Читать книгу In den Fängen der Stasi - Ellen G. Reinke - Страница 5

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2. Ein richtiger Mann

Wir hatten uns an einer Straßenbahnhaltestelle verabredet. Und da stand ich nun, sehnsüchtig auf Jo, nein, auf mein Täschchen wartend. Er stieg aus der Bahn und erleichtert sah ich das Vermisste sofort aus seiner Manteltasche hervorschauen. Meine Freude war groß. Und so ließ ich mich, wiederum aus Dankbarkeit, einladen. Eigentlich wollte ich in eine Studentenkneipe, doch Jo zog es zum Altmarkt in das Ring-Café, eine etwas vornehmere Gaststätte. Ihn interessierte weder, dass ich, wie ich meinte, nicht dafür gekleidet sei, noch dass ich keinen Wein, sondern Bier trinken wollte. Ein Student, wie er am Vorabend vorgab, war er also sicher nicht. Allerdings berührte mich das auch wenig. Ich hatte ja mein Täschchen und mehr brauchte ich nicht. Der Wein schmeckte mir absolut nicht. Und als ich nach einer knappen Stunde glaubte, dass meine Dankbarkeit abgegolten sei, bekundete ich in meiner schnippischen Art, dass ich jetzt nach Hause wolle. Doch Jo antwortete, er möchte den Wein noch in Ruhe austrinken, bringe mich aber gern zur Garderobe.

Hoppla, was war denn das? Hatte ich richtig gehört? Meine früheren Partner wären aufgesprungen und hätten die fast volle Flasche stehen lassen. Bisher hatte ich immer meinen Willen durchgesetzt. Ich kannte keinen Widerspruch und hatte das leider auch schamlos ausgenutzt. Dass ich das immer ausnutzen würde, wusste ich und auch, dass dies für eine Partnerschaft auf Dauer nicht gut sei. Es war das erste Mal, dass ein Mann meine Faxen nicht duldete. Ja, das war doch wohl offensichtlich nicht so ein Hampelmann. Also beschloss ich, nicht zu gehen und mir den Helden genauer anzusehen. Eigentlich sah er ganz gut aus. Er trug einen schicken grünen Pullover, der sogar mir gefiel. Schon allein die Farbe war ausgefallen. Und ich konnte mir absolut nicht vorstellen, dass dieses äußerst geschmackvolle modische Kleidungsstück einer VEB-Produktion entstammte. Seine drahtige, durchtrainierte Figur hatte mir schon am Vorabend imponiert. Allerdings war er nicht unbedingt mein Typ. Ich stand eher auf dunkelhaarige, fast südländische Männer. Jo war blond und hatte blaue Augen, so wie meine erste Liebe auch ausgesehen hatte. Wer zog nun wen an? Die Blonden mich oder ich die Blonden?

Wir trafen uns ein paar Mal. Dann lud mich Jo zur Verlobungsfeier seiner Schwester Ursula, kurz Uschi, ein. Sie fand bei den Eltern zu Hause statt. Mit einer wunderschönen Orchidee, deren Preis mein kärgliches Budget fast überstieg, ausgestattet, erschien ich und war fest davon überzeugt, gut anzukommen. Aber weit gefehlt. Obwohl Uschi in meinem Alter war und ich immer sofort einen guten Kontakt zu gleichaltrigen Mädchen gehabt hatte, schnitt sie mich. Die Mutter fand ich zwar recht sympathisch und ich hatte beim Abräumen des Geschirrs in der Küche auch ein nettes Gespräch mit ihr. Aber die übrige Familie war sehr zurückhaltend. Wohl fühlte ich mich auf keinen Fall. Und ich glaubte nicht, dass dies eine Familie für mich wäre.

Hinzu kam, dass ich ein paar Wochen später ein Telegramm, von der Schwester unterzeichnet, erhielt. Es besagte, dass Jo zur Leipziger Messe und somit verhindert sei, abends mit ins Konzert zu kommen. Die Karten dafür hatte ich von meinem kärglichen Stipendium gekauft. Da ich Jo aber mit seinem Motorroller an diesem Tag über den Dresdner Postplatz fahren gesehen hatte, wusste ich das zu werten. Beim nächsten Treff schob ich dringende Arbeiten an meiner Promotion vor. Man hört von einander!

Ich hätte mich auch meiner Promotion gewidmet, wenn da nicht gleich mehrere Probleme aufgetaucht wären.

Erstens erfuhr ich, dass mein Kontingent an Fotopapier erschöpft sei. Es wurde aus dem so genannten NSW (Nicht Sozialistisches Wirtschaftsgebiet) importiert. Da meine Doktorarbeit zwar wissenschaftlich interessant wäre, aber weder ein politisches Interesse noch eine volkswirtschaftliche Notwendigkeit vorläge, gäbe es eben kein Papier mehr. Das war für mich ein großer Schock. Ich verfluchte Vieles und Viele, unter anderem, dass ich keine Westverwandtschaft hatte, die mir hätte das Papier einfach schicken können. Und warum musste ich so dämlich ehrgeizig sein, mich nicht mit einer Statistikarbeit zu begnügen. Ich hatte eine Dissertation herausgesucht, an der ich nun schon seit vielen, vielen Monaten gearbeitet hatte. Es waren Kreislaufanalysen an Patienten unmittelbar nach einem Herzinfarkt sowie nach einem Jahr durchzuführen. EKG, Herztöne und die Pulse von der Halsschlagader und der Beinschlagader waren aufzuzeichnen und die Filme zu entwickeln. Dann hatte ich alles auszumessen und zu berechnen. Da die Messungen unter „Ruhe- Nüchtern- Bedingungen“ erfolgen mussten, um vergleichbar zu sein, ging dies nur morgens. Und die Patienten sollten vorher eine Stunde liegen. Das hatte mich unzählige Stunden gekostet. Eine Hilfe hatte ich nicht. Im Gegenteil, um das Cardiologische Labor samstags benutzen zu können, hatte ich mich bereit erklärt, bei personellen Engpässen, die es leider oft gab, morgens mit Blut abzunehmen. Dafür hatte ich jedes Mal Vorlesungen schwänzen müssen. Das war nun alles umsonst! Verständlich, dass mein Fluch auch das politische Regime traf.

Zweitens hatte ich mich ganz gegen meinen Willen verliebt. Das merkte ich von Tag zu Tag, an dem ich nichts von Jo hörte, umso mehr. Dabei war er doch sicher ein „Roter“, wie wir alle linientreuen, dem Staat ergebenen Bürger nannten. Als persönlicher Referent des Direktors eines großen Werkes mit 6000 Beschäftigten war er natürlich in der Partei. Warum musste ich gerade an so einen mein Herz hängen? Ich hatte die Telefonnummer von Jos Dienststelle, aber da anzurufen wäre undenkbar gewesen. Ihm schreiben? Nein, keinesfalls! Er könnte sich ja auch mal melden. Tat er aber nicht.

Als ich es nicht mehr aushalten konnte, fasste ich mir ein Herz und suchte Jos Mutter auf. Ich fand sie recht nett und der Bann war sofort gebrochen, als sie mir verriet, dass er wohl auch leide und oft am Fenster stehe und Ausschau halte. Außerdem hätte die Zurückhaltung der Familie mir gegenüber nichts mit meiner Person zu tun, sondern mit Jos Lebenswandel. Er und seine Freunde hätten ständig neue Mädchen mit nach Hause gebracht und die seien auf einer Verlobungsfeier nun wirklich fehl am Platze gewesen. So hatte der Familienrat beschlossen, dass er zur Feier ein Mädchen nur mitbringen könne, wenn er „ernste Absichten“ hätte. Jo aber hatte ihnen gedroht, selbst auch nicht zu kommen, wenn er mich nicht mitbringen dürfe, verständlicherweise ohne sich über seine Absichten zu äußern.

Ich hätte sie küssen können und wollte mehr über ihn wissen. Einiges erfuhr ich von ihr und einiges wohl auch später von ihm selbst.

Jo war der Vierte von fünf Kindern, drei Mädchen und zwei Jungen. Vor 1945 hatte die Familie in Reick, einem Stadtteil von Dresden, gewohnt und war ebenfalls ausgebombt worden. Da sie nicht wie wir eine Oma in Dresden hatte, zu der sie hätte ziehen können, wurde sie in ein kleines Dorf im Erzgebirge zu einem Bauern evakuiert. Der Vater war in französischer Kriegsgefangenschaft und die Mutter hätte es nicht geschafft, allein für sechs Personen zu sorgen. So mussten die Kinder beim Bauern mit arbeiten. Jo traf es am härtesten, denn die zwei Großen waren im Internat und die Jüngste war noch zu klein. In der Erntezeit zum Beispiel bekam Jo die Schule nur äußerst selten zu sehen. Dass die Familie wieder Zuzug nach Dresden erhielt, war Glück im Unglück, denn das Bauerngehöft, in dem man sie untergebracht hatte, brannte nachts aus. Alle hatten lediglich ihr Leben retten können.

Ausgebombt... Ausgebrannt... Abermals Neuanfang...

So ist es für Jo sehr schwer gewesen, den Anschluss in der Schule zu finden, und er musste schon in der Grundschule abgehen und Maurer lernen. Über die Abendschule war er dann zum Ingenieurstudium gekommen.

Er hatte im Stahlwerk Riesa als Bauingenieur angefangen und als sein Chef Werkdirektor im Stahlwerk Gröditz wurde, hat dieser ihn als seinen persönlichen Referenten mitgenommen. Später hat Jo sich dann in das Edelstahlwerk in Freital, eine kleine Kreisstadt vor den Toren Dresdens, versetzen lassen. Für diesen neuen Posten war ein Betriebswirtschaftsstudium, in der DDR hieß das Ingenieurökonomie, erforderlich. So hatte Jo also noch ein Fernstudium aufgenommen.

Er hat mich doch nicht angelogen, als er mir zum Fasching erzählte, er sei Student, stellte ich erleichtert fest. Damals hatte ich jedoch nur an Direktstudenten gedacht. Kein leichter Weg also, vom „Dorfdunzel“, wie wir Kinder diejenigen genannt hatten, die vom Land in die Stadt gekommen waren, zum Wissenschaftlichen Mitarbeiter. Ich schämte mich ein wenig, wenn ich dagegen meinen glatten Bildungsweg betrachtete. Mir war immer alles leicht gefallen und ich versuchte, mir vorzustellen, wie Jo um sein Vorwärtskommen hatte kämpfen müssen. Ich verstand sogar, warum er in die Partei eingetreten war. War er nun rot oder nicht? Ich würde einige Zeit brauchen, um sein wahres Gesicht kennen zu lernen. Natürlich gab ich mich ihm gegenüber auch linientreu und mir war klar, dass Jo mich ebenfalls für eine Rote halten musste. Eigentlich sollte er das ja, zumindest so lange, bis ich wüsste, wie er wirklich dachte.

Wie oft fragte ich mich, ob sich wohl alle Liebenden so quälen müssten, bevor sie sich outen könnten? Man wusste ja, dass politisch Andersdenkende verfolgt wurden und möglicherweise sogar mit einer Inhaftierung zu rechnen hatten. Von einem humanen System, in dem wir lebten, konnte man wohl kaum sprechen. Es wird in keiner Statistik erscheinen, wie viele Beziehungen daran gescheitert sind, dass der eine vom anderen fürchtete, er könne ihn denunzieren, wenn er sich bekenne.

Es folgte eine schreckliche Zeit. Ich liebte Jo, wollte ihn nicht verlieren, aber ich wollte weder einen Roten, noch wollte ich ans Messer geliefert werden. Ganz behutsam entblätterten wir uns gegenseitig, wie Zwiebeln, bis wir endlich feststellen konnten, dass wir beide das DDR-Regime verachteten. Zwei von Jos Schwestern waren sogar 1958, also noch vor dem Mauerbau, „nach dem Westen abgehauen“, wie man im Volksjargon sagte. Offiziell hieß das Republikflucht.

In den Fängen der Stasi

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