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1 Von Antifeminismus zu Antigenderismus

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Antifeminismus gilt als eine, auf »[…] konkrete historische Prozesse der Emanzipation reagierende weltanschauliche Bewegung, der es um die Gegnerschaft zu […] Prozessen der gesellschaftspolitischen Liberalisierung und Entnormierung von Geschlechterverhältnissen geht sowie um die Aufrechterhaltung heteronormativer Herrschaftsverhältnisse«.8 Antifeminismus vertritt somit konservative Ansichten zu Geschlechterrollen und determiniert diese zumeist biologisch.9

Gegenwärtig lassen sich Veränderungen innerhalb des Antifeminismus ablesen: So thematisierte der Antifeminismus in den 1990ern bis zu Beginn der 2000er vor allem Männer, konkret unter anderem Männerdiskriminierungen oder auch die Verfestigung männlicher Herrschaft. Seit den 2010ern steht nun die Kleinfamilie – Vater, Mutter, Kind(er) – im Zentrum. Der Soziologe Sebastian Scheele spricht diesbezüglich von einer diskursiven Verschiebung von einem männerzentrierten zu einem familienzentrierten Antifeminismus. Hierbei wechseln auch die zentralen Themen vom Geschlechterkampf zu Frühsexualisierung.10 Antigenderismus stellt – im historischen Prozess betrachtet – die gegenwärtige Form des Antifeminismus dar und inkludiert somit antifeministische und misogyne Argumentationen.11

In einigen Teilen Europas, so unter anderem Deutschland, Frankreich, aber auch in den USA wird Antigenderismus vor allem aus drei Spektren heraus betrieben: Erstens aus der Männerrechtsbewegung, die sich maßgeblich virtuell organisiert. Zweitens aus fundamental-christlichen Kreisen, wie auch drittens aus dem Rechtspopulismus und dem rechtsextremen Spektrum.12

Die Politikwissenschaftlerin Birgit Sauer benennt insgesamt sechs Argumentationsmuster, die der Antigenderismus nutzt und die ihm Erfolg versprechen. Erstens die Argumentation einer natürlichen Zweigeschlechtlichkeit, die zu traditionellen Männer- und Frauenbildern führt und folglich geschlechtsspezifische Arbeitsteilung legitimiert.13 Interessant ist hierbei, dass dennoch tendenziell Frauen und Männern gleiche Rechte zugesprochen werden. Die Soziologinnen Sabine Hark und Paula-Irene Villa bezeichnen diesen Umstand als »historisches Novum«, da eben nicht gegen Feminismus mobilisiert wird, sondern »gegen ein akademisches Konzept […]: Gender«.14 Zweitens den Schutz der heterosexuellen Kleinfamilie, die als Keimzelle des Staates verstanden wird und mit christlich-konservativen Werten aufgeladen ist. Diese Sichtweise auf Familie ist nicht nur homophob, rassistisch und nationalistisch – sie ist zudem auch aus postkolonialer Sicht zu kritisieren, wie die südafrikanische Soziologin Haley McEwen herausstellt:

[T]he antigender notion that the »natural family« is timeless and universal is a form of epistemicide that denies and erases diverse kinship structure, gender and sexuality identities that existed in precolonial indigenous societies, and which continue to exist around the world.15

Drittens werden diese beiden erstgenannten Argumente durch die Rhetorik des Kindeswohls verstärkt. An der Figur des Kindes werden Themen wie Elternrecht und Sexualerziehung in öffentlichen (Bildungs-)Einrichtungen mitverhandelt. Viertens die Vorstellung, dass Gender als Genderideologie wirken würde und so die Umwelt der Bürger_innen komplett umgestalten wolle. Fünftens verknüpft sich die Kategorie Religion mit Antigenderismus mit Rückgriff auf die Kategorie Ethnie, indem ein kolonialistisches Bild eines emanzipierten Okzidents dem rückschrittlichen, intoleranten Orient gegenübergestellt wird. Sechstens ein Anti-Intellektualismus: Der Antigenderismus adressiert hier Gleichstellungspolitiker_innen und Professor_innen, deren Denomination Gender umfasst.16 Hierbei wird der akademischen Disziplin der Gender Studies eine erhebliche Machtposition zugesprochen und gleichzeitig Unwissenschaftlichkeit vorgeworfen.17 Mit diesem offenen Konzept kann der Antigenderismus weitestgehend milieuübergreifend wirken.18 Auffallend ist, dass Antigenderismus besonders Zuspruch aus dem bürgerlich-christlichen Milieu erhält. Dies verweist bereits auf die enge Verzahnung von Antigenderismus und Religion.19 Zudem inszeniert sich Antigenderismus als junge Bewegung unter anderem, indem sie ihre religiösen Bezüge zu verschleiern versucht: »In most cases, the movement tries to hide its religious connections and create a secularising selfimage that cannot be reduced to previous forms of conservative resistance against gender equality and sexual rights.«20

Antigenderismus als Form des Antifeminismus ist somit keine »in sich geschlossene Ideologie, sondern ein ideologisches Versatzstück unterschiedlicher Akteure mit jeweils eigenen weltanschaulichen Verhaftungen«.21 Mit der Politikwissenschaftlerin Elizabeth S. Corredor verstehe ich Antigenderismus als soziale Gegenbewegung. Antigenderismus befindet sich gegenwärtig in einem Aushandlungsprozess zum Feminismus und zur Geschlechterforschung. Diese Sichtweise ermöglicht es, die antifeministische und antigenderistische Bewegung als »global phenomena« zu verstehen, »that exceed generalized resistance and […] involve coordinated, well-organized, and well-resourced actors whose interests are to preserve traditional values of gender, sex, and sexuality«.22

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