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Geleitwort

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Eugen Biser und Richard Heinzmann haben in gegenseitiger Begegnung und Verständigung die christliche Botschaft immer wieder erneuert. Das Christentum sei eine Religion der Liebe, die dem Bedürfnis jedes Menschen entgegenkomme, geliebt zu werden. Sie sei glaub-würdig, weil sie unseren inneren Sehnsüchten und Erwartungen entspreche. Sie begleite den Menschen als Person in seiner Entfaltung zur sittlichen, deshalb freiheitsfähigen Persönlichkeit. Der Mensch trete Gott als Dialogpartner gegenüber, entfalte sein Gewissen, um selbstverantwortlich und selbstbestimmend über die Annahme seiner selbst und über seine Selbstverwirklichung zu entscheiden und zu urteilen.

Dieses Dialogbuch gibt uns Erfahrungen, Lebenssichten und Maßstäbe, um in der Gegenwart einer orientierungsarmen Welt Ziel, Hoffnung und Selbstbewusstsein zu entwickeln. Wenn der Mensch gegenwärtig Eingriffe in die Keimbahn vollzogen hat, wenn der Finanzmarkt auch auf den Niedergang von Staaten und Unternehmen spekuliert und dabei wirtschaftliche Erfolge erzielt, wenn in Teilen der Großindustrie der ehrbare Kaufmann nicht mehr maßstabgebend ist, wenn die „sozialen Medien“ schon unsere Kinder verlocken, in der Anonymität ihre Lehrer, später dann ihre Richter und Konkurrenten mit Hass und Häme zu überschütten, ohne für diese Untat zur Verantwortung gezogen zu werden, braucht der Mensch religiöse Grunderfahrungen, ein Verständnis von Gott und den Menschen, das in der Einzigkeit und Würde der Person seine Mitte findet.

Das Christentum bietet die „unüberbietbare“ Antwort auf diese Sinnfrage des Menschen. Dieses Christentum, das immer noch „in den Kinderschuhen“ steckt, befreit sich in den Nachdenklichkeiten von Biser und Heinzmann von einem beengenden Gehorsamsglauben, entfaltet sich in einem verantwortlichen Verstehensglauben, gewinnt in der Offenheit für den menschgewordenen Gott und damit für den Menschen seine Zukunft. Die Kirche kehrt vom Dekret zum Dialog zurück, ersetzt Gottesangst durch Gottvertrauen, führt die Botschaft Jesu in eine Welt des Verstehens, der Erfahrung und Verantwortlichkeit.

Dieser Dialog ist anspruchsvoll, erwartet von dem Leser Nachdenklichkeit, mehr noch Spontaneität, Hoffnung und die Bereitschaft, an sich selbst zu arbeiten – „jenen Urakt aller Kultur“. Das Wort Gottes und ebenso ein Gespräch über Gott braucht Analogien aus unserer zwischenmenschlichen und innerweltlichen Erfahrung, nutzt Gleichnisse, um etwas im Grunde Unsagbares dennoch zu sagen. Dieses Gespräch stellt neben das „Ich“ das „Du“. Ohne den Mitmenschen gäbe es keine Sprache, keine Kultur, keine Liebe. Ein Glaube, den ein Mensch nur für sich erfährt, könnte nicht zur Religion, nicht zu einer Kirche werden. Der Glaubende ist bereit zur liebevollen Zuwendung, begreift seine Einzigartigkeit und Unwiederholbarkeit im Maß des Gemeinsamen, findet auf die Frage nach dem Sinn – das ist die Frage nach Gott – in der Gemeinschaft Antworten. Eugen Biser sagt, das Christentum habe sich in aller Welt ausbreiten können, „weil es die Wärme der Barmherzigkeit in die Kältehölle der Antike hineingetragen hat“. Der Leser von heute denkt an die Kälte von Krieg und Terrorismus, die Anonymität einer fast menschenlosen, nur durch Computer und Roboter produzierenden Fabrik, an die Ängstigung des Menschen durch politische, kulturelle und wirtschaftliche Desinformation, an die alltäglichen Gewaltdemonstrationen, die durch ihre Illegalität besondere Aufmerksamkeit und damit einen Publizitätsvorsprung gewinnen.

Die christliche Botschaft erwartet und fordert Freiheit. Sie weist den Weg aus der Gebundenheit durch Schicksal und Fatum, entlastet von einer Angst vor dem Überirdischen. Sie fordert schon im Urchristentum die Freiheit von Versklavung, heute von der Maßstablosigkeit eines Gewinnmaximierungsprinzips, der Betörung und Bezauberung durch die Medien, auch von der Bedrohung durch eine Wissenschaft, die nur fragt, was der Mensch kann und nicht, was der Mensch darf. Die christliche Religion überwindet den Tod, den sie nicht nur als Schrecknis, sondern auch in seiner Faszination versteht. Der an die Auferstehung Glaubende habe den Tod bereits hinter sich, auch wenn die Not des Sterbenmüssens ihm noch bevorstehe. Eugen Biser lässt die beglückende Vorstellung des Christentums anklingen, wenn er auf sein eigenes Sterben vorausschaut: „Ich lasse mich von Gott überraschen.“

Die christliche Frage nach dem Menschen bietet auch Antworten für die Gegenwart der Kirche. Auch die Kirche denkt und lebt in der Geschichte. Heute entdeckt die Kirche das freiheitliche Menschenbild in seiner Gottebenbildlichkeit und Würde neu, nimmt einen urchristlichen Gedanken wieder auf, der mit der Deutung des Menschen als Ebenbild Gottes den radikalsten Gleichheits- und Freiheitssatz der Geschichte formuliert hat.

Dieser Leitgedanke ist in der Aufklärung erneuert worden und muss nun gegenwartsgerecht verstanden werden. Der Kirche kommt nicht eine Autorität des Machthabers zu, der einen Herrn vertritt, sondern eine Autorität des Lehrers, der seine Erfahrung, sein Wissen und seine Wirklichkeitssicht an seine Schüler weitergibt, der dabei sein Erleben in Bildern und Vorbildern, in Begegnung und Austausch vermittelt. Wir werden diesen Gedanken weiterführen und heute fragen, ob die gegenwärtige Kirche im Weihnachtsoratorium auf das Duett verzichten kann, das ein hohes Lob Gottes nur im Zusammenspiel von Mann und Frau erklingen lässt. Wir werden bedenken, ob der Priester zum Diener Gottes berufen oder mehr zur Herrschaft von Gottes Gnaden ermächtigt ist. Wir werden prüfen, ob das Leben in der eigenen Familie und die alltägliche Begegnung mit dem eigenen Kind eher Bedingung oder eher Hemmnis für die Verkündigung des Wortes Gottes und den Empfang der Sakramente ist.

Die Theologie Eugen Bisers spricht in eine Zeit, in der der Mensch – in der Raumfahrt, der Nachrichtentechnik, der Bioethik – über sich hinauszuwachsen, in der naturwissenschaftlichen Wende sich gegen den Menschen selbst und seine Humanität zu richten scheint, damit schroff auf die Selbstbesinnung und die Sinnfrage zurückgeworfen wird. In dieser geschichtlichen Wirklichkeit setzt die Theologie auf die Freiheit des Menschen, sein Gewissen, insbesondere das Existenzgewissen, das über die Art und Weise urteilt, wie der Mensch sich mit sich selbst befasst. Das Gewissen entwickelt eine selbstkritische Geschichtsschreibung über das eigene Tun, braucht dabei aber einen das Individuum und die Zeiten übergreifenden Maßstab. Das Christentum sieht das Menschliche nicht als Vertreibung aus dem Paradies, sondern als Ankunft in einer zu Humanem und Humanität fähigen Welt. Es baut nicht auf Gebote und Verbote, sondern entfaltet ein Freiheitsvertrauen in den Menschen. So entsteht Zugehörigkeit und Zusammenhalt, Nächstenliebe und Verantwortlichkeit, Freiheitsfähigkeit und Demokratiebereitschaft, ein Gespräch mit allen Religionen, die in unterschiedlichen Sichtweisen nach dem einen Gott suchen.

Ein solches Christentum wird in den Dialogen als „die größte Liebeserklärung Gottes an die Welt“ entfaltet, verheißt die „Erlösung“, lässt Jesus leben, obwohl er in seinem Leben gescheitert ist. Wir werden in ein Christentum des Wortes, der geschichtlichen Bilder, der Musik, der Gemälde und Skulpturen, des Orgelspiels, der Kathedrale und der Bildnisse geführt.

Die in diesem Band unter dem Titel „Zukunft des Christentums“ zusammengefassten Fernsehgespräche sprechen den Menschen in seinen existentiellen Fragen an, wecken eine Neugierde auf Ursprung und Ziel seines Lebens, vermitteln eine religiöse Gelassenheit im Bewusstsein, dass Gott, der unerklärbar ist, diese Welt geschaffen hat. Das Buch wendet das Christentum zur Innerlichkeit, zum Verstehensglauben, zu einer Religion der verantwortlichen Tat.

Heidelberg, im Dezember 2018 Paul Kirchhof
Zukunft des Christentums

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