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Der Ost-West-Konflikt als Katalysator der deutsch-französischen Annäherung

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Antworten auf die Frage nach den Faktoren für die Wandlungen zwischen Deutschland und Frankreich sind nicht alleine aus der Analyse des bilateralen Verhältnisses zu erwarten. Die deutsch-französischen Beziehungen nach 1945 waren Teil eines mehrdimensionalen Koordinatensystems, dessen Ausrichtung maßgeblich vom Ost-West-Konflikt und der ohne ihn nur schwerlich vorstellbaren europäischen Integration bestimmt war. Da sich beide in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander befanden und bisweilen aufeinander angewiesen waren, verliefen entscheidende Schritte der europäischen Integration nicht zufällig parallel zu den heißen Phasen des Kalten Krieges.

Während die Traditionen des autonomen Nationalstaats in der Zwischenkriegszeit noch ungebrochen und die Mächte noch zu überzeugt von ihrem Großmachtstatus gewesen waren, um beim Ausgleich vitaler Interessen untereinander Eingriffe von außen zu akzeptieren, stellte sich die Situation nach Ende des Zweiten Weltkriegs anders dar. Der deutsche Nationalstaat hatte aufgehört zu existieren, Frankreich und Großbritannien waren zwar Siegermacht, doch durch die Auswirkungen des Krieges zu geschwächt, um ihren Großmachtstatus aufrechtzuerhalten. Gleichzeitig zeigten sich die USA anders als nach 1918 schnell entschlossen, nicht in ihre splendid isolation zurückzukehren, um „ihre ökonomische und politische Macht zur Durchsetzung amerikanischer Interessen einzusetzen und einen Rückfall Europas in die Krisen und Probleme der Zwischenkriegszeit zu verhindern“7. Zu diesem Zweck unterstützten sie nicht alleine die westeuropäische Integration, sondern auch die Überwindung des deutsch-französischen Gegensatzes. Damit stellt sich die in diesem Band zu behandelnde Beziehungsgeschichte als ein Teilelement einer globalen Nachkriegszeit dar, die ein neues politisches und wirtschaftliches System hervorbrachte, das, wie es Eckart Conze formuliert, „auf die Handlungsmuster nationaler und internationaler, staatlicher und nicht-staatlicher Akteure“ einwirkte, dessen Strukturbedingungen aber zugleich auch von diesen verändert wurden8.

Bei allen Wandlungen im internationalen Koordinatensystem und tiefgreifenden Umbrüchen in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur in Europa begann mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs keine völlig neue Epoche. Vielmehr war der Ost-West-Konflikt ein Kind der Zwischenkriegszeit, der im Kampf der Anti-Hitler-Koalition gegen das nationalsozialistische Deutschland seine Virulenz vorläufig verloren hatte, doch mit der Kapitulation des „Dritten Reiches“ wenn auch nicht militärisch, so doch ideologisch9 und geopolitisch umgehend wieder ausbrach, so dass Tony Judt nicht zu Unrecht die Zeit zwischen 1945 und 1990 als „Auslaufphase eines noch unerledigten Konfliktes“10 bezeichnet. Schon im Mai 1944 hatte Churchill erklärt, dass die Beziehungen zur Sowjetunion nach der Niederlage Deutschlands keinen wirklichen Frieden, sondern lediglich „einen verlängerten Waffenstillstand“11 erlauben würden. So wurde Deutschland innerhalb weniger Monate vom „Modellfall alliierter Kooperationsbereitschaft“12 zum Testfall für den sich anbahnenden Kalten Krieg13, der mit seinen verschiedenen Entspannungs- und Eskalationsphasen als Aggregatzustand des Ost-West-Konflikts14 eine „weitgehend entgrenzte politisch-ideologische, ökonomische, technologisch-wissenschaftliche und kulturell-soziale Auseinandersetzung [darstellte], die ihre Auswirkung bis in den Alltag zeitigte“15. Während sich innerhalb der entstehenden Blöcke friedensstiftende Mechanismen herausbildeten, schob sich parallel dazu über die Nachkriegsgesellschaften in Europa eine aggressive Kultur des Kalten Krieges, die ihre Grenzen nicht zuletzt durch das atomare Patt definierte.

WBG Deutsch-französische Geschichte Bd. X

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