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Einleitung

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Nach den Allerweltsweisheiten zu urteilen stellt die Lust für die Menschen der Antike wie auch der Renaissance ein grundlegendes Element dar.

Während ihre Philosophen nach Erkenntnis streben, geben sich die Griechen einer fröhlichen Erotik hin, indem sie am »Gastmahl« teilnehmen. Die lateinische Antike, die an den Begriff otium (Muße, Freizeit) anknüpft, kennt die selbstvergessenen Wonnen oder die von Petronius beschriebenen Orgien.

Die Renaissance, eine Periode der individuellen Entfaltung, der Verherrlichung des Lebens und der Natur, huldigt Rabelais’ göttlicher Flasche (»la dive bouteille«) und zollt Ronsards Ermahnungen Beifall, das Leben zu genießen.

Im Gegensatz dazu erscheint das Mittelalter – auch wenn keine Epoche völlig von der Vergangenheit oder der Zukunft abgetrennt ist – als Periode der Finsternis, die jegliches Band zur Antike zerrissen hat, in der die Allgegenwart der Religion Lust und Liebe verdammt, in der Armut und Arbeit die entscheidenden Werte darstellen.

Ist unter diesen Umständen der Begriff der Lust überhaupt vorstellbar?

Hat sie, wenn sie schon nicht stattfindet oder ausgelebt wird, wenigstens einen Platz bei den Konzepten und Wünschen?

Wenn es jedoch die Lust ist – laut Wörterbuch ein »aus der Befriedigung, der Erfüllung eines Wunsches, dem Gefallen an etwas entstehendes angenehmes, freudiges Gefühl« –, wonach es jeden verlangt, warum sollte dann der Mensch des Mittelalters davon ausgenommen sein? Natürlich denkt man spontan an den sinnlichen und vor allem sexuellen Genuss, denn schließlich pflanzt sich auch der mittelalterliche Mensch fort.

Jenseits der Stereotype bleibt jedoch festzuhalten, dass die religiöse Allgegenwart das Phänomen des Mittelalters schlechthin ist und dass die gedankliche Verbindung der Sünde mit dem Fleisch seine große Neuheit darstellt.

Kann in diesem Kontext die Lust mehr sein als ein Phänomen, das unreflektiert erlebt wird, das heißt mehr als eine Veranlagung? Denn wenn die Lust jenseits des naturhaft Bedingten zu verorten ist, beinhaltet sie eine Reflexion über sich selbst, eine Billigung bestimmter Verhaltensweisen. Tatsächlich scheint die Fessel der Religion eine besondere, dem Mittelalter eigene Vorstellung von Lust hervorgebracht zu haben, die über den so wichtigen Aspekt des Körperlichen und dessen Sublimierung hinausgeht und Lust als Gabe des Geistes und des ästhetischen Empfindens in die Sphäre des Göttlichen erhebt.

Irdische Lust

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