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Wiener Kongress und Heilige Allianz

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Vom 1. November 1814 bis Mitte Juni 1815 trafen sich in der Hauptstadt Österreichs die Abgesandten der Staaten Europas zur Regelung des Friedens und zur Festlegung der Neuordnung in den deutschen Territorien. Unter den mehr als zweihundert Teilnehmerstaaten waren Russland, England, Österreich, Preußen und Frankreich die Hauptmächte. Die Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815 schrieb die staatliche Neuordnung Deutschlands fest und besiegelte den Deutschen Bund. Die Wiener Kongressakte vom 9. Juni 1815 regelte die europäischen und deutschen Gebietsansprüche. Preußen erhielt die Hälfte des Königreichs Sachsen zugesprochen und arrondierte seinen westlichen Besitz, aus dem die Provinzen Rheinland und Westfalen entstanden. Im November 1815 erlangte Preußen durch Tausch noch Vorpommern mit Rügen und einen Teil der Saar. Das Staatsgebiet der Preußischen Monarchie umfasste nunmehr 278.000 Quadratkilometer mit etwa zehn Millionen Einwohnern. Durch die Arrondierungen konfessionell zwar stark heterogen, zumal auch im Osten durch die Neuaufteilung Polens viele Katholiken hinzugekommen waren, stand Preußen jetzt gleichwohl als die protestantische Führungsmacht da. Das Gewicht des protestantischen Faktors hatte sich schon durch die Säkularisationen von 1803 verstärkt. Jetzt war es endgültig eine kirchenhistorische Tatsache. Die Folgen waren weit reichend. Ohne Berücksichtigung des Gebiets- und Machtzuwachses Preußens auf der einen, die dadurch gegebene Konfessionslage auf der anderen Seite müssten viele Entwicklungen der deutschen Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts unverständlich bleiben. Vergrößert allerdings wurden auch andere Staaten, beispielsweise Österreich und das katholische, jedoch mit einer starken protestantischen Minderheit angereicherte Bayern. Der Protestantismus in Franken entfaltete bald beachtliche Energien.

Nach dem Augsburger Religionsfrieden 1555 und dem Westfälischen Frieden 1648 war der Wiener Kongress der dritte große europäische Friedenskongress der Neuzeit. Konfessionspolitische Fragen standen nicht mehr im Mittelpunkt, waren aber nicht ohne Bedeutung. Mancher Vergleich mit dem Westfälischen Frieden legte sich nahe. Ähnlich wie die Instrumenta Pacis Westphalicae, in denen die Vision einer pax perpetua niedergelegt war, strebte auch der Wiener Kongress nach einer dauerhaften Friedensordnung. Das Mittel war der Machtausgleich zwischen den Staaten Europas und nicht mehr die rechtsförmige Befriedung der Religionsparteien. Wien führte zu einer längeren Friedensperiode, allerdings um einen innenpolitischen Preis, der je länger je mehr als unbezahlbar erschien: Zurückdrängung der nationalen und liberalen Impulse. Festzuhalten ist, dass der Begriff „Restauration“, der dem nachfolgenden Zeitalter den Namen gab, anfangs noch nicht jenen negativen Beiklang besaß, den er durch die Politik des Clemens Fürst von Metternich (1773–1859), des Hauptarchitekten des nachnapoleonischen Europa, alsbald annahm. Eine kirchliche Feiertradition, wie sie zum Teil mit dem Westfälischen Frieden verbunden war, entwickelte sich aus dem Wiener Kongress jedoch nicht.

Die neue Gebietsverteilung zielte nicht mehr auf die konfessionelle Gleichartigkeit der Fürsten und ihrer Untertanen. Die Wiener Gebietsentscheidungen lösten die konfessionelle Einheit der 38 deutschen Staaten, deren Zahl sich durch Aussterben oder Entsagung später auf 34 verminderte, weiter auf. Die Verfassung des Deutschen Bundes sicherte in Artikel 16 allen christlichen Konfessionsverwandten völlige Gleichberechtigung in den Bundesländern zu. Mit dieser Festlegung kam ein Prozess zum Abschluss, der in Augsburg 1555 einen pragmatischen Anfang genommen, in Münster und Osnabrück 1648 eine reichsverfassungsrechtliche Qualifizierung erfahren hatte und der sich nunmehr modern-rechtsstaatlich abrundete. Die Konfessionszugehörigkeit durfte fortan kein Anlass mehr zu kultureller und staatsbürgerlicher Benachteiligung sein.

Neben dem politischen Frieden und der konfessionellen Befriedung durch rechtliche Gleichstellung der christlichen Angehörigen des Deutschen Bundes bot sich ein dritter Vergleichspunkt an, die Idee der Religionsverbrüderung. Mit ihr gingen, nunmehr unter Beteiligung der Orthodoxie, drei der Wiener Hauptmächte, Russland, Preußen und Österreich, weit über die beiden anderen europäischen Friedenskongresse hinaus. Die Botschaft der brüderlichen Vereinigung der christlichen Konfessionen im Zeichen Christi stammte von Zar Alexander I. (1777–1825). Der Text der Heiligen Allianz, vom Zaren im September 1815 in einem eigenhändigen Bleistiftkonzept niedergelegt, durch Metternichs redaktionelle Eingriffe seiner liberalen Elemente beraubt, war von der Hoffnung getragen, der Kaiser von Österreich, der König von Preußen und der russische Zar könnten sich „wie die drei Magier aus dem Morgenlande“ zur höchsten Autorität des göttlichen Heilands bekennen und dadurch dem Frieden und dem Wohlergehen der Völker eine dauerhaftere Grundlage geben als die bloße Staatspolitik. Mit dem 1742 geborenen Pius VII. (1800–1823) führte der Zar intensive Verhandlungen zur Einladung in die Heilige Allianz. Der Inhaber des Stuhls Petri versagte sich, während nach der Veröffentlichung des Textes am 25. Dezember 1815 alsbald die Masse der Mächte Europas der Heiligen Allianz beitrat. Lord Castlereaghs (1769–1822) Charakteristik der Heiligen Allianz war abhängig von einem massiven Vorverständnis, den Interessen der britischen Politik. Er nannte sie „piece of sublime mysticism and nonsense“. Mit dem Tod Alexanders I. 1825 fand die Bindung der russischen Außenpolitik an die Grundsätze der Heiligen Allianz ein Ende. Den Worten Metternichs zufolge hörte der Roman auf, während die Geschichte wieder begann. Die Heilige Allianz war der erste und letzte Versuch des 19. Jahrhunderts, die zwischenstaatliche Politik auf die Grundlage eines ökumenischen Christentums zu stellen. Da ihre Absicht bereits in der Entstehungsphase deformiert war, steht sie in einem sehr zweifelhaften historischen Ansehen. Die Heilige Allianz von 1815 war an ihrem historischen Ort verfehlt. Trotzdem kann sie als Vorläufer moderner internationaler Organisationsversuche betrachtet werden.

Ökumenische Kirchengeschichte

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