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11. Eine gesellschaftskritische Dissertation

Jo hatte bereits 1974 sein Fernstudium beendet und konnte im Oktober seine Diplomurkunde in den Händen halten. Die Diplomarbeit hatte sich mit Fragen der effektiveren Entwicklung der Mechanisierung der Bauprozesse in der DDR befasst. Die Ergebnisse waren sowohl für die Hochschule als auch für das Ministerium für Bauwesen so interessant, dass man ihn bat, diese Betrachtungen in einer Doktorarbeit fortzusetzen, unter der Thematik: „Die Entwicklung und Proportionierung des Produktionsprozesses der Grundmittel als Problem der langfristigen Ausrüstungs- und Kapazitätsplanung“.

Einerseits war Jo froh und sicher auch ein wenig stolz, eine gute und interessante Arbeit geleistet zu haben. Andererseits mussten wir aber an die Worte der Stasi: „… Wie es mit Ihnen weiter geht, das bestimmen wir“, denken.

Wir berieten. Jo argwöhnte, ob die Stasi die Dissertation wohl verhindern würde, denn Nutznießer seiner Ergebnisse war das Ministerium für Bauwesen. Der Schreck und die Angst saßen ihm also noch immer in den Knochen. Mich hatten sie ja nicht so in die Mangel genommen, deshalb hatte ich die ganze Geschichte ein wenig verdrängt. Ich versuchte, ihm meine Vermutung klarzumachen, dass die Aktion gescheitert und ad acta gelegt worden war und sie ihn damals mit den Drohungen hätten nur einschüchtern wollen. Warum sollte er seine Chance nicht nutzen?

Also doch noch promovieren!

Eigentlich hatten wir vereinbart, dass ich nach Beendigung seines Studiums mit einer neuen Dissertation begänne. Ein „Doktor“, wie die Ärzte gern im Volksmund genannt werden, ohne Doktortitel war in der DDR infolge einer Studienreform wohl nicht zu selten, aber doch noch ungewöhnlich. Nachteile hatte ich allerdings nie gehabt. Für Jo hätte der Titel nicht nur beruflich viel bedeutet, auch wegen seines Schulabganges, den er noch immer als Makel betrachtete, hatte er es verdient. Ich verzichtete gern auf die zwei Buchstaben und eine zusätzliche wissenschaftliche Arbeit, zumal unsere Tochter in einem Alter war, wo sie viel Zeit in Anspruch nahm, und das hatte für mich Vorrang.

So riet ich meinem Mann zu. Und Ende 1975 begann er zusammen mit seinem Kollegen Christoph Richter, den wir kurz Chris nannten, mit einer außerplanmäßigen Aspirantur an der Bergakademie Freiberg. Von der Stasi sahen und hörten wir nichts und ich fühlte mich in meiner Vermutung bestätigt, dass wir für diesen Verein längst uninteressant geworden waren. War ich wirklich so naiv? War es Vogel Strauss Politik? Ich weiß es heute noch nicht.

Im März 1980 sollte die Dissertation verteidigt werden. Zur Vorbereitung der Verteidigung wurde ein Kolloquium mit einem ausgewählten Kreis von Fachleuten der Hochschule anberaumt. Unmittelbar nach dem Beginn der Veranstaltung erschienen zwei Herren und trugen sich in die Anwesenheitsliste ein. Zum Abschluss der Veranstaltung wurde nochmals die Teilnehmerliste erörtert und man stellte fest, dass die beiden letzten Unterschriften unleserlich waren. Keiner der Anwesenden hatte die zwei Männer gekannt oder gar geladen.

Am nächsten Tag wurde Jo zu seinem Generaldirektor bestellt. Man warf ihm vor, interne Informationen über das Bauwesen der DDR in einem Kreis von Fachleuten an der Bergakademie Freiberg erörtert zu haben. Mit sofortiger Wirkung wurden sämtliche an dritte ausgehändigten Materialien eingezogen und die Dissertation zur VVS (Vertrauliche Verschlusssache) erklärt. Für einen nicht mit dem politischen System vertrauten Leser wird es kaum möglich sein, abzuschätzen, wie kompliziert die Arbeit dadurch wurde. Dass darüber nicht gesprochen werden durfte, wäre nicht das Problem gewesen. Aber man hatte Jo vier Gutachter für die Dissertation benannt, Professoren von verschiedenen Universitäten, Wissenschaftler, für die es nicht üblich war, sich VVS verpflichten zu lassen. Wie also weiter?

Alles ganz einfach, indem man die Professoren VVS verpflichtet? Ein Wissenschaftler ist aber der Meinung, dass die Forschung nicht politisch und somit frei von Zwängen durch Wirtschaft und Partei sein sollte. Am Ende hat man es wohl doch irgendwie geschafft, dass drei der Professoren die Verpflichtung akzeptiert haben. Der vierte wurde zur Verteidigung nicht zugelassen.

Unsere Angst, dass noch irgendeine Reaktion der Stasi auf die Dissertation käme, schien zunächst unbegründet. Jos Arbeit hatte Fehler und Schwächen der sozialistischen Planwirtschaft und des Bilanzierungssystems aufgedeckt. Aber es gab im Ministerium für Bauwesen auch ein paar kluge Köpfe, für die seine Dissertation wertvoll war. Und so wurde er dort sogar in interne Arbeitsgruppen eingebunden.

1981 setzte ihn der Generaldirektor der VVB Baumechanisierung als seinen Sonderbeauftragten für die Mechanisierung der Bauprozesse im kreisgeleiteten Bauwesen der DDR ein. Ließ man ihn gewähren? Allerdings waren wir trotz Jos Beförderung stets auf der Hut. Auch ich hatte inzwischen meine Fehleinschätzung der „Firma Horch und Guck“, wie man die Stasi volkstümlich nannte, erkannt und meine Meinung revidiert.

In den Fängen der Stasi

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