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Die griechische Polis

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Griechenland hat die Polis, den selbständigen Stadtstaat, geschaffen. Die Faszination, die bis heute von der Polis ausgeht, hat mehrere Gründe. Diese liegen einerseits in der ganz außergewöhnlichen Entfaltung von Kultur und Wissenschaft, welche diese, an heutigen Stadtgrößen gemessen, kleinen Stadtstaaten hervorgebracht haben. Sie liegen andererseits in den benutzten politischen Instrumenten, um mit der grundsätzlichen Frage von Untergrenze und Obergrenze von Städten im Entwicklungsprozeß von demokratischen Gemeinwesen fertig zu werden.

Zunächst zur Frage der Untergrenze. Das Phänomen, daß Städte nicht die notwendige Bevölkerungszahl erreichen, um städtische Funktionen wahrnehmen zu können, ist ein immanentes, durch die Stadtgeschichte hindurchgehendes Problem. Die Griechen haben als politisches Instrument hierfür den Synoikismus, die freiwillige bzw. zwangsweise Zusammensiedlung von kleineren Siedlungen verwendet. Athen entstand, nachdem die Bevölkerung der kleineren Zentren Attikas von Theseus – wie die Legende behauptet – überredet oder gezwungen worden war, sich um die Akropolis herum niederzulassen.

Nun sind Städte wachsende Gebilde. Ebenso wie bei der Untergrenze stellt sich die Frage, was zu tun ist, wenn eine bestimmte Obergrenze der Bevölkerungszahl erreicht wird. In diesem Zusammenhang ist eine Koloniegründung die Lösung gewesen, d.h., es bestand die Regel einer Limitierung der Größe der Polis, bei deren Überschreitung eine Expedition ausgerüstet und eine Kolonie gegründet worden ist. Es erfolgte also nicht eine Erweiterung der Stadt, wie sie in der mittelalterlichen Bürgerstadt die Regel war und bis in die Gegenwart die Stadtentwicklung bestimmt, sondern eine Neugründung an einem entfernten Ort.

Um eine Vorstellung von den Größenordnungen der griechischen Städte der Antike zu geben, sei angeführt, daß Athen zur Zeit des Perikles ungefähr 40.000 Einw. zählte und nur drei weitere Städte, nämlich Syrakus, Agrigent und Argos, mehr als 20.000 Einw. hatten. Diese für heutige Verhältnisse bescheidene Bevölkerungszahl galt als Voraussetzung für die Entwicklung des sozialen Lebens. Einerseits mußte die Bevölkerung groß genug sein, um im Kriegsfall ein Heer aufstellen zu können, andererseits durfte sie nicht zu groß sein, um die Funktionsfähigkeit der Bürgerversammlung nicht zu gefährden.

Hinsichtlich der sozialen Organisation war die griechische Polis keineswegs eine homogene Einheit. Bürgerrecht, Reichtum und Stand teilten die Bevölkerung in mehrere Gruppen. Vom politischen Leben waren die Frauen, die Metöken, d.h. die freien Zugezogenen, und die Sklaven ausgeschlossen.

Hinsichtlich der sozialräumlichen Organisation der Polis kann man bei Aristoteles folgendes über Hippodamos von Milet nachlesen: Er nahm einen Staat mit 10.000 Männern und teilte ihn in drei Teile: Krieger, Handwerker, Bauern. Das Land wurde in heiliges, öffentliches und privates geteilt. Heilig war das Land, aus welchem die Kosten für den Kultus bestritten wurden, öffentlich jenes für die Krieger, privat das Land der Handwerker und Bauern.

Diese Heraushebung der Krieger legt einen Vergleich mit den japanischen Städten des Feudalzeitalters nahe, als die Samurai in unmittelbarer Nähe der Burg in einem nahezu geschlossenen Quartier wohnten und peripher davon die Handwerker ihre Häuser hatten.


Abb. 1.2: Akropolis, Gesamtansicht 1978

In Platos Idealstadt, welche als Kreisform konzipiert ist, befindet sich im Zentrum die höher gelegene Agora mit den Regierungsgebäuden, Tempeln und Gymnasien, rundum sind die Häuser der Bürger in einem Ring angeordnet, während sich die Handwerker im äußeren Kreis befinden. Im Hinblick auf die soziale Organisation ist die randliche Positionierung der Handwerker, die vorwiegend Metöken waren, herauszuheben. Damit unterscheidet sich die Polis klar von der mittelalterlichen Bürgerstadt, für die eine Viertelsbildung von Handel und Gewerbe, bedingt durch die Konzeption des „ganzen Hauses“, kennzeichnend war. Eine derartige Viertelsbildung der Handwerker ist aus der Polis nicht bekannt.

Die bauliche Organisation der Stadt erfolgte nach einer strengen Trennung der Funktionen. Im Stadtgebiet sind drei Teile zu unterscheiden:

1) Der heilige Bereich mit den Tempeln für die Götter: Die Tempel hoben sich deutlich vom übrigen Stadtgebiet ab, nicht nur wegen ihrer Größe, sondern auch wegen ihrer Lage. Sie wurden an weithin sichtbaren Orten errichtet, häufig abgehoben von den sonstigen Gebäuden (Abb. 1.2).

2) Der öffentliche Bereich mit der Agora für die Versammlungen der Bürger, mit Gymnasien, Bibliotheken, dem Theater, in dem sich ebenso wie auf der Agora die gesamte Bürgerschaft versammeln konnte und dessen Größe uns Nachgeborene erstaunt. Doch konnten eben in der griechischen Demokratie die politischen Rechte der Mitbestimmung nur persönlich ausgeübt werden. Zu der gerne übersehenen Doppelfunktion des Bürgers auch als Krieger gehören die großzügig angelegten Stadien für sportliche Wettkämpfe.

3) Der private Bereich des Wohnraumes der Stadt, für dessen Aufteilung in Straßenblöcke und Parzellen das Prinzip der Isonomie galt, d.h. der demokratischen Gleichheit und Gleichwertigkeit, wonach bei der Neugründung einer Stadt gleich große Parzellen an alle Bürger vergeben wurden. Die von Reichtum, Rang und Abstammung unabhängige Verteilung der rechteckigen, gleich großen Grundstücke an die Bürger hat sich allerdings nur in Koloniestädten durchsetzen können. Danach erhielten bei der Gründung neuer Städte, wie Priene im 4. Jh., die Bürger gleich große Parzellen, auf denen sie erstaunlich ähnliche Häuser errichtet haben. Freilich haben die realen ökonomischen Unterschiede sehr schnell Änderungen gebracht. Der reichere kaufte den ärmeren Nachbarn auf.

Alte Städte, deren Struktur noch in die Zeit der aristokratischen Verfassung zurückging, wie z.B. Athen, wurden von diesen neuen Ideen nicht betroffen. Unabhängig davon folgten die Wohnhäuser auch hier dem architektonischen Prinzip des Hofhauses und unterschieden sich nur durch Größe, innere Differenzierung und Ausstattung.

Strenge Baugesetze überwachten die Einhaltung der Rechte der Öffentlichkeit. Die Möglichkeit der Enteignung sicherte der Polis jederzeit das Recht, öffentliche oder sakrale Anlagen zu errichten. Die Trennung in eine Oberstadt, die Akropolis, und in eine meist in ebenem Gelände befindliche „Zivilstadt“, wie im Fall von Athen, war jedoch nicht für alle griechischen Städte die Regel. Manche, z.B. die ionischen, besaßen keine Akropolis. Die Tempel auf der Akropolis, die man heute noch von allen Seiten sehen kann, stehen freilich verloren als Touristenattraktion inmitten einer Millionenagglomeration, zu der jeder Bezug fehlt.

Der regelmäßige Rastergrundriß der griechischen Polis ist mit dem Namen des Hippodamos aus Milet verbunden, der im 5. Jh. v. Chr. die Stadt Milet plante (Abb. 1.3). Seit dem 6. Jh. wiesen die Städte Siziliens und Großgriechenlands rechtwinklige Straßenraster auf. Die Vorstellung einer Gleichwertigkeit der Straßen wäre jedoch unrichtig. Vielmehr gab es nur einige wenige Hauptstraßen, die die Stadtfläche in parallel verlaufende Streifen mit einer Breite von 50 bis 300 m aufteilten, auf denen jeweils ganze Häuserzeilen gebaut werden konnten. Diese Baublockstreifen wurden von kürzeren, rechtwinklig angelegten Querstraßen in einem Abstand von 30 bis 35 m durchbrochen. Die Breite der Hauptstraßen variierte zwischen 5 m und 10 m, die der Seitenstraßen zwischen 3 m und 5 m.


Abb. 1.3: Plan von Milet, Hippodamos, 5. Jh. v. Chr.

Alle Städte waren ummauert. Besonders in hellenistischer Zeit wurden diese Stadtmauern mit ungeheurem Aufwand an Material und Kosten gebaut, um symbolisch den Autonomieanspruch der Städte zum Ausdruck zu bringen. Anders als bei der europäischen Bürgerstadt des Mittelalters folgte die Mauerbegrenzung der Polis nicht direkt den Baublöcken der Häuser, sondern wurde meist, angepaßt an das Gelände, in einigem Abstand zu diesen errichtet. Mit dieser fehlenden regelmäßigen geometrischen Begrenzung unterscheidet sich die Polis von den Städten des Römischen Reichs und ebenso von den chinesischen Städten. Gleichzeitig war aufgrund der vorhandenen Freiräume zwischen verbautem Gebiet und Stadtmauer die Möglichkeit einer inneren Stadterweiterung innerhalb des Mauerrings gegeben.


Abb. 1.4: Amphitheater, Pula 1982

Bemerkenswert ist die Einpassung der Polis in die Landschaft und damit das ausgewogene Verhältnis zur Natur. Durch die ungleichmäßige Anordnung der Objekte des heiligen Bezirks sowie den unregelmäßigen Mauerverlauf erhielt jede Stadt ihr individuelles Gepräge. Aufgrund der bewußten Begrenzung des Wachstums, des ausgewogenen Verhältnisses zur Natur sowie der inneren Durchgängigkeit hat die griechische Polis bis heute eine gewisse Vorbildfunktion für die Stadtplanung bewahrt.

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