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2. „Doch ein Begriff muss bei dem Worte sein“: Was Inter- und Transdisziplinarität nicht ist

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Noch nie war Wissenschaft so spezialisiert wie heute. Bereits 1987 gab es laut einer Zählung des deutschen Hochschulverbandes 4000 Fächer (Mittelstraß 1987, S. 152). Das erhöht zwar die numerischen Möglichkeiten fächerübergreifender Kooperation, sagt aber wenig über den Anstieg gelungener Kooperationen. Wir sollten – so meine These – nicht immer darauf vertrauen, dass Forscher im Allgemeinen auch dann gut inter- und transdisziplinär zusammenarbeiten, wenn sie keine, eine wenig reflektierte, einander widersprechende oder irreführende Vorstellungen davon haben, was Inter- oder Transdisziplinarität heißen kann.

Dem Titel dieses Abschnitts folgend, stellen wir fest, dass längst nicht alle Versuche, auch nur ungefähr zu sagen, was unter „Interdisziplinarität“ oder „Transdisziplinarität“ zu verstehen ist, als gelungen gelten können. Dazu einige Beispiele: In einem Arbeitsbericht von Blättel-Mink et al. (Blättel-Mink, Kastenholz, Schneider, Spurk 2003, S. 22), der einigen Voraussetzungen und der Praxis transdisziplinärer Nachhaltigkeitsforschung gewidmet ist, wurde eine deutschlandweite Fragebogenerhebung ausgewertet (ebd., S. 21ff.). 87 Befragte legten ihr Verständnis von Transdisziplinarität dar. Die folgenden (anonymisierten) Aussagen mögen verwundern:

Erstens finden wir unvollständige und zu ungenaue Auskünfte, wie etwa die, Transdisziplinarität bestehe darin „[zuzulassen], dass die Arbeit in der eigenen Disziplin durch Ideen anderer Disziplinen beeinflusst wird“ oder dass „[…] Menschen mit pragmatischem Ansatz (Verwaltung, Behörde), wissenschaftlichem Ansatz, planerischem Ansatz und Bürger [zusammenarbeiten]“. Bereits diese Antworten zeigen, dass es mit der terminologischen Präzision und Reflexion nicht immer weit her ist. Wessen Arbeit wird nicht durch Ideen aus anderen Disziplinen beeinflusst? Auch der hochspezialisiert arbeitende Forscher, z.B. ein Mikrobiologe, der das Verhalten von Helicobacter pylori im physiologischen Milieu menschlicher Mägen untersucht, wird biochemische und physiologische Fakten und „Ideen“ wahrnehmen müssen. Mir ist keine akademische Ausbildung bekannt, in der nicht auch „Ideen“ anderer Disziplinen vermittelt werden, auch wenn diese dann „nur“ als „Hilfswissenschaften“ dienen.

Während wir die oben genannten Explikationsversuche als reparabel verbuchen können, so werden die jetzt folgenden irreführenden und falschen Vorstellungen über Transdisziplinarität echte Bauchschmerzen bereiten. Transdisziplinarität wird danach als „Informationsaustausch“ (das ist natürlich viel zu wenig) oder als „Dilettantismus in Bereichen, die man nicht beherrscht“ angesehen. „Sie wird regelmäßig nur von Personen gefordert, die nicht selbst wissenschaftlich arbeiten.“ (siehe jeweils Blättel-Mink et al. 2003, S. 23) Dazu sei nur angemerkt, dass ganze Forschungseinrichtungen wie etwa das ZIF („Zentrum für interdisziplinäre Forschung“ in Bielefeld) oder das „Center for the Study of Interdisciplinarity“ (CSID) tatsächlich inter- und transdisziplinär forschen oder wenigstens über derartige Forschungen reflektieren. Dutzende von Journalen und Forschungseinrichtungen beschäftigen sich mit inter- und transdisziplinär orientierten Forschungsgebieten, es gibt sogar entsprechende Studienabschlüsse (z.B. den „Bachelor of Interdisciplinary Sciences“ (B.I.S.) an der Arizona State University). Zum Dilettantismus-Vorwurf sei außerdem gesagt, dass Doppelausbildungen und Doppelqualifikationen längst dafür gesorgt haben, einem schadhaften Dilettantismus vorzubeugen. Im Übrigen ist eine gründliche Einarbeitung in ein beliebiges Gebiet durchaus üblich und möglich. Sicher kann Transdisziplinarität wie ein „Modewort“ (eine weitere Antwort) gebraucht werden. Doch liegt das eher an der inflationären oder gar beliebigen Verwendung dieses Begriffs. In 3.2. werden wir sehen, wie viel Substanzielles und Dauerhaftes mit Transdisziplinarität verbunden ist. Ich möchte vorab darauf hinweisen, dass aus der Sicht vieler praktisch tätiger Forscher einige der schwierigsten und herausforderndsten Probleme nur inter- und transdisziplinär zu lösen sind (Stokols et al. 2003, S. 21–39; Hartmann 2005, S. 3). Ein Beispiel ist etwa die Lösung ökologischer Probleme; siehe auch Abschnitt 3.2.

Was sind nun die Konsequenzen der eben genannten missglückten Explikationsversuche? Wir haben in Abschnitt 1 gesehen, dass Interdisziplinarität auch bei gutem Willen aller Akteure schwierig ist. Diese Schwierigkeiten werden verschärft, wenn sich pejorative Voreinstellungen oder mangelnder Wille zu terminologischer Klarheit gesellen. Es darf angenommen werden, dass ein halbwegs klares und reflektiertes Verständnis davon, welche Formen der Kooperation mehrerer Fächer oder Disziplinen als gute inter- oder transdisziplinäre Praxis gelten, hilfreich ist. Der kaum aufregende Umkehrschluss ist, dass wenig hilfreiche Explikationen von Inter- und Transdisziplinarität sicher nicht zu einem Klima gedeihlicher Kooperation führen. Die Frage liegt also nahe, was unter Inter- und Transdisziplinarität sinnvoller Weise verstanden werden kann.

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