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Sowjetischer Terror in Ostpolen

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Anders verlief die sowjetische Besatzung der ehemaligen ostpolnischen Gebiete, obwohl sie in einigen Punkten mit der deutschen übereinstimmte und sich ebenfalls durch Massenterror auszeichnete. Als erstes ließ Stalin die eroberten Gebiete in die Sowjetunion einverleiben, die nördlichen Teile in die Weißrussische und die südlichen in die Ukrainische Sowjetrepublik. Ein polnisches Autonomiegebiet innerhalb dieser Länder, geschweige denn eine Polnische Sowjetrepublik, war nicht vorgesehen. Und dies, obwohl es Gebiete gab, in denen Polen die überwältigende Mehrheit der Bewohner stellten, wie beispielsweise im Nordosten Polens um Łomz˙a und Białystok, eine Gegend, die zu 90 % von Polen bewohnt war. Das Ziel bestand darin, den polnischen Staat und die alte kapitalistische Ordnung zu zerschlagen und das kommunistische System einzuführen, d.h. das Land zu sowjetisieren. Zudem sollte das Land einerseits ‚entpolonisiert‘ und andererseits ‚weißrussifiziert‘ bzw. ‚ukrainisiert‘ werden. Es ging darum, die bis dahin dominierende polnische Kultur zu unterdrücken und an ihrer Stelle die sowjetisch-weißrussische bzw. sowjetisch-ukrainische zu fördern. Die nationale nichtkommunistische weißrussische bzw. ukrainische Kultur und ihre Vertreter wurden genauso behandelt wie die polnische, also unterdrückt und verfolgt. Um das Land schnellstmöglich zu sowjetisieren, mußten die neuen Machthaber die alten politischen, sozialen und wirtschaftlichen Eliten ausschalten. Dies nahmen sie mit der ihnen gewohnten Brutalität und Rücksichtslosigkeit, die sie seit zwanzig Jahren in der Sowjetunion selbst praktizierten, in Angriff. Zu den Methoden, die sie dabei anwandten, gehörten Verhaftungen, Folter, Massendeportationen, Zwangsumsiedlungen und Massenerschießungen. Bereits während der Invasion verübten kommunistisch bzw. radikal nationalistisch eingestellte Ukrainer, Juden und Weißrussen unzählige Überfälle auf einzelne Polen oder kleine Gruppen von polnischen Soldaten, Polizisten und Zivilisten, wobei sie entweder gemeinsam mit den sowjetischen ‚Befreiern‘ oder selbständig handelten. Die Zahl der dokumentierten Übergriffe geht in die Tausende, die der Opfer wird gar auf bis zu 14000 geschätzt. Diese Periode des ‚spontanen‘ Terrors gegen Polen wurde von den Sowjets nach wenigen Wochen beendet und durch eine gezielte, systematische Verfolgung ersetzt.44

In den ersten Wochen und Monaten waren vom sowjetischen Terror vor allem Polen betroffen. Die neuen, insbesondere aus Ukrainern, Weißrussen und Juden gebildeten Milizen führten zusammen mit der Roten Armee und dem NKWD zahlreiche Hausdurchsuchungen und Verhaftungen durch, um die polnische Bevölkerung einzuschüchtern. Bei diesen Aktionen wurden die Opfer mißhandelt und ihre Wohnungen geplündert. Den Hausdurchsuchungen folgten oftmals Verhaftungen. Dabei gingen die Sowjets vor allem gegen führende Persönlichkeiten der Staats- und Kommunalverwaltung, der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Organisationen sowie der Wirtschaft vor, in der Regel also gegen Polen. Kenntnisse über diese Personengruppen erhielten sie von Informanten aus den Reihen der Revolutionären Komitees und der Miliz, von denen viele einfach Rache übten. Darüber hinaus recherchierte man in den Archiven der polnischen Institutionen. Dem NKWD gelang es auch schnell, ein engmaschiges Informantennetz aufzubauen. Daher war man dort verhältnismäßig gut über die Lage informiert und konnte gezielt zuschlagen. In dieser Atmosphäre hatte der sich organisierende polnische Widerstand einen schweren Stand.45

Während es sich bei Verhaftungen von ‚Feinden der sowjetischen Ordnung‘ um individuelle Aktionen handelte, hatten die Deportationen, von denen Hunderttausende von Menschen betroffen waren, Massencharakter. Ganze Familien und manchmal sogar Dörfer wurden ins tiefste Innere der UdSSR verschleppt. Tausende starben dabei an Unterernährung, Kälte und Krankheiten. Die Deportationen erwiesen sich als das wirkungsvollste Instrument, um das besetzte Gebiet von ‚unerwünschten Elementen‘ zu säubern. Vier Wellen sind dabei zu unterscheiden. Zuerst wurden im Februar 1940 polnische Siedler und Forstangestellte mit ihren Familien zwangsweise ausgesiedelt, insgesamt 140.000 Personen. Im April und Mai 1940 kamen Familien an die Reihe, deren Angehörige bereits verhaftet, deportiert oder liquidiert worden waren oder später als Kriegsgefangene ermordet werden sollten. Dabei wurden 61000 Personen verschleppt. Im Juni und Juli 1940 erfaßte die dritte Welle etwa 78000 Personen, vor allem Westflüchtlinge. 84 % von ihnen waren Juden, die man grundsätzlich als ‚unsichere Elemente‘ einstufte. Die letzte große Deportation fand kurz vor dem Ausbruch des deutschsowjetischen Krieges statt und betraf insgesamt etwa 90.000 Personen. Jetzt wurden ‚unerwünschte Elemente‘ aus den westlichen Grenzregionen deportiert, vor allem Ukrainer, aber auch Polen und Litauer. Wegen des deutschen Überfalls konnte diese Aktion nicht abgeschlossen werden.46

Insgesamt wurden nach NKWD-Angaben 330.000 bis 340.000 Menschen deportiert. Die meisten von ihnen, etwa 60 %, waren Polen. Diese Ziffer stellt jedoch eine Mindestzahl dar, die nach oben korrigiert werden muß. Denn außer den vier großen Wellen gab es noch Einzeldeportationen, die in den NKWD-Statistiken nicht auftauchen oder von den Historikern noch nicht erfaßt worden sind. So fanden bereits ab November 1939 Deportationen von Familien oder kleinen Personengruppen statt, deren Zahl nicht bekannt ist.47 In der Tat wurden nach der Statistik der zuständigen Gulag-Abteilung zwischen Februar 1940 und Juni 1941 381000 ehemalige polnische Bürger aus den östlichen Teilen Polens als Sondersiedler weit in die UdSSR hinein ausgesiedelt. Für die Zeit von September 1939 bis Januar 1940 gibt es keine Angaben.48 Hinzu kamen Zwangsumsiedlungen innerhalb der besetzten Gebiete. Betroffen waren vor allem jene Menschen, die in unmittelbarer Nähe der neuen deutsch-sowjetischen Grenze lebten. Insgesamt wurden im Rahmen dieser Aktion in der Weißrussischen Sowjetrepublik 35300 und in der Ukrainischen Sowjetrepublik 102800 Menschen zwangsumgesiedelt. Die meisten kamen in Dörfer, aus denen zuvor polnische Siedler und Bauern deportiert oder deren volksdeutsche Bewohner im Rahmen des deutsch-sowjetischen Vertrages ins Reich umgesiedelt worden waren.49

Eine andere Form der Repression war die Zwangsrekrutierung zum Dienst in der Roten Armee. Nach der Eingliederung der besetzten Gebiete in die UdSSR wurden die Einwohner automatisch zu Sowjetbürgern – mit allen ‚Rechten‘ und Pflichten, die daraus erwuchsen, wozu auch der Militärdienst gehörte. Abertausende von ehemaligen polnischen Bürgern wurden nun zwangsweise in die Rote Armee eingezogen. Es wird geschätzt, daß in den Jahren 1939 bis 1941 bis zu 230.000 ehemalige polnische Bürger gezwungen waren, diesen ‚Ehrendienst‘ abzuleisten. Darüber hinaus zwang man mehr als 100.000 junge Männer zur Arbeit in der sowjetischen Industrie, hauptsächlich im Kohlerevier des Donezbeckens, im Ural und in Westsibirien.50 Von allen Terrormaßnahmen, mit denen die Bewohner im ehemaligen Ostpolen von den Sowjets überzogen wurden, waren die Massenerschießungen jedoch am schrecklichsten. Es sind dabei drei große systematisch geplante und durchgeführte Aktionen zu unterscheiden. Die erste und zugleich berüchtigtste war der sogenannte Katyn-Mord, die zweite die Liquidierung von Gefängnisinsassen im Frühjahr 1940 und die dritte die Ermordung von Inhaftierten im Sommer 1941.

Zunächst zum Katyn-Mord: Im Herbst 1939 gerieten 240.000 bis 250.000 Soldaten und Offiziere der polnischen Armee in sowjetische Gefangenschaft. Die einfachen Soldaten wurden ab Anfang Oktober nach und nach freigelassen, bis auf etwa 37000 Mann, die zur Zwangsarbeit eingesetzt wurden. Parallel dazu richtete man in Starobielsk und Kozielsk zwei Offizierslager sowie in Ostaszków ein Speziallager für Polizisten, Gefängnispersonal und Grenztruppen ein. Ende Februar 1940 waren in diesen drei Lagern 8376 Offiziere und 6192 Polizisten interniert. Mehrere Monate blieben die sowjetischen Machthaber in der Frage, wie mit diesen ‚gefährlichen Elementen‘ zu verfahren sei, unentschlossen. Anfang März 1940 fiel die Entscheidung. Am 5. März beschloß das Politbüro auf Antrag von Lawrenti Berija, des Volkskommissars für Innere Angelegenheiten, die Gefangenen von Kozielsk, Starobielsk und Ostaszków zu liquidieren. Der Massenmord spielte sich zwischen dem 3. April und dem 13. Mai ab. Die Insassen wurden in kleinen Gruppen aus den Lagern zum Erschießungsort transportiert. Aus dem Lager in Kozielsk brachte man 4404 Personen nach Katyn im Gebiet Smolensk, wo sie durch Genickschuß ermordet wurden. Die 3896 Insassen des Lagers von Starobielsk wurden auf dem Gelände des NKWD in Charkow getötet und am Stadtrand bei Piatichatki vergraben. Die 6287 Gefangenen von Ostaszków brachte man bei Kalinin um und verscharrte sie in der Nähe des Ortes Miednoje. Insgesamt liquidierte der NKWD im Rahmen dieser Aktion 14587 Personen.51

Gleichzeitig mit der Entscheidung für den Katyn-Mord beschloß das Politbüro auf Antrag Berijas, etwa 11000 zivile Gefangene – überwiegend Polen – zu liquidieren, die in Gefängnissen in den westlichen Teilen der Ukraine und Weißrußlands festgehalten wurden. Dabei handelte es sich um Widerstandskämpfer, Offiziere, die 1939 nicht mobilisiert worden waren, Regierungs- und Kommunalbeamte sowie andere Gruppen ‚gesellschaftlich gefährlicher Elemente‘, wie Gutsbesitzer, Fabrikanten und Grenzverletzer. Nach Auffassung Berijas waren sie allesamt „unversöhnliche Feinde des sowjetischen Systems, bei denen keine Aussicht auf Besserung besteht“, und das Politbüro schloß sich seiner Meinung an. Eine ‚Troika‘ sollte die Fälle ohne Anhörung der Opfer, ohne formalen Untersuchungsabschluß und ohne Anklageschrift entscheiden. Aus den zugänglichen Quellen gehen weder die näheren Umstände noch die Ausführenden und die Tatzeit hervor. Man weiß lediglich, daß insgesamt 7285 Personen – 3405 in der Ukraine und 3880 in Weißrußland – erschossen wurden, also etwa 70 % der von Berija vorgeschlagenen Personengruppe. Von den in der heutigen Ukraine Ermordeten – vor allem Polen, darunter auch Frauen – sind die Namen überliefert. Wo die Opfer vergraben wurden, ist unbekannt.52 Darüber hinaus wurden ständig Personen erschossen, die von sowjetischen ‚Gerichten‘ zum Tode verurteilt worden waren. Wie hoch die Zahl dieser Opfer ist, konnte bisher nicht ermittelt werden.

Der sowjetische Terror im ehemaligen Ostpolen gipfelte in den ersten Wochen des deutsch-sowjetischen Krieges in Massakern an Tausenden von Gefängnisinsassen. Verglichen mit anderen sowjetischen und nationalsozialistischen Verbrechen, war die absolute Zahl der Opfer relativ klein – schätzungsweise 20.000 bis 30.000 Menschen. Außergewöhnlich waren jedoch die Umstände, unter denen diese Verbrechen begangen und dann aufgedeckt wurden, sowie ihre Auswirkungen. Es handelte sich um eine Ad-hoc-Maßnahme, die beschlossen wurde, weil es den Sowjets nicht mehr möglich erschien, alle Gefangenen aus den von deutschen Truppen bedrohten Gebieten zu evakuieren. Eine Befreiung der Gefangenen durch die Deutschen oder gar ihre Freilassung kamen aus ihrer Sicht nicht in Frage. Es handelte sich schließlich um ‚sowjetfeindliche Elemente‘, die man so oder so ausmerzen mußte. In den meisten Gefängnissen im Baltikum, in Weißrußland, der Ukraine und Bessarabien kam es in diesen Tagen und Wochen zu Massakern an Häftlingen. In der Regel wurden die Opfer einzeln durch Genickschuß oder, wenn die Zeit knapp war, gruppenweise mit Maschinengewehren und Handgranaten liquidiert. Vielfach blieben die Leichen in den Zellen oder Gefängniskellern liegen. In Weißrußland töteten die Sowjets hingegen Tausende von Häftlingen auf sogenannten Todesmärschen. In Gefängnissen, die weiter von der Grenze entfernt waren, hatte man meistens genug Zeit, die ‚Aktionen‘ abzuschließen, das heißt die Leichen zu verscharren. Auch bedrohte Arbeitslager wurden auf diese Weise ‚aufgelöst‘. Hinzu kamen zahlreiche Verbrechen von Rotarmisten an der Zivilbevölkerung: Verdächtige Personen wurden erschossen, Geiseln genommen und getötet, Häuser und Dörfer niedergebrannt.53

Genesis des Genozids:Polen 1939-41

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