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5. Verhältnis der Weltreligionen zueinander

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H: Zu den besonders heiklen und sehr kontrovers diskutierten Problemen heutiger Theologie zählt die Frage nach dem Verhältnis der Religionen zueinander. Der Stellung des Christentums kommt dabei naturgemäß besondere Bedeutung zu. Drei Grundthesen haben sich herausgebildet: Die eine, der sogenannte Inklusivismus, ist der Überzeugung, dass vom Christentum alles umschlossen wird. Diese These geht zurück auf Karl Rahner, näherhin auf seine Rede von den anonymen Christen. Die andere Position, der Exklusivismus, vertritt das genaue Gegenteil. Er grenzt alles andere aus, es gibt keine verbindende Diskussion. Und schließlich die dritte Position, die sogenannte plurale Religionstheorie: die Pluralität der Religionen. Alle Religionen stehen mehr oder weniger gleichwertig nebeneinander. Welche Perspektive eröffnet sich aus der Sicht Ihrer Theologie, Herr Kollege Biser, auf diese fundamentale Problematik des Verhältnisses der Weltreligionen zueinander?

B: Die Antwort kommt aus dem Zweiten Vatikanischen Konzil, denn dieses Konzil hat sich zu dem Prinzip des Dialogs durchgerungen. In der Konsequenz dessen müssen auch die Weltreligionen zueinander in eine dialogische Beziehung treten. Im Zug dieses Dialogs muss sich dann herausstellen, ob das Erste zutrifft, dass das Christentum die anderen Religionen einschließt, ob das Zweite zutrifft, dass gar kein Dialog möglich ist, oder ob das Dritte zutrifft, nämlich dass alle im Grunde ein und dasselbe sind und dass von daher kein Dialog nötig ist. Ich meine, wir müssen Schritt für Schritt zeigen, wie sich dieser Dialog gestaltet.

Der erste Schritt betrifft selbstverständlich jene Religion, die eine anhaltende Faszination auf viele Christen ausübt, also den Buddhismus, den wir als eine primär asketische Religion bestimmten. Der mit ihm aufzunehmende Dialog müsste sich daher auf das buddhistische und christliche Verständnis von Askese beziehen, das ich nun nochmals mit der These ins Visier nehmen möchte, dass Askese immer nur als Hilfsstrategie, niemals aber um ihrer selbst willen geübt werden darf. Im Grunde ist alles mit der These gesagt, dass das Christentum keine asketische, sondern eine therapeutische Religion ist. Der Buddhismus erhebt die Askese zum Selbstzweck; für das Christentum ist sie ein Mittel, dem Menschen zur Erreichung seines Hochziels zu verhelfen. Deswegen endet die buddhistische Askese im Nirwana, während die christliche dem Hochziel der Gotteskindschaft entgegenführt. Dabei handelt es sich um den noch viel zu wenig ins allgemeine Bewusstsein gelangten Spitzenbegriff der christlichen Anthropologie. Auch zu dieser Erkenntnis könnte Nietzsche verhelfen, der zu Beginn seines „Zarathustra“ verdeutlichte, dass Kindsein nichts mit Infantilisierung, wohl aber mit der vollkommenen Selbstidentifikation des Menschen zu tun hat.

H: Wenn der Buddhismus im Grunde genommen in seinem Kern die Aufhebung der personalen Identität anstrebt, lässt sich dann dieser Gedanke in irgendeiner Weise mit dem Christlichen vereinbaren, wo es doch im Christentum ganz entschieden um den konkreten, einzelnen Menschen und nicht um die Menschheit geht?

B: Das ist selbstverständlich eines der ganz zentralen Probleme. Ich bin auch der Meinung, dass das Christentum im buddhistisch-asiatischen Kulturkreis deswegen relativ erfolglos geblieben ist, weil hier zwei Grundkonzeptionen des Menschseins einander diametral gegenüberstehen. Dem Buddhismus geht es – wie wir gesehen haben – um die Auflösung und Auslöschung der menschlichen Individualität, dem Christentum dagegen um deren Erhebung und Optimierung.

Nach meinem Verständnis gibt es trotzdem eine Begegnung, die allerdings erst dann begriffen werden kann, wenn wir die Mystik einbeziehen. Im Christentum geht es um einen Identitätsgewinn, der sich über alles erhebt, was in diesem Zusammenhang im neuzeitlichen Denken ans Licht gehoben worden ist. Dort geht es im Grunde um eine Selbstsetzung. Im Christentum heißt es: „Ich lebe, doch nicht ich, Christus lebt in mir.“ Und das heißt, dass hier die menschliche Individualität zurückgenommen werden muss, damit das göttliche Über-Ich des uns einwohnenden Christus zur Vorherrschaft gelangen kann.

Hier ist nach meinem Verständnis eine Berührungsmöglichkeit mit der buddhistischen Meditationsform gegeben, sofern es darin um einen Nachvollzug des Buddhaseins geht.

H: Könnte das Ganze nicht auch so gedacht werden, dass die Menschen nach christlichem Verständnis ihre Individualität nicht zurücknehmen müssen, dass diese vielmehr zu ihrer letzten Vollendung geführt wird und dadurch die personale Identität das Zentrum des Christentums bildet? Was den Buddhismus betrifft, bin ich der Meinung, wir müssten alle unsere Diskussionen über solche Religionen unter den Vorbehalt stellen, dass wir zu wenig Erfahrungen haben und zu wenig wissen, was dort eigentlich und wirklich gemeint ist. Wir haben wahrscheinlich von unserem abendländischen Denken her Sperren, die uns den Zugang einfach nicht ermöglichen.

B: Das ist auch meine Meinung: Wir haben im Abendland die reflektierende Vernunft bis zu ihrer Höchstform entwickelt. Solche Entwicklungen gehen aber stets mit Einbußen einher. Transrationale Formen der Einfühlung und Verbundenheit bleiben auf der Strecke und verkümmern. Allenfalls spielen sie dann im Bereich der Parapsychologie noch eine Rolle. Im asiatischen Raum sind aber gerade diese Formen kultiviert worden. Der Faszination des Buddhismus liegt, so gesehen, womöglich die Sehnsucht nach diesen verlorenen Möglichkeiten zugrunde. Auf diesem schwer erkundbaren Feld könnte sich daher eine Begegnung des Christentums mit der asiatischen Denkwelt anbahnen.

H: Wie steht es nun mit den monotheistischen, nicht-christlichen Religionen?

B: Meine schon wiederholt vorgetragene These lautet: Das Christentum ist im Vergleich zum Judentum und in gewisser Hinsicht auch zum Islam keine moralische, sondern eine mystische Religion. Für das Judentum ist Gott in erster Linie ein Gesetzgeber, der sein Volk mit der Mitteilung seines Willens im Gesetz des Dekalogs beschenkt hat. Es ist der Vorzug des Juden, diesem Gesetz stets tiefere Einsichten und förderlichere Direktiven entnehmen zu können.

Das Christentum hat im Vergleich damit eine andere Auffassung von Moral. Die Moral im Christentum ist zwar zunächst einmal auch die der Normen und der Direktiven, der Gesetze und Verbote, aber kein Geringerer als Paulus hat gewusst: Wenn ich das Gebot nicht gekannt hätte, hätte ich auch nie die Neigung empfunden, es zu übertreten. Daher ist die Gebots- und Verbotsmoral nur bedingt effektiv.

Es gibt aber nach demselben Paulus einen ganz anderen Weg zur Moralität des Menschen. Wie wir uns bereits klar gemacht haben, besteht er darin, dem Menschen ein Prinzip einzustiften, das ihn zum Ansinnen und Antun des Bösen unfähig macht: Es ist das Prinzip Liebe, das, in die augustinische Maxime gebracht, lautet: „Dilige, et quod vis fac“ – „liebe, dann kannst du tun, was du willst“, denn dann kannst du dem anderen nur noch beistehen und helfen. Gerade darin erweist sich das Christentum als eine im Grunde mystische Religion. In christlicher Sicht ist die Liebe keine Idee, sondern eine Person: die Person, und zwar des Stifters, der im Vergleich zu anderen Religionsstiftern nicht in die Vergangenheit abgesunken ist, sondern als „lebendig machender Geist“ – wie sich Paulus ausdrückt – in den Herzen der Seinen auf- und fortlebt. Seine Liebe drängt und bewegt sie zum Guten. Deshalb muss die Lehre vom Fortleben Christi in den Herzen der Seinen, die nach dem Münchener Fundamentaltheologen Gottlieb Söhngen in Vergessenheit geraten ist, dieser entrissen und neu zum Vorschein gebracht werden.

H: Über dieses Problemfeld wird sicher an anderer Stelle noch zu sprechen sein. Aber jetzt müssen wir doch noch einige Sätze zum Islam sagen. Wie verhält er sich in der Sicht Ihrer theologischen Konzeption zum Christentum?

B: Der Islam stand zum Christentum zunächst einmal in einem extrem polemischen Verhältnis. Bekanntlich hat er seinen Siegeszug als Schwertreligion angetreten und dem Christentum riesige Bereiche entrissen. Wenn man sich aber in die Ideenwelt des Islam etwas tiefer versenkt, wird man erkennen: Der Islam ist von Haus aus keine Schwertreligion, sondern – wie der Name schon sagt – eine Religion des Friedens, wenngleich er seinen Siegeszug als Schwertreligion begonnen hat. Vor allem aber ist er eine Religion des Buches. Deswegen haben auch die „Buchleute“, wie Muhammed Juden und Christen bezeichnet, im Islam eine gewisse Tolerierung erfahren. Hier muss dann selbstverständlich angeknüpft werden.

Die Zeitverhältnisse haben es mit sich gebracht, dass das Verhältnis zum Islam plötzlich in eine extreme Spannung geraten ist. Der Islam wird verteufelt, und wer in dieser Weise fortfährt, stürzt die Welt früher oder später in eine Katastrophe. Der Islam umfasst annähernd eine Milliarde von Menschen und Anhängern, die ihm zum Großteil mit vorbildlicher Treue anhängen; deswegen müssen wir zum Islam ein dialogisches Verhältnis aufbauen, so schwierig es ist. Man muss natürlich noch etwas anderes bedenken: Der Islam ist im Verhältnis zum Christentum eine über 600 Jahre jüngere Religion. Er befindet sich, wenn man es lebensgeschichtlich ausdrücken will, sozusagen in der Adoleszenz. Auch im Menschenleben sind Jugendliche geneigt, über die Stränge zu schlagen und sich polemisch mit anderen auseinanderzusetzen. In dieser Phase steckt der Islam immer noch. Was ihm fehlt, ist das, was das Christentum zwar auch zu seinem Schaden, vor allem aber zu seinem Nutzen hervorgebracht hat: die Aufklärung. Deswegen ist der Dialog mit dem Islam nach meinem Verständnis essentiell an die Frage gebunden, ob es gelingt, dem Islam zu einer Aufklärung zu verhelfen. Wenn es gelänge, würden beispielsweise Dinge geklärt werden, die bis auf den heutigen Tag noch sehr kontrovers diskutiert, vielleicht noch gar nicht richtig gesehen werden. Dann würde der Islam erkennen, dass der Koran, so sehr er nach seinem Verständnis vom Himmel gefallen und von Gott eingegeben ist, eben doch auch Menschenwerk ist, wie es anders gar nicht sein kann. So ist ja auch das Christentum durch die Aufklärung zum besseren Verständnis seiner eigenen Dokumentation, also der neutestamentlichen Schriften, gekommen. Das müsste auch im Islam stattfinden; dann würde sich das Verhältnis dialogisch und am Ende sicher auch friedlich gestalten. Das wäre das Ziel.

H: Um Missverständnisse zu vermeiden, muss abschließend gesagt werden, dass von all diesen Fragen die Frage nach dem Heil des je einzelnen Menschen nicht berührt wird. Das heißt also: Selbst wenn das Christentum in seinem Selbstverständnis eine Superiorität beansprucht, ist damit nicht gesagt, dass Nichtchristen vom Heil ausgeschlossen wären.

B: Für den Christenglauben steht fest: Wenn Gott sich offenbart, ist es ein Akt der Liebe. Und Liebe ist nie exklusiv. Sie kann sich im Menschenleben zwar vorwiegend auf einen Einzelnen richten, aber sie schließt im Grunde immer alle ein, und vor allen Dingen: sie schließt niemanden aus. Wenn Gott sich offenbart, geht das an die Adresse der ganzen Welt; deshalb richtet sich auch die christliche Offenbarung tendenziell an alle Menschen und an jeden einzelnen von ihnen. Das muss gesehen werden, wenn es zu einem konstruktiven Verhältnis der Weltreligionen kommen soll.

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