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2.2 Von der Mannosphäre zu Incels

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Die politische Lage in den USA während der Präsidentschaft von Donald Trump verstärkt also auf der einen Seite feministischen Aktionismus; auf der anderen Seite steht die Alt-Right-Bewegung, die mittels rechtspopulistischer Strategien an Aufmerksamkeit gewinnt. Mit der Idee der White Supremacy – die Vormachtstellung des Weißen Mannes – inkludiert diese Bewegung Islamfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus. Ihre Präsenz und Vernetzung findet meist online statt – von dort aus gelangt sie als Konzept zu unterschiedlichen Gruppierungen.36

Die sogenannte Manosphere oder Mannosphäre bezeichnet ein Netzwerk von Männerrechtsaktivisten (explizit männlich), deren Spektrum von gemäßigt bis zu radikal reicht.37 Einend ist die Thematisierung von Männlichkeit, meist auch im Verhältnis zu Weiblichkeit: Nicht ausreichende oder verweiblichte Männlichkeit wird bloßgestellt, angeprangert und für gesellschaftliche Missverhältnisse verantwortlich gemacht. Hier offenbart sich ein Bild toxischer Männlichkeit, die eine aktive, aggressive, omnipotente Männlichkeit priorisiert.38 Mittels dieser Argumentationsmuster werden auch Antifeminismus und Antigenderismus zentrale Motive: Feminismus sei verantwortlich für gesellschaftliche Missstände, Frauen verhielten sich nicht mehr so, wie sie es biologisch eigentlich tun sollten, folglich gehorchten sie Männern nicht und seien unabhängig, dies führe zu einer abnehmenden Präsenz von hegemonialer Männlichkeit.39 Die Konfliktforscherin Shannon Zimmermann, die Juristin und Kommunikationswissenschaftlerin Luisa Ryan und der Internationalisierungsforscher David Duriesmith formulieren diesen Umstand für die Bewegung der Incelsinvoluntarily celibate (»unfreiwillig zölibatär«) – treffend: »Incel ideology is predicated on the notion that feminism has ruined society, therefore there is a need of a ›gender revolt‹ in order to reclaim a particular type of manhood on both male and white superiority.«40 Weiter halten sie fest: »Incels believe […] by defending women’s bodily autonomy, feminism has upset the natural order which organizes society around monogamous heterosexual couplings.«41

Historische und gegenwärtige (radikalere) Männerrechtsnetzwerke sind »geprägt von verunsicherten Männern«,42 die versuchen, den »Einbruch in die Exklusivität«43 des Weißen Mannes aufzufangen: Diese Netzwerke können als Strategien der Ermächtigung gelesen werden, die versuchen, dem (tatsächlichen oder drohenden) Machtverlust entgegenzuwirken.44 Diese Bewegung befindet sich noch in der Formierungsphase – ein fester Bestandteil und ein identitätsstiftendes Argumentationsmuster ist, dass der Feminismus als monolithisch und mächtig imaginiert wird, der Männer in eine Opferrolle drängt und so traditionelle Geschlechterbilder zerstört hat.45 Ich möchte an dieser Stelle jedoch betonten, dass sich innerhalb dieses Netzwerks auch Aktivist_innen bewegen, die sich mit realen Themen wie männlichen Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen, Selbstmord oder Vaterschaftsrechten auseinandersetzen.46 Dennoch bietet dieses Netzwerk in Form einer Echokammer gerade radikaleren Positionen die Möglichkeit, weitestgehend anonym zu existieren und sich weiter zu verstärken.

Ein stehender Ausdruck im Kontext der Mannosphäre ist being red pilled – eine Anspielung auf den Film THE MATRIX (The Wachowskis, US 1999), der das Erwachen aus einer Illusion – der Feminismus ist schuld am Untergang der Welt – bezeichnet. Das Reddit47 Subforum Red Pill gilt als ein tragender Pfeiler innerhalb der Mannosphäre und ist zudem als besonders radikal anzusehen. In diesem Netzwerk haben sich unterschiedliche Gruppen entwickeln können: so beispielsweise die MGTOWMen going their own way, die stufenbasiert organisiert sind, oder die Proud Boys, die das Ablehnen männlicher Masturbation in das Zentrum ihrer Motivation stellen. Die erfolgreiche Bewegung Incels spricht vor allem das Single-Milieu an.48 Ein prominenter Vertreter ist beispielsweise der Incel Hero Elliot Rodger, der 2014 in Santa Barbara sechs Menschen tötete und dessen Manuskript My Twisted World ein Referenzwerk in der Incel-Community wurde. Incels empfinden sich als unzureichende Männer, die aufgrund unterschiedlicher Selbstzuschreibungen – hässlich, dumm, kein Selbstwertgefühl – meist zu einem Leben als männliche Jungfrauen verdammt seien.49 Dieses Empfinden kanalisieren sie in einem Hass auf die konstruierten Gruppen der Stacys – hübsche, junge Frauen – und der Chads – attraktive Männer.50 Gemein ist der Bewegung ein Antifeminismus, der sich unter anderem in misogyner Sprache ausdrückt.

Die Gruppe der Incels kann als Interaktionskette zur Verfestigung misogyner Traditionen verstanden werden. Das Internet übernimmt hier – ähnlich wie häufig auch Religion – eine vergemeinschaftende Funktion, sodass eine (virtuelle) Gemeinschaft der Incels entsteht, die gemeinsame Normen und Wertvorstellungen formuliert und teilt. Letzteres gelingt spezifisch durch die Imagination eines Feindbilds – einer Outgroup – dem Feminismus und den Frauen.

Wenn sich dieser Hass manifestiert, kann er sogar zu Gewalt führen. Ein ausdruckstarkes Beispiel hierfür sind Amokläufe: Diese stellen im Kontext der Betrachtung fragiler Männlichkeit die Möglichkeit »to demonstrate themselves as powerful and superior for committing an act of dominance against others who they viewed as inferior«.51 Erfahrene Frustration und der Zugang zu potenziell tödlichen Waffen ermöglichen so die Ausbildung gewaltvoller Männlichkeit, der systematischer Frauenhass zugrunde liegt. Gegenwärtig häufen sich Anschläge, die offen Misogynie und Antifeminismus als Tatmotiv artikulieren. Ein einschneidendes Erlebnis in diesem Kontext ist der Anschlag von Anders Behring Breivik auf der Insel Utøya am 22.07.2011, bei dem insgesamt 77 Menschen zu Tode kamen. In seinem Manifest benennt er neben dem Feminismus besonders den Verschwörungsmythos der Umvolkung, demnach es in Europa zu einer Islamisierung kommen würde, herbeigeführt durch liberale Migrations- und Integrationspolitik. Der gegenwärtige aktuellste Anschlag in dieser Tradition ereignete sich am 19.02.2020 in Hanau. Der islamfeindliche Amoklauf von Tobias Rathjen forderte zehn Menschenleben. Der Mörder benennt in seinem Pamphlet eine geheime Organisation, die ihn an einem erfüllten (sexuellen) Leben hindere. Er stellt sich zudem selbst in Verbindung zu Anders Breivik.

Antifeminismus fungiert innerhalb dieser Gewalttaten als zentrales Tatmotiv, das zudem medial verbreitet wird. Als Rechtfertigung dient er als Kitt zwischen verschiedenen Ideologien wie Rassismus, Islamfeindlichkeit und Antisemitismus: Aufgrund der Emanzipation würden die Geburtenraten sinken – einem demografischen Wandel könne nur durch eine Zuwanderung entgegengewirkt werden. Diese Verschwörungsidee inkludiert das stereotype Bild der Muslimin als gefährliche Gebärmaschine. Diese Vorstellung des mächtigen Feminismus und somit die Verankerung in Verschwörungsideologien wird gegenwärtig im Kontext von Antigenderismus als Genderideologie bezeichnet.52

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