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Vorwort zur zweiten Auflage

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Als vor gut drei Jahren die erste Auflage dieses Sammelbandes erschien, war es das Anliegen der Herausgeber1, eine Forschungslücke zu schließen. Dass diese Lücke tatsächlich bestand und der Band eine rege Forschungsdiskussion in Gang gesetzt hat, zeigt neben mehreren Rezensionen und der Rezeption in zahlreichen Veröffentlichungen auch die Notwendigkeit einer zweiten Auflage nach so kurzer Zeit. Mit diesem Vorwort möchten wir die Relevanz und Aktualität der vielfältigen Debatten im Kontext von Interdisziplinarität vor dem Hintergrund der neuesten Entwicklungen im Fachdiskurs und in öffentlichen Diskussionen noch einmal verdeutlichen.

Nach wie vor stellt sich die Aufgabe, neu und gründlich über Interdisziplinarität nachzudenken;2 sie steht unvermindert im Zentrum kontroverser Debatten, und dies aus mehreren Gründen: Zum einen wächst das Bewusstsein dafür, dass mit der immer stärker werdenden Spezialisierung der wissenschaftlichen Disziplinen und Teildisziplinen auch deren wechselseitige Abhängigkeit zunimmt, wodurch die einzelnen Fächer gezwungen werden, ihre Identität innerhalb eines komplexen und dynamischen wissenschaftlichen Beziehungsnetzes zu überdenken. Eine solche Reflexion möglichst aller Disziplinen kann dazu beitragen, den immer wieder von einzelnen Wissenschaften formulierten Anspruch auf eine Führungs- und Leitbildrolle zu relativieren. Dies wirkt nicht zuletzt der Gefahr vorschnell ausgerufener „science wars“3 entgegen. Die Kandidaten für Wissenschaften, denen intern oder extern eine Führungsrolle zugetraut wird, sind nach wie vor zahlreich: Gegenwärtig werden etwa Neurowissenschaften, Nanowissenschaften, die Genetik im Speziellen oder die Biologie im Allgemeinen genannt. Die Ökonomie wird gelegentlich als „imperialistische Sozialwissenschaft“4 bezeichnet, der Physik im Vergleich zur Chemie eine hierarchische Überlegenheit zugeschrieben.5 Nur eine unaufgeregte und sachliche Diskussion der wechselseitigen methodischen und inhaltlichen Beziehungen zwischen den Wissenschaften vermag dieser Tendenz entgegenzuwirken und die tatsächliche oder vermeintliche Kluft zwischen vor allem den Geistes- und Naturwissenschaften zu überwinden.6 Ein erster Schritt in diese Richtung kann sein, auch in den sich als klassische Geisteswissenschaften verstehenden Fächern eine Vielfalt an Methoden und Modellbildungen zu erkennen, die nicht als exklusiv „geisteswissenschaftlich“ erachtet werden können. Die Geschichtswissenschaften etwa greifen auf Methoden und Ergebnisse der Archäologie und der Ökonomie zurück. Literaturwissenschaftler verwenden nicht nur Erkenntnisse und Theorien der Geschichtswissenschaften und der Philosophie, sondern nutzen beispielsweise für die Analyse der Beziehung von Erinnerung und Identität in literarischen Werken oder für die Fundierung von Narrativitätskonzepten auch naturwissenschaftliche, speziell kognitionspsychologische Befunde.7 Zudem überschreiten einige Disziplinen die alten Grenzen zwischen Natur-, Geistes- und Sozial- bzw. Kulturwissenschaften. Ein Beispiel dafür ist die Psychologie, die als Hybrid aus Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften angesehen werden kann. Da Wissenschaftler oft an gemeinsamen Problemen arbeiten, stellt sich insbesondere bei sehr komplexen Themen die fächerübergreifende Kooperation als wichtige Voraussetzung für Interdisziplinarität dar. Prominente Beispiele sind etwa Kognitionswissenschaften, Nachhaltigkeitsforschung und Nanowissenschaften, bei denen die Frage nach den Unterschieden zwischen Geistes- und Naturwissenschaften – wenigstens idealiter – zum Wohle einer gemeinsamen Problemlösung zurücktritt.

Zum anderen besteht noch immer die Gefahr, dass Interdisziplinarität nur als äußerlicher, rein wissenschaftspolitischer Anspruch – als „Interdisziplinierung“8 – für Forschung und Lehre erscheint. Hier ist es nach wie vor wichtig, zwischen Lippenbekenntnissen und tatsächlich angestrebter oder gar erfolgreich umgesetzter Interdisziplinarität zu unterscheiden. Es mag zwar richtig sein, dass Interdisziplinarität oft gefördert und noch öfter gefordert wird. Allein die Verwendung des schmückenden Beiworts interdisziplinäre Forschung macht Forschung aber noch nicht besser. Daran ändern auch die Impulse aus dem im weitesten Sinne (wissenschafts-)politischen Bereich wenig, die Interdisziplinarität als unverzichtbar, ja geradezu als überlebensnotwendig darstellen.

Der Sonntagsreden wahrer Kern: Die gemeinsame Gestaltung einer globalen Weltgesellschaft in einer fragilen Umwelt kann nur interdisziplinär geleistet werden, und zwar gerade so, dass dies auch die Reflexion über die Komplexität nicht zuletzt der interdisziplinären Beziehungen selbst mit umfasst. Das Desiderat einer grundsätzlichen, philosophischen Beschäftigung mit Interdisziplinarität scheint daher zunehmend stärker zu werden: Immer wenn sich Disziplinen im Dialog befinden, wenn sie wechselseitig ihre Theorien und Modelle diskutieren, wenn Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen kooperieren möchten, dann ist das Nachdenken über die Kooperationsbedingungen als Voraussetzung für interdisziplinäre Zusammenarbeit essenziell. Dabei geht es um grundlegende Aspekte: etwa um die Frage, wo sich Theorie- und Modellbildungen innerhalb der Disziplinen unterscheiden, wie Begriffe möglichst verlustfrei übersetzt werden können und ob die Beteiligten jeweils über gleiche oder mindestens über ähnliche Gegenstände sprechen. Diverse Anregungen für eine solche Reflexion, welche die vielfältigen Chancen der Interdisziplinarität ergreift, ohne blind für ihre Risiken zu sein, finden sich im vorliegenden Band.

Die Herausgeber möchten noch einmal allen Autoren danken, deren facettenreiche Beiträge den Erfolg des Bandes ermöglicht haben. Den Rezensenten der ersten Auflage ist für die positive Resonanz ebenso zu danken wie den vielen Kolleginnen und Kollegen, die, trotz mancher kritischer Kommentare, die Herausgeber insgesamt in ihrer Einschätzung der Notwendigkeit und Bedeutung des Bandes bestärkt haben. Frau Cana Nurtsch von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft gebührt unser herzlicher Dank für ihr Engagement bei der Gestaltung dieser zweiten Auflage.

Bonn, Mannheim, Siegen und Augsburg im April 2013

Die Herausgeber

1 Wenn hier und in der Folge gelegentlich ein Ausdruck im Maskulinum verwendet wird, wo auch ein Femininum oder eine neutrale Form stehen könnte (oder umgekehrt), geschieht dies ausschließlich um der sprachlichen Ökonomie willen.

2 Vgl. Gloria Origgi/Fréderic Darbellay (Hg.) (2010): Repenser l’interdisciplinarité. Genf: Editions Slatkine.

3 Siehe etwa Keith M. Parsons (Hg.) (2003): The Science Wars. Debating Scientific Knowledge and Technology. Amherst: Prometheus Books.

4 Gerhard Kirchgässner (2009): „Ökonomie: Die imperialistische Sozialwissenschaft“. In: Peter Rusterholz/Rut Meyer Schweizer/Sara Margarita Zwahlen (Hg.): Aktualität und Vergänglichkeit der Leitwissenschaften. Frankfurt a.M.: Peter Lang, S. 59–95; hier S. 59ff.

5 Carsten Reinhardt (2011): „Habitus, Hierarchien und Methoden: ‚Feine Unterschiede‘ zwischen Physik und Chemie“. In: N.T.M 19/2, S. 125–146; hier S. 136f. und S. 142.

6 Siehe Edward Slingerland/Mark Collard (Hg.) (2012): Creating Consilience. Integrating the Sciences and the Humanities. Oxford: Oxford University Press.

7 Siehe etwa Birgit Neumann (2005): „Literatur, Erinnerung, Identität“. In: Astrid Erll/Ansgar Nünning (Hg.): Gedächtniskonzepte der Literaturwissenschaft. Theoretische Grundlagen und Anwendungsperspektiven. Berlin: De Gruyter, S.149–178.

8 Siehe Jutta Weber (Hg.) (2010): Interdisziplinierung? Zum Wissenstransfer zwischen den Geistes-, Sozial- und Technowissenschaften. Bielefeld: transcript.

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