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Vorwort zur ersten Auflage

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Die gegenwärtige Wissenschaftstheorie gilt weithin als eine Disziplin, deren Anliegen es ist, die Verfahrensweisen der Wissenschaften philosophisch zu reflektieren und dabei insbesondere auf ungelöste Fragen und kritische Punkte der Wissenschaftsentwicklung einzugehen. So verstandene Wissenschaftstheorie sollte sich auch und gerade mit den grundlegenden Problemen beschäftigen, die sich den Wissenschaften in ihrem aktuellen Vollzug stellen.

Zu diesen Problemen zählt offenkundig die Interdisziplinarität: Obwohl Interdisziplinarität seit einigen Jahrzehnten von vielen Seiten gefordert, gefördert und – zumindest dem Anspruch nach – auch praktiziert wird, bleibt es nach wie vor notorisch unklar, was darunter überhaupt zu verstehen ist (vgl. dazu die Beiträge von Michael Jungert, Thomas Sukopp und Uwe Voigt). Diese Unklarheit bewegt sich nicht in dem für einzelwissenschaftliche Begriffe üblichen Rahmen, der einen pragmatischen Umgang mit nicht restlos geklärten Begriffen duldet und vielleicht sogar ratsam erscheinen lässt. Im Fall der Interdisziplinarität verhält es sich anders: Fehlende Klärung dessen, was unter Interdisziplinarität zu verstehen ist, behindert den Prozess wissenschaftlicher Forschung: Angefangen von trivialen Missverständnissen – ein lehrreiches Beispiel dafür ist die Darstellung naturwissenschaftlicher Sachverhalte durch einen dezidiert geisteswissenschaftlichen Theoretiker (siehe den Beitrag von Gerhard Vollmer) – über massive Konflikte in Forschungsgruppen bis hin zum Scheitern ganzer Sonderforschungsbereiche. Angesichts solcher Misslichkeiten gerät der Begriff der Interdisziplinarität selbst unter den Verdacht, ein bloßes Werkzeug wissenschaftspolitischer Rhetorik zu sein, das der Wissenschaft keinen Nutzen bringt, sondern sie nur belastet.

Zur Bewältigung derartiger prinzipieller begrifflicher Schwierigkeiten beizutragen, ist seit jeher eine Aufgabe der Philosophie. Dies trifft insbesondere im Fall der Interdisziplinarität zu, in dem ja explizit nicht nur eine einzelne Disziplin betroffen ist und der daher eine Meta-Disziplin erfordert, die über die üblichen disziplinären Grenzen hinauszuschauen vermag. Mit dem Anspruch, dies leisten zu können, tritt Philosophie für gewöhnlich auf. Und da es sich beim Problemfeld um die Wissenschaften handelt, steht hier eindeutig die Wissenschaftstheorie als philosophische Disziplin in der Pflicht. Eine klärende Antwort auf die Frage, was Interdisziplinarität ist, wäre demnach eine ebenso dringend erforderliche wie geschuldete Dienstleistung der Wissenschaftstheorie für die Einzelwissenschaften. Dieser Aufgabe kommt die Wissenschaftstheorie jedoch allem Anschein nach kaum nach. Diesen Befund bestätigt ein Blick in beliebige wissenschaftstheoretische Werke neueren Datums, in denen Interdisziplinarität meistens überhaupt nicht oder nur am Rande erwähnt wird.

Die ausdrückliche Auseinandersetzung mit Interdisziplinarität geschieht gegenwärtig weitgehend in den verschiedenen Einzelwissenschaften, etwa in der Literaturwissenschaft, Mentalitätsgeschichte, Physik, Politologie oder Soziologie. Dabei kommen zwar immer wieder auch wissenschaftstheoretische Ansätze zur Anwendung; die einzelnen Standpunkte sind aber – völlig legitimerweise – von den jeweiligen einzelwissenschaftlichen Perspektiven geprägt, daher aber auch der Gefahr ausgesetzt, diese je eigenen Vorgaben gegeneinander durchsetzen zu wollen. Das Fehlen eines allgemeinen, zu bestmöglicher Reflexion verpflichtenden Forums, wie es ein philosophischer bzw. wissenschaftstheoretischer Diskurs über Interdisziplinarität sein könnte und sollte, macht sich dabei bemerkbar.

Wie aus den Autoreninformationen hervorgeht, sind die Herausgeber dieses Bandes auf den Arbeitsfeldern der Philosophie tätig, und zwar auch und gerade so, dass sie dabei aktiv interdisziplinäre Beziehungen pflegen. Daher haben sie dieses Desiderat bemerkt und versuchen, ihm mit vorliegendem Band zu begegnen. Zwar liegt damit nicht die zunehmend als längst überfällig geforderte wissenschaftstheoretische Monographie zur Interdisziplinarität vor. Es wird aber stattdessen weniger und mehr geboten: Weniger, insofern mit diesem Band nicht der Anspruch verbunden ist, einen einzigen oder vielleicht sogar den einzigen wissenschaftstheoretischen Standpunkt zu bieten, was Interdisziplinarität betrifft. Mehr, da gerade dadurch eine Vielfalt von Positionen zur Sprache kommt. Wer auch immer die dringend erforderliche Monographie zur Wissenschaftstheorie der Interdisziplinarität schreibt, wird sich mit diesen Positionen auseinandersetzen müssen und kann von ihnen Anregungen beziehen.

Es liegen hier Beiträge vor, die sich entweder unmittelbar aus wissenschaftstheoretischer Perspektive auf ihren Gegenstand richten, oder diese Perspektive doch wenigstens implizit berücksichtigen. Dabei ergibt sich folgende Gliederung, wobei die Beiträge innerhalb der Sektionen nach systematischen Kriterien sortiert sind: Theorie – Praxis – Probleme: Im ersten Teil (mit den Beiträgen von Michael Jungert, Thomas Sukopp, Uwe Voigt und Gerhard Vollmer) geht es um philosophisch-wissenschaftstheoretische Vorklärungen. Ist Interdisziplinarität überhaupt möglich? Was wird in verschiedenen Kontexten unter diesem Begriff verstanden? Warum wird er nicht auf die eigentlich erforderliche Weise geklärt, wie könnte es zu einer derartigen Klärung kommen, und was wäre deren mögliches Ergebnis? Die Theorie muss, wie immer in der Wissenschaftstheorie, von einem kundigen Blick auf die Praxis begleitet und mit geleitet werden. Diesen Blick an Beispielen zu schärfen, ist Anliegen des zweiten Teils (mit den Beiträgen von Ulrich Frey, Hilary Kornblith, Bertold Schweitzer, Bernulf Kanitscheider und Elsa Romfeld), der zugleich Fragen der Beziehungen zwischen konkreten Einzeldisziplinen behandelt und insbesondere auch die Philosophie in diesem Zusammenhang zu positionieren sucht. Ein wichtiges Anliegen war den Herausgebern nicht zuletzt der dritte Teil zu den Problemen der Interdisziplinarität (mit den Beiträgen von Ian Hacking, Winfried Löffler und Thomas Potthast), da es in dieser Publikation auf keinen Fall zu einer unkritischen Verherrlichung von Interdisziplinarität kommen sollte. Auch die Schwierigkeiten dieser Konzeption – wenn es denn eine Konzeption bzw. eine Konzeption ist – sowie ihre möglichen Grenzen gilt es zu erkunden und zur Diskussion zu stellen.

Wenn diese Beiträge dabei helfen, Interdisziplinarität als ein wichtiges Forschungsobjekt innerhalb der Wissenschaftstheorie zu verankern, dann hat dieser Band sein Ziel erreicht. Dass an verschiedenen Orten bereits auf dieses Ziel hin gearbeitet wird, geht auch aus dem Geleitwort von Klaus Mainzer hervor. Ihm gilt unser herzlicher Dank ebenso wie den folgenden beteiligten Personen und Institutionen: Die Herausgeber danken E. Ribes-Iñesta, J. Burgos und der University of Guadalajara Press für die Genehmigung der deutschen Erstübersetzung von Hilary Kornbliths Epistemology and Cognitive Ethology. (Alle anderen hier versammelten Aufsätze sind Originalbeiträge.)

Herrn Dr. Bernd Villhauer gebührt Dank dafür, dass er als zuständiger Lektor diesen Band in das Programm der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft aufgenommen und sein Entstehen umsichtig begleitet hat. Dem Metanexus Institute danken die Herausgeber für die finanzielle Unterstützung bei der Publikation des Bandes. Für die Unterstützung bei der Erstellung des Manuskripts danken wir Sebastian Schleidgen, Izabela Zerebjatjew, Maurizio Spada, Nikolai Roskinski und Alexander Klimo sowie Torben Quasdorf und Hannes Rusch für die Übersetzung der Beiträge von Ian Hacking und Hilary Kornblith.

Cambridge (Mass.), Mannheim, Braunschweig und Augsburg im November 2009

Die Herausgeber

Interdisziplinarität

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