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2.2.4 Literaturgattungen und TopikTopik

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Ein anderer Zweig der philologischen Studien ist die Literaturwissenschaft. Dazu gehört es, das literarische Schrifttum, also alle Werke, die für ein breiteres Publikum und mit einem gewissen ästhetischen Anspruch verfasst worden sind, in Literaturgattungen einzuteilen. Dies kann nach formalen oder inhaltlichen Kriterien oder einer Kombination von beidem geschehen; gängig ist beispielsweise die Unterscheidung der literarischen Werke in DichtungDichtung und Prosa. Wichtig für die Alte Geschichte ist, dass schon in der Antike über Literaturgattungen nachgedacht wurde und dass in diesem Zusammenhang zum Teil gattungsspezifische Regeln für Stil und Inhalt literarischer Werke formuliert wurden. Daraus ergibt sich, dass manches, was ein Autor schrieb, nur dem Bedürfnis geschuldet war, solchen Gattungsgesetzen zu entsprechen. Dieser Mechanismus konnte im Übrigen auch unreflektiert allein dadurch ablaufen, dass sich ein Autor sehr eng an ein berühmtes literarisches Vorbild anlehnte, eine im Altertum sehr häufige Konstellation. Man bezeichnet solche literarischen Gemeinplätze, die im Rahmen eines bestimmten Genres unbedingt ‚bedient‘ werden mussten, als TOPOI. Häufig meint dieser Begriff jedoch eher die Übertragung auch der Inhalte einer Aussage in ein anderes Werk oder einen anderen Kontext. Manche derartigen Topoi ziehen sich als Wandermotive durch die gesamte antike Literatur. Vor diesem Hintergrund muss bei der historischen Auswertung einer QuelleQuelle natürlich auch auf eventuelle topische Bezüge sorgfältig geachtet werden.

Die Interpretation von Texten unter gattungstheoretischen Vorzeichen muss allerdings dort ihre Grenzen finden, wo sie, ohne hinreichend gerechtfertigt zu sein, eine unbefangene Deutung erschwert. Das Paradebeispiel hierfür sind die homerischen Epen, die Ilias und die Odyssee. Beide Gedichte wurden traditionellerweise als HeldendichtungHeldendichtung eingeordnet und vor allem mit mittelalterlichen Heldensagen wie etwa dem NibelungenliedNibelungenlied verglichen. Vor diesem Hintergrund deutete man dann die bei HomerHomer geschilderte Gesellschaft, in der beinahe nur von heldenhaften Gestalten gesprochen wird, als die aus gattungsspezifischen Gründen in den Vordergrund gerückte aristokratische Hälfte einer zweigeteilten realen Gesellschaft: In Heldengedichten sei, so die Einschätzung der älteren Forschung, eben nur von Helden die Rede, und nicht von ihren Dienern und Knechten. So, wie es Diener und Knechte in der gesellschaftlichen Wirklichkeit der Völkerwanderungszeit (in der das Nibelungenlied entstand) aber nachweislich gegeben habe, so dürfe man auch von der Existenz einer Unterschicht in homerischer Zeit ausgehen – nur könne man diese in den Gedichten nicht richtig greifen. Diese Ansicht ist problematisch, denn sie lässt außer Acht, dass die homerischen Gedichte gewissermaßen am Beginn der antiken Literatur stehen, dass wir über ihre Entstehung wenig wissen, und dass es daher methodisch nicht zulässig ist, Elemente, die in späteren Werken der Gattungstradition verpflichtet sind, auch schon für Ilias und Odyssee als solche Gemeinplätze aufzufassen. Dies ist zwar denkbar, aber kaum schlüssig zu begründen, und das heißt für die homerische Gesellschaft, dass es sich bei ihr ebenso gut um eine Art ‚Leistungsgesellschaft‘ gehandelt haben kann, in der die ‚ritterliche Ethik‘ allen Mitgliedern der Gemeinschaft offenstand, und nicht nur einem ‚Adel‘.

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