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2. Kapitel: Kirchenunionen

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Das 18. Jahrhundert war trotz Verminderung der Konfessionsgegensätze infolge der Verbreitung der „natürlichen Religion“ und des „vernünftigen Christentums“ arm an kirchlichen Einigungsbestrebungen. Demgegenüber vollzogen sich im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts eine ganze Reihe von Kirchenzusammenschlüssen innerhalb des deutschen Protestantismus. Voraussetzungen für sie waren ein Minimalkonsens im Kirchenbegriff und ein gewisser, wenn auch nicht grundsätzlicher Ausgleich der theologischen Unterscheidungslehren. Hinzutreten mussten praktische Klärungen zum Modus der Vereinigung. Die kirchlichen Vereinigungsmöglichkeiten reichten von der Verwaltungsunion bis zur völligen Verschmelzung der Kirchen in einer Bekenntnis- und Kultusunion.

In den deutschen Territorien vermischten sich bei den Kirchenunionen der Zeit nach 1815 ekklesiologisch-theologische, verwaltungstechnische und staatspolitische Faktoren. Zu Letzteren gehörten die Bewältigung der Konfessionsverhältnisse im Zuge der Gebietsveränderungen von 1803 und 1815. In der preußischen Monarchie war der Anteil der Reformierten gestiegen. Das Herrscherhaus selber war reformiert. Die kirchliche Integration der Reformierten und der Lutheraner erhielt neue Impulse. Sie legte sich nicht zuletzt auch deshalb mit neuer Aktualität nahe, weil der ebenfalls stark gewachsenen katholischen Bevölkerung eine einigermaßen einheitliche protestantische Kirche gegenüberstehen sollte. Am 27. September 1817 gab Friedrich Wilhelm III. von Preußen bekannt, er werde aus Anlass des bevorstehenden Reformationsjubiläums die Vereinigung der bisherigen reformierten und lutherischen Hof- und Garnisongemeinde zu einer „evangelisch-christlichen Gemeinde“ feiern. Diese Gemeindevereinigung sollte als Beispiel für eine flächendeckende protestantische Unionsbewegung in der preußischen Monarchie dienen. Obwohl die obrigkeitliche Kirchenunionspolitik theologisch nicht gut vorbereitet war, fand sie bei der preußischen Geistlichkeit und in den Gemeinden – abgesehen von Kreisen des konfessionsbewussten Neuluthertums – viel Zustimmung. Den Boden für die preußische Kirchenunion hatten seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert „Unionen vor der Union“ bereitet: die Kanzel- und Abendmahlsgemeinschaft zwischen lutherischen und reformierten Gemeinden. Das religiöse Gemeinschaftserlebnis während der Befreiungskriege und das Aufblühen der Erweckungsbewegung kamen begünstigend hinzu. Der königliche Aufruf erging zur rechten Stunde. Gleichwohl enthielt er manchen Schönheitsfehler. Die eigentlich erwünschte Beratung und Zustimmung der Synoden war in der Kürze der Zeit nicht einzuholen. Sie wurde durch das Prinzip des freiwilligen Gemeindebeitritts ersetzt. Dies barg Konfliktstoff. Doch nicht die Union selber war es, die alsbald in die theologischkirchliche Kampfzone geriet, sondern die vom König 1822 vorgelegte Agende. Am 31. Oktober 1817 versammelten sich überall in Preußen die lutherischen und reformierten Gemeinden zur gemeinsamen Abendmahlsfeier. Eine haltbare Praxis war damit noch nicht befestigt; man befand sich in einem „interimistischen Zustand“ (Schleiermacher), welcher der weiteren Qualifikation bedurfte. Schleiermacher engagierte sich besonders intensiv. Seine Dogmatik „Der christliche Glaube nach den Grundsätzen der evangelischen Kirche im Zusammenhange dargestellt“ von 1821/22, die im protestantischen Bereich bedeutendste nach Calvins „Institutio“, wollte der reformiert-lutherischen Union dienen. Die „Erlöschung des Gegensatzes von Reformirten und Lutherischen“ (Vorwort Bd. 1, S. XI) bildete eine dogmatische Leitlinie des Werks.

Protestantische Kirchenunionen fanden in der Zeit nach 1815 auch außerhalb Preußens statt. Vorangegangen war das Herzogtum Nassau im August 1817, es folgten die bayerische Rheinpfalz 1818, Bernburg 1820, das Großherzogtum Hessen 1817–1822, Kurhessen 1818–1821, Waldeck 1821 und Dessau 1827. Der Grad der Kirchenverschmelzung war unterschiedlich: Verwaltungsunion, föderative Union, Konsensusunion. In Baden fußte die 1821 gegründete Vereinigte evangelisch-protestantische Kirche auf der Einheit des Kultus, des Bekenntnisses und der Kirchenverfassung. Der Wegfall der Begriffe lutherisch bzw. reformiert schuf ein Benennungsproblem. Der Begriff evangelisch war, weil gemeinchristliches Gut, nicht konturiert genug, der Begriff protestantisch zwar trennschärfer, aber von problematischem theologischen Profil.

Die protestantischen Kirchenunionen des 19. Jahrhunderts stehen im weiten Horizont der Unionspläne, welche die Kirchengeschichte vom Mittelalter bis in die Gegenwart durchziehen. Sie erreichten nicht mehr die Weite, die in nachreformatorischer Zeit die Unionspläne von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716), des Calixt-Schülers Gerard Walter Molanus (1633–1722) sowie auf katholischer Seite des Bischofs Christoph de Rojas y Spinola (1626–1695) ausgezeichnet hatten. Doch waren sie Teilschritte auf einem langen, unabgeschlossenen Weg. Ein stecken gebliebener Versuch war die preußisch-protestantische und anglikanische Annäherung im gemeinsamen Jerusalemer Ordinariat in der Zeit von 1841 bis 1886. Im angelsächsischen Protestantismus bildete das 19. Jahrhundert den Anbahnungszeitraum für jene Kirchenunionen, die im 20. Jahrhundert Wirklichkeit wurden. Den Anfang machte am 31. Oktober 1900 die Vereinigte Freikirche von Schottland.

Ökumenische Kirchengeschichte

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