krisensituation Hoffnung. Nur die Hoffnung macht für viele Menschen das Aushalten der Krise erträglich oder hält sie gegenwärtig sogar am Leben. Viele Menschen hoffen, dass Pflege die Krise überbrückt, bis in (hoffentlich naher) Zukunft wieder ihr gewohntes Alltagsleben möglich wird. Die Hoffnung wird durch die »tragfähige, vertrauensvolle Pflegebeziehung« geschaffen, wo Pflegebedürftige darin unterstützt werden, »eine Perspektive für sich in der aktuellen Situation zu entwickeln« und die Erwartung »auf einen positiven Fortgang« (Müller, 2018, S. 95 f.) zu hegen.

Existenzrelevant!

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