Читать книгу In den Fängen der Stasi - Ellen G. Reinke - Страница 8

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5. Schöner Urlaub!

Im Juni 1969 konnten wir endlich unsere um ein Jahr verspätete richtige Hochzeitsreise antreten. Wir hatten uns eine Reise nach Bulgarien im wahrsten Sinne des Wortes erstanden, die ganze Nacht hindurch bis morgens 10 Uhr vor dem Reisebüro.

Als ich mich auf dem Flugplatz in Dresden beim Reiseleiter meldete, erklärte mir dieser zu meiner Verwunderung, dass ich das doch schon getan hätte. Aber ich war eben erst angekommen. Nach kurzem Hin und Her konnte er feststellen, dass sich in der Reisegruppe noch eine Dame gleichen Vor- und Zunamens befand. Vorher schien das offensichtlich nicht bekannt gewesen zu sein und ich machte mir Gedanken, nach welchem System wohl wer die Liste erstellt haben mochte.

Für sehr viel Geld hatten wir ein Hotelzimmer mit Blick auf die Mülltonnen eines anderen Hotels, in dem die BRD-Bürger wohnten. Das Frühstück mussten alle gemeinsam, jeden Tag am gleichen Platz, zu vorgeschriebener Zeit einnehmen. Der Reiseleiter brauchte ja eine Kontrollmöglichkeit, ob seine Schäfchen auch noch alle da seien.

Gleich am ersten Morgen setzte sich an unseren Tisch ein Ehepaar, das für mich nach Stasi roch. Ich hatte eine sehr gute Nase dafür. Als wir die beiden fragten, wie sie sich denn die Reise ergattert hätten, erzählten sie, dass sie eigentlich woanders hätten hinfahren sollen und es habe sich erst in letzter Minute entschieden, dass sie nach Bulgarien führen. Jo spürte unter dem Tisch meine Fußspitze in seiner Wade. Mein Verdacht war bestätigt. Obwohl Jo das bedeutsame Wörtchen „sollen“ überhört hatte und seine Nasenfunktion an dem Tag nicht besonders gut zu sein schien, kapierte er mein Drängen, dass ich möglichst bald ein gewisses Örtchen aufsuchen müsse. Allerdings fragte er mich, was ich denn gegen die Leute hätte, und ich klärte ihn auf. Dank des schnell beendeten Frühstücks hatten wir noch einen schönen langen Tag vor uns. Am Meer nahmen wir uns einen Strandschirm für den gesamten Urlaub. Und als unsere deutsch sprechenden Nachbarn kamen, haben wir uns natürlich auch mit ihnen unterhalten. Sie erzählten unter anderem, dass sich irgendwo in der BRD ein Elektriker als Arzt ausgegeben und als solcher gearbeitet hätte. Ich konnte mir das nicht vorstellen, denn in der DDR wäre so etwas nicht möglich gewesen, und sie gaben mir die Illustrierte, in der dies zu lesen stand. So saß ich am Strand, den „Stern“ in der Hand und las unbekümmert.

Noch am gleichen Abend wurde Jo zum Reiseleiter zitiert. Dieser hatte die „Parteigruppe“, von deren Existenz man nichts gewusst hatte, zusammengerufen. Und Jo musste Stellung dazu nehmen, dass seine Frau am Strand „Westzeitungen“ gelesen hatte.

Den Strandschirm, den wir ja bereits für zwei Wochen im Voraus bezahlt hatten, ließen wir verfallen und suchten uns einen Platz weit weg von unserem Hotel. Allerdings schaffte ich es, dem Ganzen auch noch die Krone aufzusetzen, als mich der Reiseleiter bei der Kennlern-Tanzveranstaltung, ebenfalls Pflichtveranstaltung, zum Tanzen aufforderte. „Mit Ihnen tanze ich nicht. Ich möchte mit Leuten, die mich bespitzeln und hinter meinem Rücken über mich reden, nicht tanzen“, wagte ich kühn zu sagen. Ein Tritt von Jo auf meinen Fuß hinderte mich daran, diesem miesen Typen noch mehr an den Kopf zu werfen. Die übrige Zeit bis zum Ende des Urlaubes habe ich kein Wort mehr mit dem Reiseleiter gewechselt.

An unserem nächsten Strandplatz lernten wir zwei nette Ehepaare, beide aus Westberlin, kennen. Wir haben viel gemeinsam unternommen und sie auch gebeten, zu eruieren, ob es nicht Möglichkeiten gäbe, „abzuhauen“.

Wir wohnten in Varna, genauer gesagt, am Goldstrand, einem der beliebtesten Urlaubsziele für Ostdeutsche. Von Nessebar, einem anderen Urlaubsort, aus fuhr ein Tragflächenboot nach Istanbul. Und wir glaubten, dass es für uns irgendwie möglich sein müsste, da hinauf zu kommen. Warum hätte sonst der Reiseleiter so großen Wert darauf gelegt, täglich zu kontrollieren, ob wir noch alle da sind. Wir überredeten das jüngere Paar, welches die Türkei noch nicht kannte, eine solche Reise zu unternehmen. Und tatsächlich fuhren sie nach Istanbul.

Unser Hoffnungsschimmer löste sich in nichts auf, als sie meinten, wir als DDR Bürger hätten keine Chancen, auf das Schiff zu gelangen. Die Pässe wurden abgenommen, wenn man an Bord ging und erst beim Verlassen des Bootes in Nessebar persönlich wieder ausgehändigt. Aber wie hätten wir in den Besitz eines gefälschten Passes kommen können?

Von unseren Kontakten zu den Westberlinern hat niemand aus unserer Reisegruppe etwas mitbekommen.

Um eine Vielzahl an nicht nur positiven Erlebnissen reicher, traten wir unsere Heimreise an. Und als wir auf dem Flugplatz in Dresden ankamen, riet mir Jo, mich bei der Ausweis- und Zollkontrolle in der Schlange hinten anzustellen. Ich verfolgte seinen Blick und sah meine Namensvetterin heulen. Ich hatte begriffen. Die Rache des kleinen Mannes! Der Reiseleiter war vorgegangen, während alle anderen Passagiere geduldig warten mussten. Offensichtlich hatte er berichten müssen. Jo war ohne Probleme durch die Kontrolle gekommen. Dann kam ich an die Reihe. Alles wurde auseinander genommen, pikant, die schmutzige Unterwäsche. Ich weiß nicht, wer mehr abgebrüht war, ich als Ärztin, die schon einiges gesehen hatte, oder die Beamten. Man fand auch mein kleines Notizbüchlein mit gestempelten Rezepturen. Für den, der Latein beherrscht, kein Problem, für den Zoll aber „böhmische Dörfer“, vielleicht Geheimcodes? Warum um alles in der Welt hatte ich es bei mir? Ich hätte mich ohrfeigen können! In Bulgarien hätte ich es eh nicht gebraucht. Glücklicherweise konnte ich den Zweck der Notizen erklären. Dann entdeckte man ein ro-ro-ro Taschenbuch. Ich hatte es schon von der DDR aus als Urlaubslektüre mitgenommen. Da es von einem Schriftsteller war, der auch in der DDR verlegt wurde, hatte ich es für unverfänglich gehalten. Weit gefehlt, der Verlag war das Problem. Man wollte es konfiszieren. Wütend verlangte ich, dass man mir nachweise, dass es auf der Liste der verbotenen Bücher stehe. Ansonsten hätten sie überhaupt kein Recht, mir das Büchlein wegzunehmen. Sollten sie es doch beschlagnahmen, so wollte ich wenigstens eine Quittung haben, um es mir später wiederzuholen. Es gab ein Hin und Her und ich bestand darauf, dass man den Offizier vom Dienst hole. Er kam, hörte mein Anliegen und sagte: „Was wir Ihnen wegnehmen und wofür wir Ihnen eine Quittung geben, das bestimmen wir, einzig und allein nur WIR. Merken Sie sich das!“ Ein sanfter Stoß von Jo in meine Rippen verhinderte, dass ich das, was ich schon auf den Lippen hatte, aussprach: „Willkür!“ Natürlich war es mir nicht um das Büchlein gegangen, das ich ohnehin ausgelesen hatte, sondern ums Prinzip. Wie oft hatte ich die Worte aus der Arie des Zacharias: „Wer glaubt, dass das Recht siegt, der wartet vergebens, denn nur wer die Macht hat, bestimmt auch das Recht“, zitiert. So viele Male hatte ich meine Lieblingsoper Nabucco erleben dürfen, sodass ich mehrere Passagen auswendig kannte, ohne den Text jemals gelesen zu haben. Allerdings habe ich jetzt erst kürzlich eine Inszenierung dieser Oper gesehen und eben jene Worte vermisst. Leider! So bin ich heute im Nachhinein noch dem Regisseur in der DDR dankbar für diese Passage, an der sich außer mir sicherlich auch andere Opernfreunde aufrichten konnten.

Wollte ich damals auf dem Flughafen etwa nicht begreifen, dass das Recht beugsam war und dass es in der Deutschen DEMOKRATISCHEN Republik keine Demokratie gab und noch lange nicht angewandt werden musste, was geschrieben stand?

Die ganze Prozedur hatte so lange gedauert, dass der letzte Bus inzwischen abgefahren war. Ein Taxi in der DDR zu bekommen, war jedoch Glückssache. Hier am Flughafen stand keins. Wir hätten mit unserem Gepäck nach Hause laufen können, wenn nicht ein Ehepaar aus Cottbus, auch aus unserer Reisegruppe, das alles beobachtet und gewartet hätte. Sie hatten ihr Auto am Flughafen stehen und boten uns an, uns mitzunehmen. Das war der Beginn einer anhaltenden Freundschaft. In Bulgarien hatten wir kaum miteinander gesprochen.

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