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1 Einführung Birgit Ehrenfels

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Die Professionalisierung und damit auch die Selbstverwaltung des Pflegeberufes gehen in Deutschland nicht voran. Erst seit 2015 gibt es die erste deutsche Pflegekammer, nämlich in Rheinland-Pfalz (Mürbe & Stadler, 2019). Fast alle anderen Bundesländer haben bis heute noch keine Pflegekammer. Dem gegenüber existieren schon seit dem 19. Jh. Handwerkskammern (Büker, 2018) und ärztliche Standesorganisationen (Siegrist, 2005). Ebenso lange gibt es schon andere Berufekammern, z. B. Industrie- und Handelskammern, Rechtsanwaltskammern und Apothekerkammern (Büker, 2018). Bereits seit 1947 ist eine Bundesärztekammer installiert (Bundesärztekammer, 2021). International betrachtet sind Pflegekammern in sehr vielen anderen Ländern schon sehr früh etabliert worden, z. B. 1903 in den USA, 1919 in England, 1920 in Australien, 1972 in Neuseeland (Büker, 2018). In Europa gibt es in den meisten Ländern schon lange eine Pflegekammer (Büker, 2018). Die Selbstverwaltung des Pflegeberufes in Deutschland hinkt also deutlich hinter anderen Berufen und hinter vielen Ländern her.

Ähnliches gilt für die Akademisierung des Pflegeberufes. Die moderne Medizin entwickelte sich in Preußen Mitte des 19. Jh. zeitgleich mit den Naturwissenschaften so schnell, dass die deutsche akademische Medizin international damals vorne lag (Siegrist, 2005). Dagegen gibt es Pflegestudiengänge in der Bundesrepublik überhaupt erst seit Ende der 1980er-Jahre und auch nur in geringer Zahl. In den USA, England und Skandinavien ist Pflege sogar schon seit der ersten Hälfte des 20. Jh. voll akademisiert (Mürbe & Stadler, 2019).

Also ist außer der Selbstverwaltung auch die wissenschaftliche Ausbildung der Pflege deutlich hinter der Medizin und international gesehen hinter den meisten Ländern zurück. Damit ist klar, warum die Entwicklung des Pflegeberufes und damit verbunden auch das öffentliche Ansehen der Pflege in Deutschland bis heute nicht in Einklang stehen mit der enormen Bedeutung, die der Pflege innerhalb der Gesellschaft tatsächlich zukommt. Erst mit Beginn der Coronapandemie im Jahr 2020 wurde in Deutschland der Pflegeberuf durch die Politik und durch die Gesellschaft insgesamt immerhin als »systemrelevant« anerkannt und diesbezüglich öffentlich gewürdigt!

Die Pflegenden müssen besondere Leistungen erbringen, damit sie den vielen Anforderungen, die an sie gestellt werden, nachkommen können. Gerade unter der aktuellen Pandemie sind sowohl die Anforderungen als auch die Leistungen noch um ein Vielfaches erhöht. Um allen Ansprüchen begegnen und die erforderlichen Leistungen im Berufsalltag abliefern zu können, brauchen die Pflegenden bestimmte Voraussetzungen und bestimmte Stärken, wie in Kap. 2 dargelegt wird ( Kap. 2).

Das Angewiesensein auf den Pflegeberuf während der Coronapandemie und der weiter gestiegene Leistungsanspruch an die Pflegekräfte während dieser Krise haben die Politik zur Bezeichnung »systemrelevant« veranlasst. Allerdings ist diese Erkenntnis der Politik genauso unzureichend wie die Bezeichnung und wird der außerordentlichen Bedeutung der Pflege nicht gerecht. Fakt ist: Pflege ist für jeden Einzelnen und für die Gesellschaft insgesamt existenzrelevant. Dieser Punkt wird in Kap. 3 erörtert ( Kap. 3).

Der Staat und die Gesellschaft ziehen zwar großen Nutzen aus der Pflege, kommen aber nicht ihren Pflichten gegenüber der Pflege nach. Dazu stellen wir in Kap. 4 einerseits den vielfältigen Nutzen der Pflege für Staat und Gesellschaft dar und erläutern andererseits die Pflichten von Staat und Gesellschaft gegenüber der Pflege, die nicht annähernd erfüllt werden ( Kap. 4).

In Kap. 5 wird die Ausbildungssituation des Pflegeberufes in Deutschland einschließlich der Akademisierung sehr ausführlich beschrieben, Vergleiche zur Pflegeausbildung im Ausland werden gezogen und Konsequenzen aus den hiesigen Gegebenheiten erläutert ( Kap. 5).

In Kap. 6 wird das international bekannte und erfolgreich erprobte Konzept der Interprofessionalität vorgestellt, das aber in Deutschland bisher kaum Beachtung findet. Dieses bewährte Konzept wird von der World Health Organization (WHO) seit 2010 empfohlen. Hier wird erläutert, warum dieses Konzept auch für unser Gesundheitssystem so wichtig ist ( Kap. 6).

Nach unserer Meinung hätten schon lange weitergehende Systemänderungen vollzogen werden müssen, da das Überleben unserer Gesellschaft künftig davon abhängen kann, wie aktuell gerade durch die Coronakrise offenbart wird. In Kap. 7 wird konkret begründet, warum welche Systemänderungen notwendig sind. Außerdem werden Konzepte dazu beschrieben und erörtert ( Kap. 7).

Kap. 8 widmet sich der Entlohnung für den Pflegeberuf. Auch hier zeigt ein Vergleich zum Ausland, dass die Gehaltsentwicklung für den Pflegeberuf in Deutschland deutlich zurückliegt. Es wird erklärt, warum das so ist, wie sich das auswirkt und welche Alternativen denkbar sind ( Kap. 8).

Für uns liegt auf der Hand, dass sich die Position der Pflege in unserer Gesellschaft in verschiedener Hinsicht möglichst schnell und sehr deutlich verbessern muss. Wir erwarten, dass alle Verantwortlichen diesbezüglich an einem Strang ziehen. Dazu gehört auch, dass die Errichtung der Pflegekammern bundesweit zügig durchgeführt und von der Politik unterstützt werden muss. Es darf keine Rücksicht mehr genommen werden auf außerhalb der Pflege liegende Interessen. Pflegekammern sind international schon lange etabliert und müssen endlich auch in Deutschland vorangebracht werden. Das Thema Selbstverwaltung wird in Kap. 9 ausführlicher behandelt ( Kap. 9). Am Ende des Buches wird in Kap. 10 ein Fazit gezogen und ein Ausblick gegeben ( Kap. 10).

Durch dieses Buch sollen gerade vor dem Hintergrund der Coronapandemie möglichst viele BürgerInnen, aber vor allem Pflegende, Leitungskräfte von Krankenhäusern und von anderen Gesundheits- bzw. Pflegeeinrichtungen, PflegewissenschaftlerInnen sowie PolitikerInnen zur umfassenden Auseinandersetzung mit dem Pflegeberuf aufgefordert werden. Mit unseren Beiträgen wollen wir Denkanstöße liefern, die dann hoffentlich schnell auch entsprechende Konsequenzen durch die Verantwortlichen nach sich ziehen. Es sollen schon lange notwendige Veränderungen herbeigeführt, die Weiterentwicklung des Pflegeberufes beschleunigt und sein Ansehen in der Gesellschaft massiv gestärkt werden.

Dazu gehört auch eine Portion Selbstreflexion. Jeder kann selbst hinterfragen, warum die Situation der Pflege heute so dramatisch aussieht und warum der Pflegeberuf so schlecht dasteht. Dafür will das Buch sensibilisieren und teils durch Offenlegen von Erfahrungen, teils durch Wissensvermittlung und teils durch konkrete Lösungsvorschläge den Horizont der Interessierten bezüglich der Profession Pflege erweitern.

Durch den Perspektivwechsel auf die Mikro-, Meso- und Makroebene der Gesellschaft soll das Buch die erforderliche Auseinandersetzung mit dem Thema anstoßen.

Wir Autorinnen stellen uns auch gern selbst jeder Diskussion, die aus diesem Buch erwächst, und warten gespannt auf die Resonanz innerhalb der Gesellschaft.

Existenzrelevant!

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