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Die europäische Integration als Subsystem des Globalkonflikts

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Der Ost-West-Konflikt als globale Systemkonfrontation blieb über 40 Jahre die zentrale Determinante der äußeren und inneren Entwicklung in Europa, wie James Sheehan am Beispiel der westeuropäischen Integration zeigt:

„Dieses System war der Brutkasten für die allmähliche Transformation der westeuropäischen Staaten. Sie wurden zivile Staaten, die zwar die Fähigkeit behielten, gegeneinander Krieg zu führen, aber jedes Interesse daran verloren […]. Der Untergang der Gewalt ging schrittweise vor sich. Es war eine langsame, lautlose Revolution, die leicht zu übersehen war, dennoch war sie ebenso wichtig wie jede andere Revolution in der europäischen Geschichte“16.

Zweifellos stellte der Ost-West-Konflikt das Beziehungsgefüge zwischen den westeuropäischen Staaten auf eine neue Grundlage und wirkte stabilitätsfördernd, doch bezahlten gerade die osteuropäischen Gesellschaften einen hohen Preis in dieser von den Amerikanern und Sowjets durchgesetzten Bipolarität. Das Bild vom „Eisernen Vorhang“ und die Realität der Berliner Mauer suggerieren dabei das Schema einer eindeutigen dualistischen Konfrontation, doch bleiben bei dieser Betrachtung die Subsysteme des Kalten Krieges mit ihren genuinen Interessenlagen ausgeblendet. Dass diese aber immer wieder auf den Hauptkonflikt einwirkten, unterstreichen die Forschungen der letzten Jahre.

Zu diesen Subsystemen gehörte die europäische Integration, die ihre Ursprünge zweifellos in der Europabegeisterung der Nachkriegszeit hatte, ihre eigentliche Dynamik aber erst aus der neuen Bedrohungslage des Kalten Krieges gewann, welche die Kooperationsbereitschaft bzw. die Tendenz zu neuen Bündnissen zu beschleunigen und dem europäischen Integrationsprojekt eine postnationale Ausrichtung zu geben half. Die ersten Integrationsschritte waren dabei von dem Bestreben dominiert, „den jahrhundertealten Pendelschwung des europäischen Staatensystems zwischen Gleichgewicht und Hegemonie“17 abzulösen und dem unkontrollierten Wiederaufstieg (west-)deutscher Macht einen Riegel vorzuschieben, um die Rückkehr in eine von nationalistischem Denken geprägte Politik zu verhindern.

Um diesen Gründungskonsens der europäischen Integration zu realisieren, galt es jedoch primär, „die Ursachen für die deutsch-französische ‚Erzfeindschaft‘ zu beseitigen“18, was vom Kalten Krieg maßgeblich beschleunigt wurde. Die sich steigernde Angst vor dem ideologischen Gegenüber ebnete traditionelle Feindbilder nach und nach ein19, so dass die deutsch-französische Annäherung weniger ein „Wunder unserer Zeit“ war20, sondern das Ergebnis einer sich wandelnden Interessenlage. Nicht zuletzt aus diesem Grund sollten sowohl für die europäische Integration als auch für die deutsch-französische Verständigung von Idealismus geprägte Motive und interessengeleitetes (nationales) Handeln als zwei Seiten derselben Medaille verstanden werden. Andreas Rödder wies unlängst zu Recht darauf hin, dass weder ein idealistischer Erklärungsversuch, der die selbstzivilisierenden Lernprozesse auf beiden Seiten des Rheins nach den Schrecken der beiden Weltkriege in den Mittelpunkt rückt, noch eine „hart realpolitische Lesart“, nach der einzig außen- und sicherheitspolitische sowie wirtschaftliche Interessen die treibende Kraft gewesen seien, ausschließliche Erklärungsmacht beanspruchen könnten. Einleuchtend ist daher sein Plädoyer für eine Analyse des Mischungsverhältnisses zwischen moralisch-weltanschaulichen und pragmatischen Ansätzen, zwischen Interessen und Idealen21.

WBG Deutsch-französische Geschichte Bd. X

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