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Das Bild der „tragischen Verstrickung“

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Darin führte er aus, daß die im Hinterland eingesetzten Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei durch scheinbar willkürliche Verhaftungen und Erschießungen von Polen und Juden im September 1939 den Unmut seitens der Truppe hervorgerufen hätten.1 Das Versäumnis der Wehrmachtsführung sah er in erster Linie darin, daß sie – überrascht durch das skrupellose Vorgehen der Einsatzgruppen und die andauernden Übergriffe von Polizei-, Zivil- und Parteibehörden – sich allzu bereitwillig ihrer Verantwortung entzogen habe, indem sie am 25. Oktober die vollziehende Gewalt in den besetzten Gebieten abgab.2 Plausibilisiert wurde dieses Bild durch die oft zitierte Bemerkung des Chefs des Oberkommandos der Wehrmacht, Generaloberst Wilhelm Keitel, gegenüber dem Chef der militärischen Abwehr, Admiral Canaris, am 12. September, die einem Offenbarungseid gleichkam: Umfangreiche Erschießungen in Polen seien vom Führer entschieden, die Wehrmacht habe zu akzeptieren, daß die Mordkommandos neben ihr in Erscheinung träten.3 Ein Versagen der Wehrmachtsführung angesichts der bereits im September anlaufenden nationalsozialistischen „Volkstumspolitik“ in Polen wird in der einschlägigen Literatur darum allgemein eingeräumt, obwohl einzelne Befehlshaber vor Ort damals Erschießungen durch Einsatzgruppen buchstäblich in letzter Minute verhinderten.4

Doch ganz so überrascht, wie man sich seitens der Wehrmachtsführung gab, konnte man über das Vorgehen der Einsatzgruppen kaum sein. Zumindest Canaris hatte bereits am 25. August gegenüber dem Chef des Generalstabes des Heeres, Generaloberst Franz Halder, seine „Besorgnis wegen Rolle der Totenkopfverbände“ geäußert5, deren Einsatz – mit dem Auftrag der „Bekämpfung aller reichsfeindlichen Elemente im Feindesland rückwärts der fechtenden Truppe“6 – vier Tage später dennoch zwischen Vertretern des Generalstabes und der Sicherheitspolizei einvernehmlich geregelt wurde.7 Da ein genereller Mordauftrag der Einsatzgruppen auf Wehrmachtsseite zum damaligen Zeitpunkt jedoch tatsächlich noch nicht bekannt war8, wurde die zögerliche Haltung der Wehrmacht hinsichtlich der Exzesse der Mordkommandos im Rücken der Truppe lediglich als verpaßte Chance verbucht, entsprechenden Entwicklungen nach deren Bekanntwerden rechtzeitig einen Riegel vorzuschieben. Ebenfalls entlastend wirkten die häufig bemühten zahlreichen Proteste, die hochrangige Offiziere nach dem Ende der Militärverwaltung bis ins Frühjahr 1940 gegen die weiterwütenden Todesschwadronen einreichten. Generaloberst Blaskowitz in seiner Eigenschaft als Oberbefehlshaber Ost konstatierte noch am 6. Februar: „Die Einstellung der Truppe zu SS und Polizei schwankt zwischen Abscheu und Haß. Jeder Soldat fühlt sich angewidert und abgestoßen durch diese Verbrechen, die in Polen […] begangen werden.“9

Solcherart unverblümte Kritik10 blieb in der Praxis allerdings nahezu wirkungslos, und Anfang Februar 1940 äußerte der Oberbefehlshaber des Heeres, Walther von Brauchitsch, gar Verständnis für die im Rahmen der „Sicherung des deutschen Lebensraumes“ in Polen „notwendige und vom Führer angeordnete Lösung volkspolitischer Aufgaben“, die ganz „zwangsläufig zu sonst ungewöhnlichen, harten Maßnahmen gegenüber der polnischen Bevölkerung des besetzten Gebietes führen“ müsse.11 Mehr noch: er gab Heinrich Himmler am 13. März Gelegenheit, die Handlungsweise seiner Verbände in Polen vor versammelter Generalität zu rechtfertigen.12 Das Bild einer Wehrmachtsführung, deren Verschulden ausschließlich darin zu sehen sei, daß sie angesichts der von SS- und Polizeieinheiten auf polnischem Boden verübten Morde versagte – der oft bemühte Mythos der „tragischen Verstrickung“ – ist ein Zerrbild. Denn zeitgleich mit den ersten gemeldeten Exekutionen der Einsatzgruppen im September 1939 fanden überall im Lande auch wilde Erschießungen polnischer und jüdischer Zivilisten und Kriegsgefangener durch reguläre Einheiten des deutschen Heeres statt.

In der westlichen Historiographie ist die unrühmliche Rolle der Wehrmacht in diesem Zusammenhang bis in die jüngste Zeit weitgehend unbekannt geblieben. Zwar hatte Hans Umbreit bereits 1977 in seiner Untersuchung zu den deutschen Militärverwaltungen 1938/39 festgestellt: „Die Truppe ging [in Polen] von Anfang an brutal gegen die Landeseinwohner vor. […] [Sie] war schnell bereit, aus Rache oder Nervosität Häuser, Gehöfte und ganze Ortschaften in Flammen aufgehen zu lassen.“13 Doch wurden in der Folgezeit keine weiterführenden Studien dazu erarbeitet, so daß Dieter Pohl noch zwanzig Jahre später konstatieren mußte: „Bis heute fehlt eine integrale Darstellung des Polenfeldzuges und der dabei verübten Morde. Die Ähnlichkeiten mit der Gewaltentfesselung im Sommer 1941 sind frappierend, Unterschiede müßten noch analysiert werden. Deutsche und polnische Forschung klaffen hier weit auseinander.“14 Das Bild der „tragischen Verstrickung“ war bis zu diesem Zeitpunkt hierzulande offenbar bereits so häufig bemüht worden, daß es nicht mehr hinterfragt wurde. Erst in jüngster Zeit hat man im Westen damit begonnen, diesem Zustand abzuhelfen.15 Anhand eines Abgleichs der hierbei gewonnenen neuen Erkenntnisse mit Ergebnissen der polnischen Forschung soll im folgenden die Beteiligung der deutschen Wehrmacht an der Verfolgung von Polen und Juden während des Septemberfeldzuges16 schlaglichtartig beleuchtet werden.

Genesis des Genozids:Polen 1939-41

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