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Kapitel 14

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Wie in Trance steuerte Paul den Wagen in Richtung seiner Wohnung. Immer wieder ging ihm das gerade Erlebte durch den Kopf. Es war alles so unwirklich für ihn. Wie in einem Traum. Und er fühlte sich nicht gut dabei. Was da gerade passiert war konnte doch unmöglich wirklich geschehen sein. Paul kam sich vor, als wäre er gerade erst aus einem erotischen Traum aufgewacht. Doch anders als nach so einem Traum fühlte er sich jetzt schlecht. Es passte einfach nicht zu ihm, sich auf ein solches Abenteuer einzulassen. Langsam stieg ein Gefühl der Panik in ihm auf. Wie sollte er darüber mit Susanne reden? Gerade sie wollte er auf keinen Fall verlieren. Sie war seine große Liebe. Doch wie konnte sich in eine funktionierende Beziehung eine andere, völlig fremde Person so einfach einmischen?

Aber noch ehe er seinen wirren Gedanken nachhängen konnte hörte er über seine Soundanlage das Klingeln des Telefons. Ein Blick auf das Display zeigte ihm, dass der Anrufer keine Nummer übertragen ließ. Paul drückte auf den Annahmeknopf und meldete sich. Am anderen Ende der Leitung meldete sich eine weibliche Stimme. „Wir müssen uns treffen. Jetzt sofort!“ Irritiert und immer noch nicht ganz aus seinem erotischen Abenteuer zurück antwortete Paul „Hallo, wer spricht denn da überhaupt?“. „Das spielt keine Rolle. Sie sind in großer Gefahr und so wie es aussieht machen Sie gerade eine Dummheit nach der anderen.“ Tönte es trocken zurück. Paul stutze kurz, dann, jetzt ganz bei der Sache, antwortete er mit der Stimme, die ein Programmchef benutzt, wenn ein Redakteur ihm eine völlig unsinnige Sendung schmackhaft machen möchte, er jedoch keinerlei Interesse daran hat. „Hören Sie gute Frau. Ich weiß nicht wer Sie sind und was Sie genau von mir wollen. Doch ich bitte Sie von weiteren Anrufen Abstand zu nehmen und mich in Frieden zu lassen. Ich werde das Gespräch nun beenden und wünsche Ihnen noch einen erfolgreichen Tag“.

Gerade als er schon auflegen wollte kam die Antwort wie ein Strick, der sich einem erst sanft um den Hals legt und dann aber langsam und unaufhörlich immer enger zieht. Der einem die Luft kontinuierlich abschneidet, aber immer noch genug Sauerstoff durchlässt um überleben zu können. „Der Piratenjäger wird Sie bald haben. Ich kann ihnen aber helfen“. Paul stockte der Atem. Was hatte die Unbekannte gerade gesagt? Der Piratenjäger? „Was reden Sie da?“ versuchte Paul cool zu kontern. Doch er hatte seine Stimme nicht mehr im Griff. Deutlich war seine Unsicherheit an einem Vibrieren und Wackeln zu hören. Jetzt machte es noch wenig bis gar keinen Sinn weiter den Unwissenden zu spielen. Was ihm aus der Situation noch helfen könnte war, wenn er mehr Informationen über die Anruferin und ihr Motiv bekommen würde. Also hakte er nach. „Was genau wollen Sie von mir?“ „Sie haben mich doch gehört. Und ich denke auch, dass Sie inzwischen ganz genau wissen, wovon ich rede. Sie können aber gerne auch ins offene Messer laufen und versuchen alleine zu Recht zu kommen. Ganz wie Sie wollen.“

Es entstand eine endlose Pause, die sich wie ein zäher Kaugummi, der an einem Schuh klebt und einfach nicht abfallen will, zog. Paul holte tief Luft um seine Fassung wieder etwas zu erlangen. Er versuchte noch irgendwie lässig zu sein, was durch seine immer noch zittrige Stimme aber dann doch eher peinlich wirkte. „Okay. Ich habe zwar keine Ahnung von was Sie reden, aber wer so irres Zeug von sich gibt, dem sollte man zuhören. Vielleicht wird ja eine gute Geschichte für mich daraus.“ Die Antwort der Frau kam deutlich souveräner zurück „Ich verstehe, dass Sie Angst haben. Und Sie haben auch allen Grund dazu. Wir treffen uns im Café Mozart – in genau einer halben Stunde. Wenn Sie zu spät kommen bin ich nicht mehr da und Sie wissen genau, was das für Sie bedeuten würde“. Das Gespräch war beendet.

Paul schlug auf das Lenkrad seines Wagens ein und schrie „Fuck - was ist das heute nur für ein Tag? Was hab ich denn verbrochen, dass ich so etwas verdient habe?“ Die Antwort gab er sich im Geist selber. Er war kein braver Junge mehr, das wurde ihm nun schmerzlich bewusst. Bisher funktionierte alles zu einfach und selbstverständlich, als dass es sich für ihn falsch angefühlt hätte. Doch im Grunde machte er so ziemlich alles, was gegen die Regeln der Moral und einer funktionierenden Gesellschaft verstößt. Doch darüber wollte er nun wirklich nicht weiter nachdenken. Jetzt musste er erst einmal herausbekommen, was genau hier los war.

Wer war diese Frau, wer war der Piratenjäger und worin bestand die Gefahr für ihn?

Kurze Zeit später stand er vor dem Café Mozart. Ein Blick auf seine Uhr zeigte ihm, dass er noch genau 5 Minuten Zeit hatte um pünktlich zu sein. Er stieg aus und ging durch die Glastür. Das Café war einem Wiener Caféhaus nachempfunden und dementsprechend lag der Altersdurchschnitt des Publikums deutlich über seinem eigenen. Paul dachte, dass Treffpunkte immer irgendwie cool seien müssten. Dieser war es ganz sicher nicht.

Unsicher sah er sich um und hoffte auf ein Zeichen eines Gastes. So etwas wie die berühmte rote Rose bei einem Blind Date. Als er niemanden winken sah, setzte er sich an einen leeren Tisch und bestellte bei der ganz in Schwarz gekleideten Mittfünfzigerin, die anscheinend das komplette Café bediente, einen Cappuccino und ein Mandelhörnchen.

Schon nach wenigen Minuten bekam er seine Bestellung. Waren Bedienungen in solchen Cafés immer so viel schneller mit der Lieferung der Bestellung als in anderen Gastronomiebetrieben? Vielleicht hatten sie ja Angst, dass der Kunde die Lieferung sonst nicht mehr erleben würde. Gedankenverloren grinste Paul über diese Vorstellung als er eine Stimme von der Seite hörte. „Diese Dame sagt, sie gehört zu Ihnen. Stimmt das?“ Die freundliche Bedienung von eben sah Paul nun nicht mehr ganz so freundlich an und noch während sie den Satz formulierte deutete sie, mit dem Daumen und einem fast unmerkbaren Kopfdrehen, hinter sich.

Da stand eine kleine, fast unsichtbar wirkende Frau. Ihre Bekleidung musste noch aus der Zeit des Mittelalters stammten. Zumindest wirkte es so alt und verschlissen. Sie bestand aus vielen Röcken die übereinander angezogen der Trägerin die Figur eines Fasses verliehen. In den Händen trug sie mehrere gefüllte Plastiktüten. Ihre Jacke war anscheinend selbst gestrickt, außer ein Designer fiel dem Wahn zum Opfer, dass dicke Zopfmuster auf einmal wieder modisch seien. Unter dem Schlapphut bahnten sich wild zerzauste Haare den Weg ins Freie, die durchaus auch für den Bau von Drahtbürsten Verwendung finden könnten.

Doch was Paul am meisten an der Erscheinung auffiel waren die Augen.

Diese Augen waren wach. Aber nicht einfach nur wach in dem Sinne, dass diese Frau gut schlafen konnte. Bei dem Blick in die dunkelbraunen Augen, deren Pupillen sich in der restlichen Farbe aufzulösen schienen, hatte Paul das Gefühl, dass alles Wissen dieser Welt darin gespeichert war. Zwar leuchteten sie fröhlich, doch gleichzeitig schienen sie das gesamte Licht des Raumes verschlucken zu wollen. Und eines dieser Augen zwinkerte ihm wissend zu. Mit Allem hatte er gerechnet, doch nicht mit einer Stadtstreicherin. Ihr Alter konnte Paul nur schwer schätzen. Sie hätte vielleicht erst 40, aber durchaus auch schon 100 Jahre alt sein können. Das Gesicht war zwar kaum faltig, doch es schien, als dass darin die Weisheit von vielen Jahrzehnten gespeichert war.

Nachdem Paul sich wieder gefangen hatte, nickte er der Bedienung zu und sagte

„Ja, das ist richtig. Diese Dame gehört zu mir. Das ist so eine Art Eingliederungsprojekt der Stadt, wissen Sie…“ meinte Paul entschuldigend. Doch das wollte die Bedienung gar nicht wissen. Mit einem angewiderten Gesichtsausdruck wandte sie sich ab und murmelte nur etwas von „wo soll das nur hinführen“ und „muss man sich alles gefallen lassen“ vor sich hin.

Paul deutete der Alten an, sie solle sich auf den freien Platz setzen. Fröhlich grinsend folgte sie dieser Anweisung.

„Na, überrascht?“ fragte sie Paul. „Ein wenig schon, wenn ich ehrlich bin“ antwortete Paul. „Und das sind Sie ja leider nicht sehr oft“ konterte die Alte. Paul wollte etwas sagen, entschied sich dann aber, während er die Luft zischend zwischen seinen Zähnen durchzog, dagegen. „Es ist gut, dass Sie gekommen sind. Wir müssen wirklich reden.“ Paul hörte weiter zu. „Ich denke Sie sind im Grunde kein schlechter Kerl. Sie sind wohl einfach der Versuchung erlegen den leichten Weg zu gehen. Trotzdem war es nicht richtig was Sie gemacht haben. Ich beobachte Sie schon seit vielen Jahren und habe mit Erstaunen ihren Weg verfolgt. Ganz ohne HILFSMITTEL hätte diese Traumkarriere so nicht funktioniert. Aber die Menschen um einen herum sind blind. Keiner denkt noch über den Anderen nach. So ist es leicht geworden in der Masse der Anonymität unterzutauchen. Sicher haben Sie gedacht Sie sind mit dieser Gabe alleine auf der Welt?“ Paul nickte nur stumm und sah dabei verschämt zu Boden. Die Alte schien doch mehr zu wissen, als er dachte. Nun fühlte er sich ertappt. Wie ein kleiner Schuljunge, den man beim Abschreiben erwischt hatte. „Aber ich bin ja total unhöflich“ meinte die Alte weiter „Ich hab mich ja noch gar nicht vorgestellt. Mein Name ist Rowena Mills. Du kannst Rowena zu mir sagen, Paul.“ „Äh, sehr angenehm“ stotterte Paul und gab Rowena verlegen die Hand. „Was ist, hast du jemand anderen erwartet?“ wollte Rowena wissen? „Naja, vielleicht jemanden, der nicht ganz so, hm naja, sagen wir mal..“ „Nicht ganz so heruntergekommen ist?“ ergänzte Rowena den Satz. Dann sprach sie weiter „Wir sind oft nicht, wer wir zu seien scheinen. Und oft scheinen wir jemand zu sein, der wir nicht sind.“ Paul sah sie verdutzt an. Sie hatte verdammt recht. Wie oft hatte er es mit Blendern zu tun.

Langsam bekam er seine Fassung wieder zurück. Er sah Rowena in die Augen und fragte „Wie willst du mir denn helfen? Was genau ist der Piratenjäger und was kann mir passieren?“ Rowena lächelte ihn an „Es scheint, als ob du meine Warnung nun endlich ernst nimmst. Das ist gut. Ich werde dir alles erzählen. Aber zuerst darfst du mich auf einen Kaffee einladen.“ Paul winkte der Bedienung und bestellte einen Kaffee und ein zweites Mandelhörnchen. „Warum treffen wir uns ausgerechnet hier? Ich meine du passt so gar nicht hier hinein“, wollte Paul wissen. Rowena grinste wieder breit „Eben darum. Hier würde uns niemand vermuten. Und ist dir aufgefallen, wie sich die Leute hier unterhalten?“ Sie deutete in den Gästeraum. Paul sah sich um und zuckte nur mit den Schultern. „Ich meine die Lautstärke, mit der sich die Leute hier unterhalten“ meinte Rowena. Und dann weiter „Der größte Teil der Gäste hier ist schwerhörig und schreit sich deshalb an. Keiner wird uns hier belauschen oder verstehen.“

Nachdem Kaffee und Hörnchen auf dem Tisch standen, fing Rowena an zu erklären. „Du hast doch dieses Buch, Gedankenpiraten?“ Paul nickte und wollte aufgeregt gleich von Rowena wissen „Woher weißt du das? Niemand weiß davon.“ Und wieder kam das breite Grinsen über das Gesicht der Alten. „Niemand kann ja wohl nicht sein. Es ist ja erst einmal völlig egal woher ich das weiß. Hör einfach mal zu. Du hast dieses Buch sicher schon öfter als nur einmal gelesen. Dann weißt du auch das Meiste schon. Allerdings ist es ein sehr altes Buch. Das heißt, dass viele Dinge so nicht ganz stimmen oder zumindest nicht mehr in unsere Zeit passen.“ Was Rowena ihm dann noch alles zu erzählen hatte dauerte zwei weitere Mandelhörnchen und drei Tassen Kaffee lang. Als sie dann endlich mit ihrer Erklärung fertig war, wurde es Paul schlecht. Wenn das alles so stimmte, dann hatte er jetzt echt Probleme.

Es gab also Piratenjäger, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten seinesgleichen unschädlich zu machen – sie hielten sich aber im Hintergrund. Ihre Gehilfen, die Vasallen, waren so etwas wie Frontsoldaten. Sie führten die Befehle ihrer Herren aus. Dabei war ihnen kein Mittel zu schmutzig um ihr Ziel zu erreichen.

Er, Paul, war ein Pirat. Er konnte sich in andere Körper einloggen. Es gab aber auch Piraten die sich durch andere Talente auszeichneten. Manche konnten Gedanken lesen, wieder andere waren in der Lage wie ein Fahrgast in andere Körper einzusteigen, diese aber nicht kontrollieren. Oder es gab auch Piraten die es verstanden den Geist von Menschen, oder auch von Tieren so zu beeinflussen, dass sie, wie Marionetten, machten was diese wollten. Viele erkannten ihre eigene Gabe gar nicht. So wunderten sich Gedankenleser oft nur, dass sie schon vorher wussten was jemand sagen wollte. Manchmal waren es nur die kleinen Dinge des Lebens die dadurch beeinflusst wurden. Es gab aber auch schlimme Ereignisse. So erzählte Rowena zum Beispiel, dass ein Pirat einmal viele Menschen um sich in einer Sekte versammelte um dann schließlich alle gleichzeitig in einen schrecklichen Selbstmord zu schicken.

Paul war schockiert. Woher wusste man denn nun, wer noch Herr seines eigenen Verstandes und Körpers war? Der Gedanke ekelte ihn an. Jetzt konnte er auch verstehen, dass es Gruppen geben musste, die seinesgleichen jagten. Er selbst war eine potentielle Gefahr für die Gesellschaft und vielleicht sogar die gesamte Menschheit.

Paul war total durcheinander. Tausend Fragen gingen ihm durch den Kopf und so wandte er sich wieder an Rowena „Was soll ich nun tun? Mich selbst umbringen? Mich stellen? Ich bin total verwirrt.“ „Versuche erst einmal das alles zu verarbeiten und zu verstehen. Dann werden wir gemeinsam, wenn du das willst, überlegen wie wir weiter vorgehen.“ Paul nickte und war froh über diese Antwort. Sie verschaffte ihm etwas Luft und Zeit um zu überlegen. Und er war froh nicht alleine mit seinem Problem da zu stehen.

Bis vor wenigen Stunden lief sein Leben noch perfekt. Und auf einmal stürzt das Kartenhaus des Glücks zusammen. Ihm war zwar immer noch nicht klar, wie diese seltsame Erscheinung ihm helfen konnte. Aber das war ihm nun auch egal. Sie schien es ehrlich zu meinen und das war jetzt die Hauptsache.

„Wie geht es nun weiter?“ wollte er von Rowena wissen. „Jetzt fährst du erst einmal nach Hause und ruhst dich aus. Ich werde mich morgen bei dir melden. Bis dahin nimmst du keine unbekannten Gespräche an.“ Dann machte sie eine kurze Pause und sah Paul dabei tief in die Augen „Und lass dich auf gar keinen Fall mit irgendwelchen fremden Frauen ein.“ Kaum hatte sie diesen Satz fertiggestellt sah sie Paul, der verlegen versuchte ein Loch in den Boden zu stieren, an. Dann schlug sie mit der flachen Hand auf den Tisch, dass die Tassen aufsprangen und krächzte „Das kann doch nicht sein?! Du hast schon? Das macht es jetzt noch schwerer.“ „Das hat nichts zu bedeuten, ich hatte ihr einen Gefallen getan…“ Rowena unterbrach Paul in seinem Satz „Glaube mir, das hat etwas zu bedeuten. Das ist die moderne Art um Männer fertig zu machen. Sag mir, kam es dir vor wie in einem Traum? Wurde dir dabei schwindelig?“ Paul sah sie mit weit aufgerissenen Augen an „Ja genau, so war es. Es fühlte sich alles so…“ Paul stockte, „als sei ich Zuschauer in einem Film, den ich aber gleichzeitig auch spüren kann.“ setzte er den Satz fort. „Jetzt haben sie dich in der Hand. Wir müssen handeln. Aber jetzt fahr nach Hause und mach nicht noch mehr Blödsinn.“ Während sie die letzten Worte aussprach stand Rowena auf, packte ihre Tüten und ging aus der Tür. Paul sah ihr noch hinterher, zahlte die Rechnung und fuhr, wie es ihm befohlen worden war, nach Hause.

Gedankenpiraten

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