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2.2.5 Die antike Geschichtsschreibung

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Schriftquellen sind also, obwohl sie, wie eingangs betont, unsere Erkenntnismöglichkeiten über die Vergangenheit ungeheuer erweitern, zumeist nicht einfach zu interpretieren, sie eröffnen im Gegenteil häufig Schwierigkeiten eigener Art. Eine Sonderstellung nehmen dabei NARRATIVE Texte ein. Einerseits handelt es sich bei ihnen zweifellos um besonders wertvolle Quellen, denn sie sind die einzigen Texte, die uns die für das geschichtliche Verständnis so wichtigen Ereigniszusammenhänge liefern. Auf der anderen Seite aber ist bei der Auswertung erzählender Quellen auch besondere Vorsicht geboten. Oft ist nämlich schon die bloße Herstellung eines Ereigniszusammenhanges bereits eine Interpretation, und viele narrative Zeugnisse transportieren bekanntlich weit darüberhinausgehende Deutungen und Wertungen. Diese vorgegebenen Muster sind freilich fast nie die einzige Art und Weise, wie man die berichteten Fakten sehen kann, und deswegen dürfen Historiker nicht der großen Versuchung erliegen, sie einfach ungeprüft zu übernehmen.

Man muss daher stets nach den Darstellungsabsichten eines Autors fragen. Am deutlichsten wird dies wohl bei der antiken HISTORIOGRAPHIE, also der Geschichtsschreibung im engeren Sinne, die im 5.Jahrhundert v. Chr. in Griechenland einsetzte. Zwar gab es schon zuvor sowohl im griechischen Bereich als auch anderswo erzählerische Darstellungen der Vergangenheit, etwa die homerischen EPEN, oder, um ein Beispiel außerhalb des griechischen Kulturkreises zu nennen, Teile des Alten Testamentes. Erst bei HerodotHerodot von Halikarnassos aber (ca. 485–425 v. Chr.), den schon CiceroCicero für den „Vater der Geschichtsschreibung“ hielt (De legibus I 1,5), findet man jene kritisch-rationale Distanz zum historischen Gegenstand, durch die man – damals wie heute – die eigentliche Geschichtsschreibung gekennzeichnet sieht. Dabei war Herodot, der sich mit den Perserkriegen (490–479 v. Chr.) und ihrer Vorgeschichte befasste, der Ansicht, er müsse, obwohl er längst nicht alles glauben könne, trotzdem alle Geschichten aufschreiben, die man sich erzähle (Herodot 7,152). Diese Auffassung hat ihm später den Vorwurf eingetragen, leichtgläubig und geschwätzig zu sein (z.B. bei Aulus GelliusAulus Gellius 3,10,11), und bereits der nicht minder berühmte Fortsetzer Herodots, ThukydidesThukydides von AthenAthen (ca. 460–400 v. Chr.), hat seinen Vorgänger – wenn auch ohne ihn namentlich zu nennen – herb kritisiert (Thukydides 1,20–22). Thukydides setzte dem herodoteischen Vorgehen das erklärte Ziel entgegen, durch genaue Überprüfung und Erforschung des Vergangenen die Wahrheit herauszufinden und nur diese dann auch zu präsentieren. Damit formulierte er im Grunde genommen als erster ausdrücklich die Forderung, dass Historiker ihre Quellen kritisch gewichten müssen. Thukydides ist folglich in gewissem Sinne der Vater der QuellenkritikQuellenkritik, und für diesen methodischen Anspruch hat man ihn in der Regel dem Herodot als Historiker vorgezogen. In diesem Zusammenhang hat Wilfried NippelNippel, Wilfried vor einigen Jahren allerdings daran erinnert, dass Herodot, indem er seine Quellen – und dadurch die Grundlage seiner Interpretationen – nennt und dem Leser so zur Überprüfung zugänglich macht, eigentlich viel eher dem modernen Verständnis von WissenschaftlichkeitWissenschaftlichkeit als Transparenz in der Darstellung entspricht als Thukydides, der die von ihm verworfenen Zeugnisse zumeist nicht erwähnt und auf diese Weise eine nachträgliche Revision seiner Ergebnisse mindestens erschwert.

Abb. 8

Der griechische Geschichtsschreiber Herodot, römische Kopie eines griechischen Originals des 4. Jhs. v. Chr. Neapel, Museo Nazionale Archeologico

Gleichwohl kann die gewiss berechtigte Rehabilitierung Herodots den Rang des ThukydidesThukydides als Historiker in keiner Weise schmälern. Thukydides hat mit seiner Geschichte des Peloponnesischen Krieges (431–404 v. Chr.) nicht nur den historischen Gegenstand, den er beschrieb, eigentlich erst selbst erschaffen, als er eine Reihe von Einzelkonflikten in seinem Werk unter diesem Namen als geschichtliche Einheit zusammenfasste. Dadurch, dass er sich, anders als HerodotHerodot, auch sehr stringent auf diesen seinen Gegenstand beschränkte, gilt Thukydides des Weiteren als der Schöpfer der historischen MONOGRAPHIEMonographie. Darüber hinaus begründete er durch sein bewusstes Anknüpfen an den Zeitpunkt, an dem Herodot sein Werk enden ließ, eine seither in der antiken Historiographie häufiger geübte Praxis, nämlich die Selbsteinordnung in eine historia perpetua, eine kontinuierliche Geschichtsdarstellung.

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