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9. Ein wunderbarer Beruf

Nach erfolgreich bestandener Facharztprüfung im Dezember 1973 musste ich mich um eine neue Arbeitsstelle bemühen. In Freital wollte ich nicht bleiben, nicht nur wegen des mir nicht wohl gesonnenen Kaderleiters. Jo arbeitete inzwischen in Dresden in einem Forschungsinstitut, fünf Minuten Fußweg von unserer neuen Wohnung, die wesentlich weiter von Freital entfernt war als die vorherige.

Da ich zwei Bewerbungen und zwei Zusagen hatte, entschied ich mich für eine Stelle als Betriebsärztin in der Flugzeugwerft Dresden-Klotzsche. Ich hatte schon immer eine Schwäche für das Fliegen und Flugzeuge gehabt. Als junges Mädchen wollte ich gern zum Segelfliegen gehen. Mein Traum war aber daran gescheitert, dass ich dazu hätte in die GST (Gesellschaft für Sport und Technik) eintreten müssen. Dies wäre jedoch an eine militärische Ausbildung, die ich verabscheute, gebunden gewesen. Der neue Job gefiel mir gut. Ich fühlte mich wohl und ich hatte Gelegenheit, mich zu qualifizieren.

Nach etwa zwei Jahren bestellte mich meine Chefin zu sich und sagte: „Die Tante stört!“ Die Tante stört? Was sollte das heißen? Ich wusste zunächst nicht, worum es geht und schaute sie fragend an. Also, die Flugzeugwerft setzte Militärmaschinen instand und da durfte der „Klassenfeind“, das westliche Ausland, keinen Einblick haben. In meinem Personalfragebogen hatte ich wahrheitsgetreu als Westverwandtschaft meine Tante Erika in Landsberg am Lech, die mit einem amerikanischen Offizier verheiratet war, angegeben. Nach Jos Schwestern war nicht gefragt worden. Bei meiner Einstellung hatte sich niemand daran gestört. Nun sollte ich unterschreiben, dass ich die Verbindung zu dieser Tante offiziell abbreche. Warum wohl? Ich wurde nachdenklich. Vorteile von dieser Beziehung hatte ich nicht gehabt. Es gab keine von den gern gesehenen „Westpaketen“. Und wenn Erika ihren Sohn, der in der Nähe Dresdens wohnte, besuchte und auch bei uns vorbei schaute, gab es kaum Geschenke. Meine Chefin muss wohl mit mir zufrieden gewesen sein, denn sie bat mich inständig, die Unterschrift zu leisten, damit ich bleiben könne. Natürlich wäre ich gern geblieben. Nicht nur, dass mir die Arbeit zusagte und ich mich im Team wohl fühlte, ich hatte auch Vorteile. So wurde ich beispielsweise täglich mit einem PKW von zu Hause abgeholt und wieder nach Hause gebracht, musste nicht am nächtlichen Bereitschaftsdienst der Stadt Dresden teilnehmen, sondern hatte nur ab und zu sonntags Flugdienst, wenn die instand gesetzten Militärmaschinen getestet werden mussten. Die Testpiloten zu betreuen war so richtig nach meinem Geschmack.

Ich wusste von Vielen, die unterschrieben hatten und ihre Verwandten nun heimlich trafen oder sich die Westpakete an andere Adressen schicken ließen. So mancher hatte wohl existenzielle Gründe dafür. Deshalb verachtete ich diese Leute auch nicht. Andere genossen nur die Vorteile. Zu denen wollte ich jedoch keineswegs zählen. Meine Gedanken kreisten: Falls ich die Unterschrift doch noch leistete, würde sich für mich, was die Beziehung zur Tante beträfe, kaum etwas ändern. Doch hätte ich dann mein Spiegelbild noch ohne Abscheu betrachten können? Sie war eine Blutsverwandte von mir. Hätte ich sie verleugnen sollen? Die Entscheidung fiel nicht leicht. Mir war klar, dass der Verlust dieses Arbeitsplatzes nicht der einzige Nachteil wäre, wenn ich nicht unterschriebe. Zukünftig würde dann auch ein gewisser Eintrag meine Kaderakte, wie in der DDR die Personalakte hieß, zieren.

Ich hatte den Mut, die Unterschrift zu verweigern.

So wurde ich ins „Pentacon“, die „Kamera und Kinowerke“, versetzt. Auch gut! Nein, doch nicht, denn ich wusste sehr bald, dass ich unter dem Chef nicht lange arbeiten würde. Sich seinen Weisungen zu widersetzen, könnte disziplinarische Maßnahmen zur Folge haben. Seine Anordnungen zu befolgen, war jedoch gegen meine Berufsehre. Das konnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Klar, dass ich mich in einer solchen Zwickmühle nicht wohl fühlte. Also nahm ich einen Termin bei der Ärztlichen Direktorin des Betriebsgesundheitswesens (BGW) wahr und bat um Versetzung in einen anderen Betrieb, ohne einen Grund zu nennen. Der Frage, ob es wegen des Chefs sei, wich ich aus. Noch nie hatte ich jemanden verpfiffen.

Zunächst tat sich gar nichts. Dann aber bot sich mir eine ungeahnte Möglichkeit. In unserem Wohngebiet, keine fünf Minuten Fußweg von unserer Wohnung entfernt, befand sich eine Stadtambulanz, eine Außenstelle der Poliklinik Dresden-Blasewitz. Obwohl ich dort noch nie gewesen war, hatte ich mit ihr geliebäugelt, seit ich da wohnte, zumal die Einrichtung einen sehr guten Ruf besaß. Und nun erfuhr ich von den Mitbewohnern des Wohnblocks, in dem wir lebten, dass eine Ärztin da weggehe. So versuchte ich mein Glück. Ich bewarb mich auf die Stelle und erhielt eine Zusage. Also kündigte ich. Da rief mich die Chefärztin des BGW zu sich und eröffnete mir, dass man meinen Vorgesetzten überprüft hätte. Er werde versetzt und somit sei seine Stelle neu zu besetzen. Man habe dabei an mich gedacht. Ich sollte meine Kündigung zurückziehen. Das hätte mir noch gefehlt! Am Ende würde man mir unterstellen, ich hätte an den Stuhlbeinen meines Chefs gesägt, um selbst darauf sitzen zu können. Nein, ich wollte nicht Leiter des Betriebsambulatoriums werden. Ein staatlicher Leiter in der Familie genügte. Ich blieb bei meiner Kündigung.

So trat ich meine neue Stelle an und erfuhr, dass die Ärztin, die ich ersetzen sollte, die Leiterin der Stadtambulanz gewesen war. Sollte ich aus dem Regen in die Traufe gekommen sein? Die eine leitende Position hatte ich abgelehnt und nun sollte ich doch eine übernehmen? Dann wäre noch weniger Zeit für die Familie geblieben. Das war keinesfalls in meinem Sinne.

Was tun? Zurück hätte ich nicht mehr gekonnt.

Es gab eine Lösung. Da die Ambulanz sowieso unterbesetzt gewesen war, fand man glücklicherweise eine neue Chefin. Allerdings verzog diese nach gut einem Jahr. Man bot mir erneut die Leitung an und ich lehnte abermals ab.

Meine Tätigkeit gefiel mir so ganz gut und ich hatte auch noch ein wenig Zeit für unsere Tochter Conny.

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