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H. Sonnabend, Geschichte der antiken Biographie: Von IsokratesIsokrates bis zur Historia Augusta, Stuttgart/Weimar 2002.

K. De Temmermann (Hg.), The Oxford Handbook of Ancient Biography, Oxford 2020.

Ch. Mueller-Goldingen, DichtungDichtung und Philosophie bei den Griechen, Darmstadt 2008.

M. Fuhrmann, Die Dichtungstheorie der Antike, 2. Aufl., Darmstadt 1992.

W. Eisenhut, Einführung in die antike Rhetorik und ihre Geschichte, 5. Aufl., Darmstadt 1994.

W. Stroh, Die Macht der Rede: eine kleine Geschichte der RhetorikRhetorik im alten Griechenland und Rom, Berlin 2009.

S. Döpp u.a. (Hgg.), Lexikon der antiken christlichen Literatur, 3. Aufl., Freiburg u.a. 2002.

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Exkurs: Quellentext befragt

Auf den ersten Seiten seines 24. Buches, das die Ereignisse des Jahres 215 v. Chr. behandelt, bringt LiviusLivius die Haltung der italischen Bundesgenossen Roms nach der katastrophalen römischen Niederlage gegen HannibalHannibal bei CannaeCannae (216 v. Chr.) in einem einzigen Satz auf den Punkt:

Unus velut morbus invaserat omnes Italiae civitates, ut plebes ab optimatibus dissentirent, senatus Romanis faveret, plebs ad Poenos rem traheret“ (LiviusLivius 24,2,8). In der deutschen Übersetzung von Josef FeixFeix, Josef (1977) lautet die Stelle: „Eine einzige Krankheit hatte gleichsam alle Staaten Italiens befallen, dass das Volk anders dachte als der Adel, dass der Senat den Römern zugetan war, die Bürgerschaft sich aber zu den Puniern hingezogen fühlte.“

Derartige Aussagen sind, das kann nun nicht oft genug betont werden, extrem verdächtig! Sie pauschalisieren in einer Weise, die geradezu danach riecht, dass hier ein Gemeinplatz oder aber eine bestimmte darstellerische Absicht Pate gestanden haben für eine Verdrehung, Übertreibung oder zumindest eine grobe Vereinfachung der Tatsachen.Was ist zu tun? Der nahe liegende Ansatz besteht darin, die generalisierende Behauptung am Einzelfall zu überprüfen, und zwar zunächst in der livianischen Schilderung selbst. Wer dies unternimmt, der muss die Bücher 23–30 bei LiviusLivius durchmustern, in denen der Zweite Punische Krieg von der Schlacht bei CannaeCannae bis zum Friedensschluss 201 v. Chr. dargestellt wird. Dazu ist etwas Zeit erforderlich, aber das Ergebnis lohnt die Mühe. Die Gegenprobe bei Livius zeigt nämlich, wie kaum anders zu erwarten war, ein durchaus vielschichtiges Bild. Der in 24,2,8 erwähnte Gegensatz zwischen Adel und Volk findet sich nur an einigen wenigen Stellen wieder: So sollen in der campanischen Stadt NolaNola die (adeligen) Ratsherren die Römer unter Marcus Claudius MarcellusClaudius Marcellus, Marcus zu Hilfe gerufen haben, weil das Volk zu HannibalHannibal habe übergehen wollen. Diese Geschichte wird aber gleich dreimal für drei aufeinander folgende Jahre erzählt (für 216: Livius 23,14,7–17,3; für 215: Livius 23,39,7–8; 23,41,13–46,7; für 214: Livius 24,13,8–11; 24,17), es handelt sich also sogar um mehr als um eine Doublette. Damit nicht genug: An einer Stelle wird der Anführer der prokarthagischen Partei in Nola, ein Mann namens Lucius BantiusBantius, Lucius, ganz zweifelsfrei als Adliger identifiziert, denn es heißt von ihm, er sei „zu der Zeit unter den Bundesgenossen [der Römer] beinahe der vornehmste Ritter“ gewesen (Livius 23,15,8: „erat … sociorum ea tempestate prope nobilissimus eques“). Man wird daher berechtigte Bedenken tragen dürfen, ob Livius die Lage in Nola wirklich zutreffend beschrieben hat. Ähnliches gilt nun auch für die einzigen beiden anderen Fälle, die wenigstens halbwegs und auf den ersten Blick der angeblichen ‚Zweiteilung‘ Italiens in einen romfreundlichen Adel und ein karthagerfreundliches Volk zu entsprechen scheinen. Es sind dies die unteritalischen Griechenstädte Kroton und Locri, deren in Livius 24,1–3 berichtetes Schicksal im Übrigen überhaupt erst den erzählerischen Rahmen für die fragliche Pauschalaussage abgegeben hat. Ausführlich wird dort dargestellt, wie es in beiden Städten eben das Volk gewesen sei, das gegen den Widerstand der Adligen den Wechsel auf die Seite der Punier (und der mit diesen verbündeten Bruttier) durchgesetzt habe.

In Buch 23 nimmt LiviusLivius den Verlust der beiden Städte jedoch kurz vorweg (23,30,6–8), und hier heißt es, Kroton sei aus militärischer Schwäche an die KarthagerKarthager gefallen, während es in Locri das Volk gewesen sei, das vom Adel betrogen wurde, und nicht umgekehrt: „Et Locrenses descivere ad Bruttios Poenosque prodita multitudine a principibus“ („Auch die Locrer gingen zu den Bruttiern und den Puniern über, weil die [Volks]menge von den Adligen verraten wurde“). Normalerweise würde man in diesem Zusammenhang die umfangreichere Schilderung in Buch 24 der stark verkürzten Angabe in Buch 23 vorziehen. Gerade die Beobachtung aber, dass in die längere Fassung, gewissermaßen als Fazit, die Aussage 24,2,8 eingebettet wurde, spricht hingegen dafür, dass Livius oder seine Vorlage an dieser Stelle die Faktentreue zugunsten eines pointierten Bonmots vernachlässigt haben.

Alle übrigen aus LiviusLivius gewonnenen Informationen zum Verhalten der italischen Völkerschaften nach CannaeCannae stützen diese Annahme: Nirgends ist von Meinungsverschiedenheiten zwischen Adel und Volk die Rede; mehr noch, das Volk spielt zumeist keine erkennbare Rolle in den politischen Entscheidungsprozessen. Diese finden vielmehr fast ausschließlich innerhalb der Oberschicht statt. Es ist also der Adel, oder, im Konfliktfall, die jeweils stärkere Adelspartei, die bestimmt, ob man bei RomRom bleibt oder sich den Karthagern anschließt. Dies ist in CapuaCapua so (Livius 23,2–10), in EtrurienEtrurien (Livius 27,24; 29,36,10–12; 30,26,12) und auch in Süditalien (Compsa: Livius 23,1,1–3; Tarent: Livius 24,13,1–4; 25,8,3–10; Arpi: Livius 24,47,6; Salapia [Salpia]: Livius 26,38,6–14).

Die Parallelüberlieferung zu LiviusLivius – es handelt sich hauptsächlich um Abschnitte aus PolybiosPolybios, PlutarchPlutarch und Cassius Dio– enthält nichts, das diesen Quellenbefund wesentlich verändern würde: Die Aussage in Livius 24,2,8 ist als unzutreffend entlarvt!

Handelt es sich hierbei nun um einen ToposTopos, oder steckt eine anders geartete Darstellungsabsicht dahinter? Und: Hat LiviusLivius selbst hier die Tatsachen ‚frisiert‘, oder hat er die tendenziöse Beurteilung von einem seiner Gewährsmänner übernommen?

Diese Fragen sind nicht mehr mit letzter Gewissheit zu beantworten. Eine im weitesten Sinne ‚antidemokratische‘ Haltung, die man an dieser Stelle für eine stereotype Verzerrung verantwortlich machen könnte, ist sowohl in Griechenland als auch in RomRom gerade in den gebildeten Kreisen zu fast allen Zeiten weit verbreitet gewesen. Trotzdem kommt man vielleicht noch ein bisschen weiter. Ein Fingerzeig auf eine ganz konkrete Konfliktsituation, die hinter der Äußerung LiviusLivius 24,2,8 stehen könnte, liefert der genaue Wortlaut der Stelle, denn sie spricht von den optimates einerseits und (weniger charakteristisch) der plebs andererseits. Diese Begriffswahl lenkt freilich den Blick auf die berühmte ‚Krise der späten römischen Republik‘, auf die Turbulenzen der Gracchenzeit ab 133 v. Chr., und besonders auf die daraus erwachsene Frontstellung zwischen POPULARENPopularen und OPTIMATENOptimaten. Angesichts der Tatsache, dass sich Livius in seiner Darstellung des Zweiten Punischen Krieges nicht zuletzt auf – nicht mehr erhaltene – römische Historiker aus dieser Krisenzeit stützte, auf Schriftsteller wie Coelius AntipaterCoelius Antipater und Valerius AntiasValerius Antias (um 100 v. Chr.?), wird es wahrscheinlich, die Pauschalaussage auf einen dieser Autoren zurückzuführen und als tagespolitische optimatische Propaganda zu verstehen, die das ‚Volk‘ – und damit vor allem diejenigen, die vorgaben, die Sache des Volkes zu vertreten, mithin die Popularen – als ‚Vaterlandsverräter‘ diffamieren wollte.

Abb. 10

Rom und Italien in der Auseinandersetzung mit Karthago

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