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Die Liebenden in der Wirklichkeit

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Die Liebe auf den ersten Blick ist nicht nur ein literarisches Feuerwerk. Ein Argument a contrario liefern uns die Register von Jacques Fournier, dem Bischof von Pamiers, der 1320 in Montaillou, einem kleinen Dorf im Haute-Ariège, seine inquisitorischen Fähigkeiten an den Tag legt. »Ich habe Arnaud Belot geheiratet, der sehr arm war und der keine handwerkliche Qualifikation besaß; und dennoch war es im Vorfeld nicht einmal Liebe auf den ersten Blick!«, hat demnach Raymonde Argelliers ausgerufen – und es ist bemerkenswert, dass diese Äußerung von einer Frau stammt.

Am Ende des Mittelalters findet die Heirat nur selten gegen den Willen der Eheleute statt, ja nicht einmal gegen den Willen eines Partners. Natürlich willigen Eltern und Freunde in die Verbindung ein, aber die juristischen Dokumente erwähnen überhaupt kaum Opposition. Warum? Ist es die Anerkennung des familiären Wunsches oder die Übereinstimmung von Pflicht und Gefühlen? Die zweite Hypothese scheint die plausiblere zu sein. In der Tat wird jede Liebeserklärung wiederholt vorgebracht, nicht nur im Privaten, sondern auch in der Öffentlichkeit, was weit mehr verpflichtet.

Junge Männer und junge Mädchen aus den Dörfern treffen sich gewöhnlich bei den Festivitäten im Laufe des Jahres. Sie tanzen miteinander, vor allem den Reigen, den man bei Volksfesten, aber auch Festen der Adeligen aufführt und der von Refrainliedern begleitet wird. Die Tänzer bilden dabei eine Kette, einen Kreis oder häufiger einen Festzug und marschieren feierlich jeweils zu zweit oder zu dritt. Die Dorfbewohner lieben es besonders, um Bäume und Quellen herumzutanzen.

Am ersten Mai stecken die jungen Männer den Maien, das heißt, sie legen den Mädchen ihres Dorfes frische grüne Äste vor deren Türen: ein vor allen proklamiertes offenes Bekenntnis heimlich ausgetauschter Schwüre. Zwei Jugendliche aus Buchy, die noch unter der elterlichen Vormundschaft stehen, treffen dennoch am Vorabend des ersten Mai zwei junge Mädchen, »die sie wahrhaft liebten«. Um ihnen Freude zu machen, fragen sie sie am nächsten Tag, dem ersten Sonntag im Mai, ob jeder seiner Angebeteten einen Maiast bringen dürfe. Die Mädchen akzeptieren. So weiß am nächsten Morgen jeder, welches junge Mädchen einen Verehrer hat; es ist nicht notwendig, bis zur Verlobung zu warten. »Das ›Vergnügen‹ des Mädchens«, so schreibt Claude Gauvard, »arrangiert sich mit einem Ritual, das nicht zwangsläufig die Zartheit der Gefühle erstickt.«

Gefühle füreinander können, einmal erklärt, Streitigkeiten hervorrufen, die vor allem die jungen Leute gegeneinander aufbringen. Ein Verehrer, der das Band eines Mädchens, »das er wahrhaft liebt«, als Pfand erhalten hat, muss einem Rivalen gegenübertreten, der wütend darüber ist, dass er verdrängt wurde. Die Angelegenheit wird durch einen Messerstich auf der Straße beendet.

Die jungen Männer machen den Mädchen, die sie lieben, den Hof. Jean Guéret trifft Alisson bei einer Freundin. »Überrascht und entzückt von der Liebe«, von zärtlichen Worten und Gesten, versucht er sich zu erklären und »sagt ihr mit einem Lächeln und mit tiefer Stimme, dass er ihr gern die Haare kämmen würde«. Die Haare eines jungen Mädchens zu berühren, stellt einen gewagten Akt des Verliebtseins dar. Ebenso ist die Tatsache, dass Jeanne, die Tochter von Pierre Hemery, ihrem Verehrer Regnaul d’Azincourt einen Zipfel ihrer Flügelhaube gegeben hat, ein veritables Element der Erklärung für die von dem jungen Mann geplante Entführung. Um auf Jean zurückzukommen: Er fährt fort, mit Alisson und einem Star zu spielen. Schließlich setzt sich das Mädchen tatsächlich auf seinen Schoß. In einem Stall will Nicaise le Caron Margot seine Liebe gestehen, die gerade die Kälber tränkt. Weil er es nicht wagt zu sprechen, fasst er sie am Arm. Sie versteht sofort und sagt zu ihm: »Lass mich gehen, ich möchte es gerne.«

Entführung und Liebe sind nicht unvereinbar. Darüber hinaus wirkt sich die Tatsache, dass der Entführer seine Gefühle für das Mädchen geltend macht, günstig für ihn aus. So verspricht Méline, die Tochter von Gilet und Jorey, zu einem Rendezvous zu kommen: »Sie komme zu jeder Zeit, wenn sie dafür das Haus verlassen könnte, und werde mit ihm gehen, wohin er wolle.« Der Entführer empfängt sie zu Beginn des Abenteuers folgendermaßen: »Meine süße Freundin, seien Sie willkommen.«

Der Raub ist eher eine Angelegenheit der Aristokratie. Aber Jean und Jeanne sind einfache Landarbeiter. Beide »haben sich in heimlicher Übereinstimmung ein Hochzeitsversprechen gegeben, ohne Trauschein und ohne das Einverständnis von Jeannes Vater oder irgendeiner anderen Person«. So entführt Jean sie, denn er weiß, dass er keine Ehe mit einer anderen Frau als Jeanne eingehen kann, solange diese lebt und fürchten muss, dass ihr Vater sie rasch mit einem anderen verheiratet. Versprechen, Furcht, das geliebte Wesen zu verlieren, Raub und Vereinigung. Die Liebe scheint nicht unvereinbar zu sein mit der Ehe.

Die Liebe beschränkt sich also nicht auf außereheliche Beziehungen. Man muss vielmehr die »leidenschaftliche Liebe«, die sich außerhalb der vom Priester geweihten Vereinigung bewegt, von der »guten und wahren Liebe in Erwartung der Heirat« unterscheiden. Die beiden Formulierungen tauchen in unzähligen Wiederholungen auf. Die erste Form der Liebe versteckt sich, und die »süßen, heimlichen und schmeichelhaften Worte« haben allesamt das Ziel, das Mädchen davon zu überzeugen, seinem männlichen Partner Vergnügen zu bereiten. Die zweite Form führt zum Ehebund, der es dem Paar erlaubt, sich das ganze Leben lang zu lieben.

Irdische Lust

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