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von der Lebensphilosophie zum Marxismus

Ebd., 78

Im Zuge der Ausarbeitung einer Ästhetik (Heidelberger Philosophie der Kunst; 1912/1914; Heidelberger Ästhetik; 1916/1918) schwenkte Lukács von einer lebensphilosophisch grundierten Auffassung zu einem Kantianismus und schließlich zur Hegelschen Geschichtsphilosophie. In den Zwanzigerjahren wurde aus dem Hegelianer endgültig ein Marxist. Dazu beigetragen hat die Diskussion um sein philosophisches Hauptwerk Geschichte und Klassenbewusstsein (1923), »ein Text von weitschweifiger Undurchsichtigkeit«, das ihn zudem in Konflikt mit der Partei brachte. Man unterstellte Lukács, dass er seine frühe Neigung zu Lebensphilosophie und Hegelianismus nicht abgelegt habe. Das lag daran, dass er sich im Buch nicht mit der orthodoxen Lehre der Partei begnügte, sondern die Theorie von Marx unter den neuen Bedingungen der Industriegesellschaft weiter entwickelte, vor allem bei den Themen Warencharakter und Produktionsformen sowie bei der Stellung des Subjekts und dessen zwangsläufiger Entfremdung und Verdinglichung. In der marxistischen Theoriebildung insgesamt kam dem Buch deshalb eine wichtige Rolle zu.

Fehn 1974, 235

Was die Ästhetik betrifft, stand von da an die Widerspiegelungstheorie im Mittelpunkt seiner nun ausdrücklichen marxistischen Kunstphilosophie, die er in zahlreichen Aufsätzen formulierte. Wie stark er dieser materialistischen Theorie verhaftet war, wird in der Forschungsliteratur lebhaft diskutiert. Diese Diskussion ist ebenso wie die Rekonstruktion der ästhetischen Theorie von Lukács nicht einfach, weil seine Rezeption von politischen Interessen und entsprechenden Streitigkeiten überlagert ist. Es gibt in der Tat eine »Verwirrung stiftende Wahllosigkeit beim Gebrauch Lukácsscher Theorieelemente.«

Bubner 1989, 25

Mimesis-Konzept

Hey-Ehrl Ekkehard in Sexl 2004, 117

In seiner Ästhetik spielte demnach die traditionelle Nachahmungstheorie eine große Rolle. »Wer wissen will, was denn das spezifisch Künstlerische an jenem Stück Ideologie sei, das Kunst heißt, wird mit dem Hinweis beschieden, daß sie das Wesen der bestehenden Verhältnisse statt ihrer bloß erscheinenden Oberfläche aufdeckt.« Wer nach der Aufgabe der Kunst in diesem Zusammenhang fragt, erhalte zur Antwort, sie müsse »das Wesen in seiner Totalität fassen und nicht an partikulären, sich vordrängenden Erscheinungen haften bleiben.« Allerdings strickte Lukács feiner an seinem Mimesis-Konzept. Es erschien einigermaßen widersprüchlich, weil er neben einer vom Bewusstsein unabhängigen Wirklichkeit das Subjekt in eine wichtige Rolle setzte. Die Wirklichkeit ist bei ihm ganz auf die Entwicklung des Subjekts ausgerichtet. Bei der Rezeption erfährt die Rezipientin ein Bild der Welt, das eine Differenz zum bisherigen Bild offenbar macht, was zu einer Erschütterung führt. Lukács führt auf diese Weise den alten Katharsis-Begriff in seine Ästhetik ein. Das sei Aufgabe sowohl der Kunst als auch der Literatur, dass sich der Mensch die Welt aneignet.

VIII.5.3.3./VIII.6.1.1.f.

Lotter Konrad in ÄKPh, 522

Dass Lukács hier einen Gedanken Hegels auf Marx anwenden kann, liegt auf der Linie einer intelligenten Hegeldeutung. Dieser philosophische Hintergrund macht es möglich, dass sich Lukács nur scheinbar auf einen traditionellen Realismus zubewegte, wie er zur Staatsdoktrin der Sowjetunion gehörte. Zusätzlich reicherte Lukács seinen Realismusbegriff mit Abstraktionen an und sah das Vorbild am ehesten im Realismus des klassischen bürgerlichen Romans des 19. Jh.s. Realismus wird in der Hand des Hegelianers Lukács geradezu zu einem Gegenbegriff nicht nur zur Avantgarde, die das Einzelne überbewertet, sondern auch zum Naturalismus, der keine dialektische Beweglichkeit mehr zulässt. »Indem die Kunst im Einzelnen die treibenden Kräfte der gesellschaftlichen Entwicklung darstellt, durchbricht sie die Oberfläche der Erscheinung und gestaltet eine vermittelte Unmittelbarkeit.« Das Aufbrechen von starren Oberflächen auf den gesellschaftlichen Hintergrund adle den Begriff des Realen in der Kunst und unterscheide ihn von jeder Realität des entfremdeten Lebens. Führte eine ähnliche Überlegung bei Hegel dazu, dass die Philosophie die Kunst überflügelte, müsste dies bei Lukács konsequenterweise eine Geschichts- oder Gesellschaftstheorie sein, in die sich die Kunst verwandelte.

Realismusstreit

Mittenzwei 1968, 137

Raddatz 1972, 83/85

Mit dem Realismusbegriff ist das zentrale Thema der Ästhetik von Lukács angeführt. Er versuchte, diesem Profil zu geben, was zu einem veritablen Realismusstreit führte. Politisch ging es letztlich darum, welche Rolle die Literaten angesichts der Machtergreifung der Nationalsozialisten spielen sollten. Lukács, der politisch einer bürgerlichen Revolution anhing (als notwendiger Vorstufe zu einer proletarischen), stand in dieser Frage im Widerspruch zu anderen Linken, die wie Bertolt Brecht die Bündnispartner im Proletariat suchten und die neuen Stilmittel der zeitgenössischen Literatur und Kunst proletarisch umcodierten. »Innerhalb dieser Dialektik von Inhalt und Form, Stoff und Mittel vollzieht sich der Umfunktionierungsprozeß, der alles andere als ein formaler Akt ist; denn im Ergebnis dieses Prozesses kommt es zu einer neuen gesellschaftlichen Funktionsbestimmung der technischen Mittel.« Lukács sah demgegenüber wenig Zukunftsfähigkeit in der zeitgenössischen Avantgarde. »Hier werden zwei einander fast ausschließende Kunsttheorien entwickelt, die beide jeweils eine marxistische Realismus-Definition für sich in Anspruch nehmen.«/»Lukács […] will die große, geschlossene Welt des Bürgertums im Kunstwerk einholen oder zurückholen. Er will Widersprüche tilgen, er kennt keine offene Form. Brechts Kunstgenuß dagegen ist der Genuß des Erkennens von Zusammenhängen, die vorgeführt werden, von Disparatem, von dem, was sich zwischen Erscheinung und Wesen geschoben hat. Brecht schiebt den Genuß aus dem Kunstwerk heraus […] Das, sagt er, ist realistische Schreibweise.«

Mittenzwei 1968, 127

Die Projektionsfigur in diesem Streit um den Realismusbegriff war Bertolt Brecht, aber der Streit selbst zog weite Kreise und ihr Niederschlag gehört zu den »wichtigsten Dokumenten der marxistischen Ästhetik […] [und] ist ein wesentlicher Kulminationspunkt in der Entwicklungsgeschichte der marxistischen Realismustheorie.« Letztlich ging es dabei um die in der Sowjetunion in den Dreißigerjahren stattfindende Gewichtsverschiebung, die den Realismus nicht mehr als Stilrichtung wahrnahm, sondern aus ihm eine Methode zur Weltveränderung machte.

Brecht, zit. nach Ebd., 146

Die Differenz in der Realismusdeutung wurde weiter getragen in den Expressionismusstreit. In dem im Schoße des Bundes Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller und der Exilzeitschrift Das Wort ausgetragenen Streit ging es eigentlich um den Realismus und um die Bewertung der traditionellen auf der einen und der avantgardistischen Literatur auf der anderen Seite. Ein Aspekt dabei war die Frage, ob der Expressionismus – vor allem in der Literatur – bloße Oberfläche, also einen Status der Entfremdung, zeigte oder ob er zum Wesen vorstieß. Kritik gab es auch an philosophischen Ästhetiken wie jener von Schelling, Vischer oder Schiller. In der Zeitschrift wurde der in den Dreißigerjahren aufkommende Sozialistische Realismus lanciert. Die Kritiker widersprachen der Vorstellung vehement, dass menschliche Erkenntnis durch Widerspiegelungstheorien beschrieben werden könne. Vielmehr, das war auch die Meinung Brechts, ginge es um konkrete Maßnahmen zur Rückgewinnung des Menschlichen. Expressionismus stand als Chiffre für gegenstandslose Kunst, in deren Ablehnung Lukács und Brecht übereinstimmten: »Ich sehe, daß ihr aus euren Bildern die Motive entfernt habt. […] ich wundere mich darüber, und zwar, weil ihr sagt, daß ihr Kommunisten seid, Leute, die auf die Umgestaltung der Welt ausgehen, die nicht bewohnbar ist.«

Schneider 1996, 169

Der Aufreger indes war, den Expressionismus als irrationales Konzept in die Entwicklung hin zum Faschismus zu stellen. Das war nur Teil eines in Lukács’ Buch Die Zerstörung der Vernunft (1954) lancierten Angriffs auf genau jene lebensphilosophischen und romantischen Quellen, denen er selbst vor seiner Wende zum Politischen und zum Marxismus gefolgt war. Der Expressionismusstreit war letztlich auch eine Distanzierung Lukács’ von seiner eigenen Vergangenheit. »Gewiß war dies auch ein Versuch, sich von seiner eigenen intellektuellen Frühphase zu befreien und gegenüber der bürgerlichen Öffentlichkeit, die seine lebensphilosophischen Werke schätzte und in den späteren marxistischen Arbeiten eine Verirrung und Verfehlung sah, ein deutliches Signal zu setzen.«

Bloch 1938, 269/271

Ähnlich wie Bert Brecht reagierte der befreundete Ernst Bloch heftig und warf Lukács Schwarz-Weiß-Malerei vor, nämlich »fast alle Oppositionen gegen die herrschende Klasse, die nicht von vorneherein kommunistisch sind, der herrschenden Klasse« zuzurechnen. Das aber sei »mechanisch, nicht dialektisch.« Die Wahrheit sei eine andere: »Die Expressionisten waren ›Pioniere‹ des Zerfalls: wäre es besser, wenn sie Ärzte am Krankenbett des Kapitalismus hätten sein wollen? Wenn sie den Oberflächenzusammenhang wieder geflickt hätten (etwa im Sinn der neuen Sachlichkeit oder des Neuklassizismus), statt ihn immer weiter aufzureißen?«

Raddatz 972, 110

Lukács 1932, 28

Die wichtigste Darstellung der marxistischen Ästhetik von Lukács bietet das unvollständig gebliebene Werk Die Eigenart des Ästhetischen (1963), »der große Versuch, Hegel noch einmal für die Ästhetik nutzbar zu machen: […].« In diesem ästhetischen Hauptwerk – Lukács war bereits 78 Jahre alt – geht es nicht um traditionelle systematische Fragen von Kunst und Kunstwerk, sondern im gerade geschilderten Sinn um die Funktion der Kunst als Instrument zur Aneignung der gesellschaftlichen Wirklichkeit, wie das schon drei Jahrzehnte vorher sein Anliegen war: »[…] dieser starren, mechanistischen Gegenüberstellung von (Einzel-)Menschen und Gesellschaft, die der ganzen bürgerlichen Konzeption von ›Moral‹ zugrunde liegt, entspricht die Isolierung des Kunstwerks von der gesellschaftlichen Praxis, von der materiellen Produktion und vom Klassenkampf […].«

Lukács 1963, I, 155

Das zieht Lukács vom Alltagsleben und von der Geschichte her auf. Das Phänomen des Alltäglichen war ein verbreiteter Topos in der Philosophie der ersten Jahrhunderthälfte. Das reicht von der Lebenswelt Husserls bis zum Man Heideggers. Lukács demgegenüber sieht im Alltag eine objektivierende Verdinglichung der Arbeitsgesellschaft – analog wie das auch für die Kunst gilt. Während allerdings Wissenschaft »desanthropomorphisierend« und abstrahierend wirke und das Geheimnis der Natur verscheuche, zeige die Kunst den gegenteiligen Effekt durch das Konkrete und Visuelle. Auch sie zeigt sich im Alltag aber durch eine Homogenisierung der partikulär auseinanderbrechenden Effekte und Abbildung der Welt.

Ebd., 658f

Die Eigenart des Ästhetischen beschreibt eine ästhetische Kultur ohne Schönheit. Die alte Ästhetik der Schönheit samt dem interesselosen Wohlgefallen sei nichts weiter als ein Sehnsuchtsort der Menschen. Das Naturschöne nimmt bei Lukács ein eigenes Kapitel ein. Dabei entfernt er sich doch mit Hilfe Hegels und Kants vom klassischen Materialismus und bestimmt Natur und Ästhetisches nicht als subjektunabhängig, sondern als Wechselwirkung mit dem Menschen. »Im Ästhetischen dagegen gehen die Impulse des schöpferischen ganzen Menschen in das Kunstwerk über, werden zu dessen objektiven Aufbauelementen, zu Bestimmungen des Was und Wie seiner Gegenständlichkeit […].«

Kunstphilosophie und Ästhetik

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