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3. Kritische Würdigung

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Ich möchte einsetzen mit einer Würdigung des kanongeschichtlichen Ausgangspunkts. Bis zum heutigen Tag ist der Prozess, der zwischen der Abfassung der paulinischen Briefe und der Zusammenführung von insgesamt 13 Briefen im neutestamentlichen KanonKanon abgelaufen ist, in vielem dunkel. Ob es ein vielgestaltig verlaufener Weg der Sammlung und Zusammenstellung, zunächst zu lokalen Kleinsammlungen bis hin zu einer Größe eines Corpus Paulinum, oder ob es ein von massiven kirchlichen Interessen gezeichneter Selektionsprozess war, die Forschung stellt sich gegenwärtig in Methoden und Ergebnissen gespalten dar. Innerhalb der neutestamentlichen Einleitungswissenschaft hält Raymond Brown die Vermutung für plausibel, dass nach der Abfassung der Apostelgeschichte eine systematische Sammlung der Paulusbriefe einsetzte.1 Peter Trummer hat mit beachtlichen Argumenten die These vorgetragen, dass die Pastoralbriefe im Zusammenhang einer Revision der Paulusbriefe verfasst und der Sammlung der Paulusbriefe zugefügt wurden.2 Nach Udo Schnelle hingegen war die Sammlung der Paulusbriefe ein bereits „nach dem Tod des Apostels einsetzende[r] natürlicher Prozeß“ und führte zunächst zu lokalen Kleinsammlungen.3 Träfe diese letztgenannte Sicht zu, dann ist das Arbeitsfeld für Literarkritik klein geworden, da bereits die Originalschreiben Gegenstand der frühen Sammlung waren. Innerhalb der textkritischen und kanongeschichtlichen Forschung steht Bruce M. Metzger in großer Nähe zu den Arbeiten von Walter Schmithals, wenn er die Bildung des Kanons als kirchliche Maßnahme versteht, die auf dem Weg der Zahlensymbolik (Bedeutung der Zahl Sieben) und der Überarbeitung einiger Briefe vollzogen wurde.4 David Trobisch hat in jüngster Zeit die These einer Autorenrezension in die Diskussion eingeführt. Ihr zufolge ist nicht ein kirchlicher Redaktor oder ein anonymer Sammlungsprozess für die Zusammenstellung der Paulusbriefe verantwortlich, vielmehr habe Paulus selbst die redaktionelle Endgestalt seiner Briefe veranlasst und habe auf der Kollektenreise nach Jerusalem mit einer Übergabe des Römerbriefes und des 2. Korintherbriefes an die ephesinische Gesandtschaft den Grundstock zum Corpus Paulinum gelegt.5 In der jüngeren Arbeit sieht Trobisch Paulus als denjenigen, der die redigierten Briefe an die Gemeinden in Rom, Galatien und Korinth in Verbindung mit einem Begleitschreiben an die Gemeinde in Ephesus (Röm 16) in der Absicht sendet, den zurückliegenden Konflikt mit dem Judenchristentum zu entschärfen.6 Da die Wissenschaft weit davon entfernt ist, hier einen Konsens auch nur in Umrissen vorlegen zu können, sollte Walter Schmithals’ Mahnung, nicht nur auf die Füße, sondern auch auf die Straße, also nicht nur auf die Briefe selbst, sondern auch auf deren Sammlung zu achten, stets Gehör finden.7

Ein Grundsatzproblem stellt die Beantwortung der Frage dar, ob derjenige, der von der Integrität der paulinischen Einzelbriefe8, oder derjenige, der von einer kirchlichen, d.h. von einem Redaktor verantworteten Sammlung paulinischer Briefe ausgeht, den methodisch korrekten Ausgangspunkt wählt. Walter Schmithals hat stets den letzteren Weg favorisiert und als Neutestamentler seine Aufgabe u.a. darin gesehen, die ursprünglichen Briefe in dieser Sammlung zu rekonstruieren, ihren historischen Ort zu bestimmen und sie zu exegesieren. Er hat sich seit der Dissertation aus dem Jahr 1954 massiv gegen Versuche gewehrt, die literarkritische Methode durch die „Vielfalt der Teilungshypothesen und die Skurrilität mancher derselben […] in Mißkredit“9 bringen zu lassen, hat auch die Diskreditierung unterschiedlicher literarkritischer Zuweisungen, vor allem bei den Korintherbriefen, nicht als grundsätzliche Kritik an der Methode gelten lassen.10

Das Argument der SituationsdifferenzSituationsdifferenz stellt neben demjenigen der DublettenDubletten einen methodisch überprüfbaren Ausgangspunkt dar.11 Freilich macht ein Blick auf die Feststellung der Situationsdifferenz auch deutlich, dass verschiedene Forscher zu recht dicht beieinander liegenden Analysen kommen, jedoch unterschiedliche Konsequenzen aus ihnen ziehen. Während Walter Schmithals und viele andere Forscher eine literarkritische Lösung aus der Situationsdifferenz zwischen 2Kor 10–13 und 2Kor 1–9 (oder auch den Teilen dieser Einheit) begründen, der zufolge 2Kor 10–13 entweder als Tränen- oder als Zwischenbrief (bzw. als Fragment eines Briefes) interpretiert wird, unterscheidet Schnelle eine veränderte Gemeindesituation von einem gleichbleibenden Verhältnis von Apostel und Gemeinde, das 2Kor 1–9 und 2Kor 10–13 übergreift.12 Die Situationsdifferenz liege also nicht auf Seiten des Verfassers, sondern in der Gemeinde. Daher kann Schnelle an der These der literarischen Integrität des 2Kor festhalten, wenn auch zwischen seinen einzelnen Teilen wohl eine kleine zeitliche Spanne liegt.

Das Bild des Schriftstellers Paulus und vice versa das des Redaktors bedarf einer Klärung. In welchem Umfang sind Gedankensprünge, Abweichungen, Themenwechsel, Wiederholungen, Spannungen erträglich? Nicht gegenwärtiges Empfinden darf hierfür der Maßstab sein, sondern der Vergleich mit antiken Briefen. Hat Literarkritik „aus Paulus nicht einen Theologen mit glasklarer Logik und systematisch aufgebauter Argumentation“13 gemacht? Die zurückliegende Forschung zu RhetorikRhetorik und EpistolographieEpistolographie hat deutlich gezeigt, dass scheinbare Abweichungen in der Disposition des ganzen Schreibens eine spezifische Funktion erfüllen können. Versteht man, um ein Beispiel zu nennen, Röm 3,1–8 als eine digressio, in der gegnerische Einwände bereits vorweggenommen, die aber in einer refutatio in Röm 9–11$Röm 9–11 erst wirklich behandelt und selbst in dem Briefkorpusabschluss (Röm 15,7–13) nochmals bedacht werden, dann ist der Erkenntnisgewinn antiker Epistolographie für die Textkohärenz und damit auch für die Auslegung der paulinischen Briefe keinesfalls gering zu werten.14 Bislang wurde der abrupte Wechsel des Tonfalls von Phil 3,1$Phil 3,1 zu Phil 3,2 als sicheres literarkritisches Indiz dafür gewertet, dass im Phil mindestens zwei Briefe vereinigt sind. Gegenwärtig wird argumentiert, dass die sog. probatio des Schreibens von 2,1–3,21 reicht, gleichzeitig plötzliche Invektive nicht notwendig ein literarkritisches Signal darstellen, so dass „die Argumente für die Integrität des Schreibens das größere Gewicht haben.“15 Das Beachten der Bedingungen antiker Epistolographie ist als wirksame Kontrolle gegenwärtiger literarkritischer Entscheidungen unverzichtbar, da sie die in subjektivem Empfinden begründeten Urteile des Exegeten gegenüber dem Text willkommen begrenzt. Auch ist innerhalb der vorliegenden Briefe stärker als bisher in der literarkritisch orientierten Forschung in einer Strukturanalyse zu fragen, welche syntaktischen, semantischen und pragmatischen Dimensionen ein Text hat.16 Die EinordnungSchmithals, Walter der LiterarkritikLiterarkritik in eine textwissenschaftliche Analyse, die diesen unterschiedlichen Dimensionen des Textes gerecht wird, wäre ein hilfreiches Korrektiv.17

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