Читать книгу Paulusstudien - Friedrich W. Horn - Страница 47

2. Die Anfänge der antiochenischen Kollekte

Оглавление

Nach dem Bericht der Apostelgeschichte haben sich im Anschluss an die Verfolgung und Flucht eines Teils der Jerusalemer Urgemeinde (Apg 8,1f.) christliche Gemeinden bis hin nach Phönizien, Zypern und Antiochia gebildet (Apg 11,19). Nachdem sie Heidenmission aufgenommen haben, entsendet die Urgemeinde BarnabasBarnabas aus Jerusalem in die Stadt Antiochia (Apg 11,22). Bis zu diesem Zeitpunkt gehörte Barnabas also zur Jerusalemer Gemeinde und genauer wohl auch zu demjenigen Teil, der von der Verfolgung verschont worden war (Apg 8,1b). Ohne die Vorgänge hier im Einzelnen zu beleuchten: Barnabas erscheint also als eine von der Urgemeinde eingesetzte Vermittlungsperson zwischen der Jerusalemer Urgemeinde und der antiochenischen Gemeinde. Der von Barnabas erwirkte Anschluss des Paulus an die junge Gemeinde findet in Apg 11,26 mit Blick auf die gemeinsame Verkündigungstätigkeit seine Begründung.

Jerusalemer Propheten, unter ihnen als Sprecher Agabus, der in Apg 21,10 ein deutlich judenchristliches und kein jüdisches Profil hat, sagen nach Apg 11,28 eine große Teuerung an, die über die ganze Erde kommen werde. Der Zeitpunkt des Auftretens der Propheten und der des möglichen Einsetzens der Teuerung bleiben unpräzise. Sowohl das einleitende ἐν ταύταις δὲ ταῖς ἡμέραις (Apg 11,27$Apg 11,27) als auch das abschließende ἥτις ἐγένετο ἐπὶ Κλαυδίου sind offene Angaben und lassen in letzterem Fall einen Zeitraum von 41–54 n. Chr. als denkbar erscheinen. Die Ansage der Hungersnot führt zu einer Sammlung unter den antiochenischen Christen zugunsten der judäischen Christen. Barnabas und Paulus werden entsandt, um diese Gabe den Presbytern zu überbringen. Apg 12,25 hält die Rückkehr der beiden Boten fest, präzisiert aber dahingehend, dass die Gabe auch in Jerusalem und nicht allgemein in Judäa übergeben worden ist.

Die Diskussion zu diesem kurzen Textstück stand immer vor dem grundsätzlichen Problem, dass diese Reise des Paulus (gemeinsam mit Barnabas) im Widerspruch zu den Aussagen in Gal 1–2 steht, denen zufolge Paulus vor dem Besuch des Konvents nur ein einziges Mal in Jerusalem war (Gal 1,18), aber eben nicht zu dieser Kollektenreise, und dass er im Übrigen den Gemeinden in Judäa vor der Zeit des Konvents unbekannt war (Gal 1,22). Um diese Spannungen und die Widersprüche hinsichtlich Aposteldekret und Kollektenaktion zu erklären oder aufzuheben, wurde gefragt, ob Lukas hier möglicherweise ein Traditionsstück1 oder eine Kombination mehrerer Traditionsstücke wiedergebe2, aber zeitlich falsch einordne3 bzw. mit den falschen Namen verbinde4, oder ob er seinerseits für die getroffene Aussage vollständig verantwortlich sei5, was eine sprachlich und stilistische Überprüfung durchaus nahelegen kann.6 Auch wird erwogen, Apg 11,27–30$Apg 11,27–30 als die eigentliche lukanische Anspielung auf den Apostelkonvent zu betrachten7, nicht aber Apg 15. Daher sei scharf zwischen den hier getroffenen Abmachungen des Apostelkonvents und dieser älteren Kollektenaktion zu unterscheiden.8 Jedoch bleiben bei dieser Lösung neben der gewissen Übereinstimmung in der Kollektenfrage solch erhebliche Differenzen zwischen dem lukanischen und dem paulinischen Bericht bestehen, dass man von ihr besser Abstand nimmt. Apg 11,27–30 trifft überhaupt keine Aussage zu etwaigen Verhandlungen bezüglich der Mission und der Aufteilung der Missionsgebiete. Oft wird die Vermutung ausgesprochen, der Redaktor Lukas habe eine einzige Reise zum Konvent in zwei9 oder gar in drei Reisen zerlegt, wobei Gerd Lüdemann in der Andeutung des dritten Jerusalembesuchs in Apg 18,22$Apg 18,22 den vermutlich sachgemäßen Ort des Apostelkonvents wiederfindet.10

Es wäre hier in eine dringend gebotene Methodendiskussion zur Exegese der Apostelgeschichte einzutreten, um sodann diesem Textstück eine verantwortete Analyse zukommen zu lassen. Die gegenwärtige Forschung ist sowohl von Quellentheorien als auch von der Fiktion eines recht frei arbeitenden Redaktors abgerückt und hat der Eigenaussage des Textes wieder größeres Vertrauen entgegengebracht.11 Ich beschränke mich zunächst ausschließlich auf die Beantwortung der Frage, ob die sog. zweite Jerusalemreise als von Barnabas und Paulus verantwortete Kollektenreise nachvollziehbar ist.

Der Zeitpunkt dieser Kollektenaktion ist nicht präzise zu bestimmen. Rainer Riesner12 sowie Martin Hengel und Anna Maria Schwemer haben gezeigt, dass die Regierungszeit des Claudius mit einer Vielzahl von Hungersnöten und Teuerungen durchsetzt war. Nach Hengel/Schwemer kann sich Apg 11,28 am wahrscheinlichsten auf das Krisenjahr 40/41 (Aussaatverweigerung, darauf folgendes Sabbatjahr mit anschließender Teuerung) oder auf die Zeit nach der Verfolgung unter Agrippa I., also die Jahre 44/45 beziehen.13 Die Teuerung betraf nach Lukas den ganzen Erdkreis, wirkt sich aber im Blick auf die judäischen Gemeinden gravierender aus als auf Antiochia. Die Sammlung der antiochenischen Christen hat nicht die Jerusalemer Urgemeinde primär im Blick, sondern umfassend judäische Gemeinden. Sie wird daher den Ältesten (Apg 11,30), nicht aber den Aposteln, deren Anwesenheit doch wohl noch exklusiv für Jerusalem vorausgesetzt ist, übergeben. Sowohl Hengel/Schwemer als auch Riesner kehren die historische Abfolge gegen die lukanische Darstellung um. Diese antiochenische Kollekte sei nach der Hinrichtung des Zebedaiden Jakobus (Apg 12,2) und der Flucht des Petrus (Apg 12,17) zu datieren, was sich in ihrer Übergabe an die Ältesten und eben nicht an die Apostel niederschlage.14 Wenn allerdings die Gemeinden in Judäa und nicht die Jerusalemer Urgemeinde exklusiv im Blick sind, dann verliert dieses Argument an Kraft. Apg 12,25$Apg 12,25 hält aber fest, dass Jerusalem in diese Kollektenaktion mit einbezogen war. Sowohl in Apg 11,30$Apg 11,30 als auch in Apg 12,25 ist eine Beteiligung des Saulus an dieser antiochenischen Kollektenaktion vorausgesetzt. Allerdings ist Saulus in der Reihung der Namen immer Barnabas nachgeordnet.15 Nach der Übergabe der Kollekte nehmen die beiden Apostel Johannes Markus mit nach Antiochia. Dass Barnabas diesen bald als Missionspartner anstelle von Paulus auswählt (Apg 15,37), mag bereits für eine Vorrangstellung des Barnabas gegenüber Paulus auf der antiochenischen Kollektenreise sprechen. Die Bewertung dieser Kollektenaktion wird ganz von den sozialen Nöten in Jerusalem einerseits und von den Verbindungen der antiochenischen Gemeinde zur Jerusalemer Gemeinde andererseits abhängen. Diese sind zunächst privater Natur, ist doch ein Großteil der antiochenischen Christen aus der Gruppe der Hellenisten nach Verfolgungen in Jerusalem bis nach Antiochia geflohen. Die Flüchtlinge trafen wiederum auf eine große jüdische Gemeinde und ein Netzwerk sozialer Bindungen. Den Texten ist auch eine Hinordnung der jungen christlichen Gemeinde Antiochias zur Jerusalemer Muttergemeinde und damit verbunden wohl ein gewisser Supremitätsanspruch zu entnehmen.16 Der wesentliche Unterschied zu der späteren Kollektenaktion des Paulus liegt darin, dass diese antiochenische Kollekte die Hilfe einer überwiegend judenchristlichen Gemeinde17 für die Urgemeinde darstellt, während für die paulinische Kollekte gerade der gegenseitige Ausgleich von heidenchristlicher Kollekte und judenchristlichen geistlichen Gütern konstitutiv ist (2Kor 8,13f.; Röm 15,27).

Die Beteiligung des Paulus an dieser antiochenischen Kollektenaktion vor dem Apostelkonvent ist allenfalls noch mit Blick auf Apg 11,29, nicht aber für Apg 12,25 im Verhältnis zu Gal 1–2 auszugleichen. Dieser Befund wird in der Literatur teilweise unterschlagen18 oder in einer Anmerkung thematisiert19 oder eben als Hinweis für die fehlende Vertrauenswürdigkeit des Lukas oder seiner Vorlagen bewertet. Ich frage jedoch einmal mit Vorsicht: Wäre es vorstellbar, dass derjenige Paulus, der in 1Kor 1,14–16 Gott dafür dankt, in Korinth niemanden außer Krispus und Gaius getauft zu haben, dann aber nachträgt, er habe auch das Haus des Stephanas getauft, und schließlich einräumt, er wisse nicht, ob er noch jemand anderen getauft hat20, in Gal 1–2 im Rückblick auf die Zeit vor dem Apostelkonvent möglicherweise die Beteiligung an der antiochenischen Kollektenreise unterschlagen hat? Der Zielsetzung des Galaterbriefs, möglichst jeden Kontakt zu Jerusalem auszuschließen und den Gang zum Apostelkonvent nicht im Sinne eines durch wen auch immer angeordneten formalen Beschlusses für eine antiochenische Delegation (so Apg 15,2), sondern auf eine persönliche Offenbarung zurückzuführen, kann die Zuordnung der antiochenischen Kollekte für die judäischen Gemeinden nicht willkommen sein. Jedenfalls scheint mir die Beweislast dafür, dass Lukas diese Reise konstruiere oder aber ein Traditionsstück in einen falschen Kontext einordne, genauso gewichtig zu sein wie diejenige, dass Paulus diese Reise vor dem Konvent verschweige.

Paulusstudien

Подняться наверх