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A4.4 Anregungen zu den einzelnen Schritten

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Zu Schritt 1: Sicherstellen, dass alle von derselben Handlungssituation ausgehen

Genauso wie bei Handeln vorbereiten ist es wichtig, dass alle Beteiligten möglichst plastisch dieselbe Gebrauchssituation vor Augen haben. Nur so ist ein konstruktives gemeinsames Lernen möglich. Gestaltet man gerade eine Unterrichtseinheit nach dem Rezept Handeln vorbereiten und bringen die Lernenden – wie im Beispiel mit dem rechten Winkel – die neue Vorgehensweise bei Schritt 3 oder auch später ins Spiel, dann sollte dies schon der Fall sein. Vorausgesetzt ist natürlich, dass die neu eingebrachte Vorgehensweise sich tatsächlich auf die betreffende Situation bezieht. Ist dies nicht der Fall oder taucht die neue Vorgehensweise sonst einmal während des Unterrichts spontan auf, muss als Erstes sichergestellt sein, dass man sich über den Kontext einig ist.

Zu diesem Zweck befragt die Lehrperson zuerst einmal die Lernenden, die das neue Vorgehen in den Unterricht mitbringen (z.B. die App bzw. deren Einsatz), zur Gebrauchssituation. Wann wird das Verfahren eingesetzt? Zu welchem Zweck? Unter welchen Umständen? Die anderen Lernenden können ebenfalls Fragen stellen. Sind diese geklärt, berichten alle, ob und in welcher Form ihnen diese Situation bekannt ist.

Zu Schritt 2: Verfahren grundsätzlich in den Griff bekommen

Um sich differenzierter mit dem Verfahren auseinanderzusetzen, muss man es zuerst einmal im Prinzip verstehen. Das entspricht den Schritten 5 und 6 von Handeln vorbereiten. Zuerst sind die Lernenden, die das neue Verfahren eingebracht haben, im Sinne von Schritt 5 in der Verantwortung, den anderen das Vorgehen modellhaft zu demonstrieren (z.B. die genaue Handhabung der App im Kontext). Die Lehrperson kann hier die Rolle eines/einer aktiven Lernenden einnehmen und nachfragen, wenn ihr irgendetwas unklar ist. Sie kann auch in einem Protokoll das Verfahren schriftlich festhalten.

Anschliessend geht es im Sinne von Schritt 6 von Handeln vorbereiten darum, mit spontan kreierten Beispielen erste Erfahrungen zu sammeln und allfällige Unklarheiten zu beseitigen. Die Lehrperson kann hier beim Einstieg helfen, indem sie zusammen mit der ganzen Klasse ein Beispiel kreiert und durcharbeitet (z.B. indem sie die Rechtwinkligkeit einer Ecke der Wandtafel überprüft). Anschliessend ist sie selbst Lernende und entwirft, tauscht und bearbeitet weitere Beispiele.

Zu Schritt 3: (Kritische) Analyse des Vorgehens vor dem Hintergrund des fachlichen Wissens

Bis zu diesem Punkt wurde das Verfahren einmal zur Kenntnis genommen – ohne einen Gedanken daran, warum es funktioniert oder ob es überhaupt funktionieren kann. Dies holt die Lehrperson nun nach, indem sie laut denkend Verbindungen zu ihrem Fachwissen herstellt (z.B. dazu, dass in rechtwinkligen Dreiecken die Gesetzmässigkeit gilt, die sich durch den Satz des Pythagoras darstellen lässt, und dass die App diese Gesetzmässigkeit nutzt). Sofern die Lernenden bereits über das entsprechende Wissen verfügen, kann die Lehrperson diese auch auffordern, diese Aufgabe zu übernehmen. Wie sehr die Lehrperson hier ins Detail gehen will, hängt davon ab, was zum Verständnis des Vorgehens unbedingt nötig ist (Hintergrund: C3 Situierte Abstraktion). Darüber hinaus spielen die zur Verfügung stehende Zeit, das Vorwissen und die Interessen der Lernenden und die relevanten Ziele des Lehrplans eine Rolle (z.B. braucht man für den Gebrauch der App den Satz des Pythagoras nicht zu kennen; er kann aber im Lehrplan verlangt sein oder bei den Lernenden auf Interesse stossen).

Es kann vorkommen, dass die Lehrperson spontan die Verbindung zu ihrem fachlichen Vorwissen nicht herstellen kann oder gar nicht über entsprechendes Wissen verfügt (z.B. da sie immer mit dem Verhältnis 3:4:5 gearbeitet hat und den Satz des Pythagoras gar nicht kennt)[2]. Dann kann sie diese fachliche Einordnung auf die nächste Woche verschieben und die relevanten Zusammenhänge in der Zwischenzeit so weit wie möglich aufarbeiten. Alternativ können sich aber auch alle an einer gemeinsamen Recherche im Internet oder an anderen Orten beteiligen (Beispiel: C8 Gewisse Ungewissheit, Beispiel 2).

Haben die Lernenden das neue Verfahren im Rahmen einer betrieblichen Weiterbildung kennengelernt, können sie möglicherweise nützliche Hinweise geben. Auf jeden Fall sollte diese theoretische Einbindung stattfinden. Ein mögliches Resultat der dabei angestellten Überlegungen kann auch sein, dass das Verfahren gar nicht funktionieren kann oder zumindest nicht in der Form, wie es von den Lernenden vorgestellt wurde.

Zu Schritt 4: (Kritische) Analyse des Vorgehens vor dem Hintergrund des Erfahrungswissens

Auch wenn das Verfahren grundsätzlich funktioniert, heisst das noch nicht, dass es – zumindest in der vorgestellten Form – im beruflichen Alltag zu gebrauchen ist. Um das zu klären, kann die Lehrperson ihren ganzen Erfahrungsschatz an erinnerten Situationen zur Verfügung stellen, in denen das neue Verfahren prinzipiell anwendbar sein sollte (Hintergrund: C7 Schnelles Denken, langsames Denken). Sie greift dazu eine geeignete Situation heraus – nach Möglichkeit sogar eine, bei der sie spontan Zweifel hat, ob das neue Verfahren dort brauchbar ist – schildert sie und überlegt dann allein oder zusammen mit den Lernenden, wie der Gebrauch des Verfahrens in diesem Fall aussehen würde (z.B. könnte sie sie sich an eine Situation erinnern, in der die eine Wand sehr uneben und es daher schwierig war, die relevante Seite verlässlich zu messen. In diesem Fall würde sich zeigen, dass die App genau gleich gut einsetzbar ist wie das alte Verfahren mit Papier und Bleistift und man unabhängig davon die unebene Wand in den Griff bekommen muss).

Ein mögliches Resultat dieser gedanklichen Untersuchungen kann sein, dass das neue Verfahren nur in ganz bestimmten Situationen einsetzbar ist, in anderen muss auf das alte, der Lehrperson vertraute Verfahren zurückgegriffen werden (z.B. wenn der Akku des Smartphones leer ist). Wichtig ist dabei, dass die Lehrperson nicht allzu hart mit dem neuen Verfahren ins Gericht geht, nur um ihr altes, liebgewordenes Vorgehen zu verteidigen (z.B. ist das Argument mit dem Akku nicht wirklich ein überzeugendes Argument, denn genauso könnte man darauf hinweisen, dass das Rechnen mit Papier und Bleistift nur funktioniert, wenn man den Bleistift nicht vergessen hat). Aber auch wenn sich zeigen sollte, dass das neue Verfahren gut in allen Situationen anwendbar ist, an die sich die Lehrperson erinnern kann, sind diese Überlegungen nützlich. Anhand der verschiedenen Situationen wird es möglich sein, verschiedene Gebrauchsprobleme zu diskutieren, für die man eine Lösung finden muss (z.B. der Umgang mit der unebenen Mauer, wo die Erfahrungen und Lösungen mit dem alten Vorgehen direkt für den Einsatz der App relevant sind).

Zu Schritt 5: Anwendungsfragen und Anwendungsprobleme klären

Abschliessend geht es darum, den Lernenden im Sinne der Schritte 7 und 8 von Handeln vorbereiten zu helfen, das neue Verfahren im beruflichen Alltag kompetent anzuwenden. Hier übernimmt die Lehrperson einerseits die Rolle, wie das für die Schritte 7 und 8 vorgesehen ist: Sie leitet die Lernenden an, einen geeigneten Spickzettel zu schreiben, und bespricht und löst zusammen mit ihnen die auftretenden Gebrauchsprobleme. Andererseits ist es auch hilfreich, wenn die Lehrperson selbst die Rolle einer Lernenden übernimmt, einen Spickzettel erstellt und wenn möglich selbst das Verfahren in Gebrauchssituationen einsetzt, sodass sie die dabei gemachten Erfahrungen mit den Lernenden teilen kann.

Situationsdidaktik konkret (E-Book)

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