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3. Zwischen wem? Die Dimensionen von Disziplinarität und Interdisziplinarität

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In unseren bisherigen Betrachtungen stand der Begriff der Disziplin ohne weitere Erläuterung für die Partner, zwischen denen die verschiedenen Formen von Wissenschaftskooperation stattfinden. Um der Frage nach den möglichen Formen und Graden von Interdisziplinarität – hier verstanden als Sammelbegriff, der die verschiedenen oben genannten Kooperationsarten umfasst – näher zu kommen, werfen wir daher einen genaueren Blick auf die möglichen Instanzen interdisziplinärer Beziehungen.

Abgesehen vom Aspekt des historischen Gewordenseins der Disziplinen existieren verschiedene Vorschläge für systematische Kriterien, nach denen sich Disziplinarität bestimmen lassen soll. Diese sind als Abgrenzungs- bzw. Bestimmungskriterien problematisch, worauf wir an dieser Stelle allerdings nicht näher eingehen können (vgl. dazu aber z.B. Gutmann 2005, S. 71f.). Für unsere Zwecke genügt es jedoch, einige dieser Kriterien, die allesamt eine (hier nicht näher zu bestimmende) Rolle für das Bestehen von wissenschaftlichen Disziplinen spielen, auf ihre „Inter“-Relation hin zu untersuchen:

1. Gegenstände: Eine geläufige Idee ist die Annahme, Disziplinen konstituierten sich durch den Bezug auf einen bestimmten Gegenstandsbereich. Diese Idee ist freilich unzulänglich, weil zahlreiche Gegenstandsbereiche (etwa der Bereich des Lebenden oder des menschlichen Handelns) offenkundig von verschiedenen Disziplinen bearbeitet werden. Interdisziplinarität würde auf dieser Ebene im „Teilen“ von Untersuchungsgegenständen bestehen. Das bloße Gemeinhaben von Untersuchungsgegenständen, wie weiter oben am Beispiel von als „interdisziplinär“ betitelten (eigentlich multidisziplinären) Konferenzen oder Sammelbänden gezeigt, ist jedoch alleine keine Grundlage für die Rede von „Interdisziplinarität“ im Sinne einer Kooperation zwischen Disziplinen, weil außer der semantischen Ähnlichkeit von Forschungsobjekten keine inhaltlichen oder anderweitigen Bezugspunkte bestehen.

2. Methoden: Auch die Vorstellung, dass spezifische facheigene Methoden konstitutiv für Disziplinarität seien, ist problematisch, zeigt doch ein genauerer Blick, dass in den meisten Disziplinen Methoden verschiedener „Herkunft“ genutzt werden und manche Disziplinen darüber hinaus kaum „eigene“ Methoden zu besitzen scheinen (vgl. dazu das Beispiel der Biologie in Gutmann 2005, S. 71). Würde also bereits die Nutzung „fremder“ Methoden Interdisziplinarität bedeuten, so wären wir bei einem sehr schwachen Begriff der Kooperation, der im Import und der anschließenden Nutzbarmachung von Methoden anderer Disziplinen für die eigenen Forschungsinteressen bestünde.

3. Probleme: Interessanter wird es mit Blick auf wissenschaftliche Probleme. Karl Popper schreibt dazu: „Wir studieren ja nicht Fächer, sondern Probleme. Und Probleme können weit über die Grenzen eines bestimmten Gegenstandsbereichs oder einer bestimmten Disziplin hinausgreifen“ (Popper 2000, S. 97). Interdisziplinarität bestünde hier im disziplinübergreifenden Angehen (und evtl. Lösen) von Problemen, die sich aufgrund ihrer Beschaffenheit und Komplexität nicht von Einzeldisziplinen bearbeiten lassen. Zahlreiche der großen aktuellen Probleme und Forschungsfragen, etwa globale Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung, fallen in diese Kategorie. Durch diese Art von Problemen zeigen sich die Grenzen der „Reduktion eines Erkenntnisganzen“ (Balsiger 2005, S. 57), die aber grundsätzlich, u.a. in Form der Ausbildung von Disziplinen mit spezifischem Methodenrepertoire und Gegenstandsbereich, unerlässlich ist, da „[o]hne eine solche Reduktion […] keine Erkenntnisleistung zu erbringen [ist]“ (Balsiger 2005, ebd.). Die zu Interdisziplinarität oder, im Fall der Ausbildung neuer Disziplinen als Reaktion auf neuartige Probleme, zu Transdisziplinarität führenden Probleme können dabei sowohl innerhalb der Wissenschaften generiert (etwa im Fall der stark interdisziplinär arbeitenden Kognitions- und Nanowissenschaften), als auch von außen an sie herangetragen werden (beispielsweise bei Fragen globaler Verteilungsgerechtigkeit).

4. Theoretisches Integrationsniveau: Wie wir bereits weiter oben gesehen haben, zeichnen sich nach Heckhausen verschiedene Disziplinen durch unterschiedliche theoretische Integrationsniveaus aus. Darunter ist der spezifische Umgang einer Disziplin mit einem Gegenstandsbereich in Form der Betrachtungsebene inklusive Methoden, Modellen und Theorien zu verstehen. Heckhausen veranschaulicht dies am Beispiel der Psychologie:

Das theoretische Integrationsniveau, auf das hin in der Psychologie alle psychologischen Gegenstandsaspekte, d.h. Phänomene des Verhaltens und Erlebens, entworfen werden, sind in der Regel beschreibende oder erklärende Konstrukte und daraus zusammengesetzte Wirkungsgefüge, die die Entwicklung und das ‚Funktionieren‘ des Menschen als einer intakten Persönlichkeit verständlich machen können. Analyse-Einheit ist deshalb der individuelle Mensch […]. Im Unterschied dazu bestehen die theoretischen Integrationsniveaus in der Physiologie in den organstrukturellen Funktionsweisen und letztlich auch in den chemophysikalischen Prozessen, die das Funktionieren der zum Lebenserhalt […] erforderlichen Prozesse ermöglichen (Heckhausen 1987, S. 132).

Der „Abstand“ zwischen den theoretischen Integrationsniveaus verschiedener Disziplinen ist nun auch ein entscheidender Faktor bezüglich der Möglichkeit von Interdisziplinarität. Je näher diese beieinander liegen, desto leichter fällt die Zusammenarbeit (vgl. Heckhausen 1987, S. 133). Und je weiter sie auseinanderfallen, umso schwieriger wird es, den für Interdisziplinarität (die ernsthaft über Multidisziplinarität hinaus gelangen möchte) wichtigen gemeinsamen Nenner zu finden, da neben den üblichen Unterschieden in den jeweiligen Wissenschaftssprachen und -kulturen grundsätzliche Differenzen in der Art des theoretischen Zugangs und der Integrationsebene auf den Plan treten.10

5. Personen/Institutionen: Da wissenschaftliche Erkenntnis immer auch an Personen und Institutionen gebunden ist, ist die Ebene personaler und institutioneller Kooperation eine weitere wichtige Dimension interdisziplinären Forschens. Auf dieser Ebene sind zahlreiche soziale und institutionssoziologische Faktoren, etwa adäquate Ausbildung der beteiligten Forscher, Bereitschaft zur fachübergreifenden Zusammenarbeit oder die Anerkennung anderer Disziplinen als solche, wichtige Grundvoraussetzungen von Interdisziplinarität. Die Bandbreite reicht dabei von gemeinsamen Arbeitsmittagessen zwischen zwei Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen bis hin zu mehrere tausend Wissenschaftler umfassenden Forschungsclustern.

Die kurze Analyse dieser möglichen Ebenen interdisziplinärer Bezugnahme macht klar, wie unterschiedlich und vielfältig die Herausforderungen und Hindernisse auf dem Weg zu interdisziplinärer Kooperation sind. Hinzu kommt, dass bei tatsächlichen Projekten stets komplexe „Mischformen“ dieser Ebenen verhandelt werden müssen.

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