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Was machen die Liebenden?

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Während die Werke der Literatur das von den Liebenden empfundene Vergnügen schildern, erscheint es kaum in den erzählenden Quellen. Dennoch wollen wir versuchen, uns der Wirklichkeit mithilfe der Aussage von Béatrice de Planissoles vor dem Inquisitor Jacques Fournier anzunähern.

Béatrice ist kein Neuling in Sachen Liebe, denn als zweimal verheiratete Frau, von deren Ehen im Weiteren allerdings nicht die Rede ist, hat sie im Laufe ihres Lebens mehr als einen Liebhaber gehabt.

Ein Jahr nach dem Tod ihres ersten Ehemanns, des Schlossherrn von Montaillou, versucht der Priester Pierre Clergue sie zu überreden, mit ihm zu schlafen. Er argumentiert, die Sünde sei dieselbe für eine Frau, ob sie nun mit ihrem Mann oder mit irgendeinem anderen, sogar einem Priester verkehre. Ja, es sei sogar eine größere Sünde mit ihrem Ehemann, denn die Gattin glaube dann, keinen Fehler zu begehen, während sie sich dessen mit andern Männern bewusst sei. »Er beeinflusste mich derart, dass ich mich eines Nachts bei mir hingab. Das wiederholte sich häufig, und er verkehrte dann eineinhalb Jahre bei mir, wobei er zwei- bis dreimal pro Woche nachts bei mir in meinem Haus in der Nähe des Schlosses von Montaillou verbrachte. Ich kam selbst zwei Nächte in sein Haus, damit er sich mit mir vereinigte. Einmal schlief er sogar an Weihnachten mit mir.«

Noch zu Lebzeiten ihres Mannes hatte Raimond Clergue alias Pathau sie eines Tages im Schloss mit Gewalt genommen. Und ein Jahr, nachdem sie Witwe geworden ist, hält er sie öffentlich aus. Was den Geistlichen Pierre Clergue indes nicht davon abhält, mit ihr schlafen zu wollen. Nachdem der Priester sie besessen hat, unterhält sie keine Beziehungen mehr mit Raymond, trotz einiger Versuche seinerseits.

Es folgt eine erneute Heirat mit Othon de Lagleize. Einige Wochen später kommt der Pfarrer von Montaillou zu ihr. Sie begeben sich beide in den Keller und verkehren miteinander, während eine Dienerin an der Tür Wache steht.

Diese Aufzeichnungen lassen vermuten, dass Béatrice in der Beziehung zu ihrem Liebhaber ihr Vergnügen findet. Ihr Einvernehmen wird auch in folgender Szene deutlich: »Er sagte mir dies und was dann bei mir folgen würde, manchmal an einem Fenster mit Blick auf die Straße, während ich ihm den Kopf kraulte, bisweilen am Feuer, bisweilen, wenn ich im Bett war.«

Über ihre Beziehung zu einem anderen Priester namens Barthélemy Amilhac, den sie während ihrer Probleme mit der Inquisition besucht, sagt Béatrice: »Ich glaubte bisweilen, dass Barthélemy, dieser Priester, mich gewissermaßen herausgeworfen hatte, denn ich liebte ihn zu sehr und ich wollte zu sehr mit ihm zusammen sein, obwohl meine Periode aufgehört hatte, als ich ihn kennenlernte.« Barthélemy erklärt seinerseits: »Ich habe mich schlecht benommen mit dieser Béatrice und in ihrem Haus, das nahe der Kirche war, und häufig geschlechtlich mit ihr verkehrt.«

Ebenso berichtet Alazaïs Guilhabert: »Ich habe Arnaud Vital sehr geliebt; ich habe mit ihm eine unanständige Vertrautheit unterhalten.« In beiden Fällen handelt es sich um außereheliche Verbindungen.

Und die Männer? Einige finden sexuelles Vergnügen in individuellen oder kollektiven Vergewaltigungen, wie in den Begnadigungsbriefen berichtet wird. Generell lautet die männliche Motivation, auch wenn nicht wirklich Gewalt angewendet wird: Vergnügen finden, häufig auf Kosten der Frau. 1419 versucht eine Gruppe von ungefähr 25-jährigen Knappen, körperlichen Umgang mit einer Kammerfrau namens Raouline zu haben. Da diese sieht, dass sie sie nicht in Ruhe lassen würden, akzeptiert sie, dass ein gewisser Copin in ihr Zimmer kommt, aber dort verweigert sie sich ihm. Angesichts dieses Misserfolgs erklärt ein anderer Gefährte, dass er versuchen werde, es besser zu machen. Er begibt sich zu Raouline, küsst sie und bittet sie, mit ihm zu schlafen; sie widersteht und gibt ihm zwei oder drei Ohrfeigen. »Und dann näherte sich der besagte Verehrer, getrieben von innerer Hitze, und bat sie, sie möge ihm Vergnügen bereiten und seinem Willen nachgeben, indem sie im Zimmer mit ihm muntere Spiele treiben und sich bemühen solle, ihm Befriedigung zu verschaffen und ihm zu Willen zu sein, aber sie wollte nichts davon wissen.«

Hier werden nur die Lust und die – nicht erlangte – Befriedigung des Mannes erwähnt.

Die sexuelle Lust taucht also in Zusammenhang mit Abenteuern außerhalb der Ehe auf. Im Gegensatz dazu ist es ungehörig, was auch immer von der Intimität eines Paares zu enthüllen. Kann man demnach zwischen ehelichen, der Zeugung von Nachwuchs gewidmeten Beziehungen und außerehelichen, von der Suche nach Lust motivierten Beziehungen unterscheiden?

Die Sexualität stellt ein fundamentales Element der Ehe dar. Mitte des 15. Jahrhunderts endet die Verbindung zwischen einem 19-jährigen Jüngling und einem 12- oder 13-jährigen Mädchen mit einem Misserfolg, weil sich keine emotionalen Bande zwischen ihnen entwickelten. »Jeanne empfand keinerlei natürliche Liebe für Etienne, ihren Gatten, weil er bisweilen verrückt war und weil sie nicht ›fleischlich verkehren‹ oder miteinander schlafen konnten.« Marion, die mit einem Liebhaber fortläuft, gibt zu, dass ihre Ehe auf sexuellem Gebiet gescheitert ist. Der Wortwechsel mit Pierre de Bonnières zeigt es deutlich: »Er fragt, wie sie es machten, und sie antwortet: ›Sehr schlecht, und schlechter, als es ihr jemals geschehen sei.‹ Daraufhin antwortet der Verehrer: ›Es hätte mir besser gefallen, wenn Sie mit mir gekommen wären, als ich Sie darum bat.‹« Gewiss, Pierre de Bonnières ist Lehrmeister und Chirurg. Aber auch eine Bauersfrau, die neben ihrem Mann sitzt, »fängt an, ihn mit den Handflächen auf die Wange zu schlagen, wobei sie ihn ermahnt, dass er dreimal pro Nacht die Ehe vollziehen solle«.

Wenn es um die Anklage der Vergewaltigung geht, wird bisweilen die von der Frau empfundene Lust zur Verteidigung angeführt. Im Fall von Perrotine des Sarteaux war es nicht nur ihr eigener Wunsch, sich mit einem Knappen auf und davon zu machen, sie wird auch, nachdem sie mit ihm eine Beziehung nach ihrem »Willen und Ermessen« gehabt hat, wütend, wenn er sich aus ihrer Gesellschaft entfernt. Ebenso erklärt Marguerite de Chavure, dass sie keinen anderen Mann wolle als ihren Entführer, »dass er der Mann war, den sie am meisten liebte und der ihr nackt lieber war« als derjenige, den ihr Onkel für sie bestimmt hatte.

Falls das legitime Paar miteinander Lust erlebt, so darf es nicht darüber sprechen. Für das zur Befriedigung der Männer bestimmte Freudenmädchen ist Diskretion dagegen nicht notwendig. Jean Lucas lernt eine junge Frau namens Jeannette Largier an, die er im ganzen Land herumführt, damit sie sich amüsiert. Drei Gefährten versuchen, sich ihrer zu bemächtigen, und einer von ihnen bittet sie, »mit ihm zu spielen«, und nimmt sie an der Hand, wobei er sie auffordert mitzukommen um sich mit ihm zu vergnügen. Als aber die betrunkene Ehefrau des Landmanns Jean Flambert es wagt, über die Liebe zu sprechen, schätzt das der Wirt, der bei dieser Szene zugegen ist, gar nicht. Er erklärt, eine ehrbare Frau dürfe sich so nicht im Haus eines anderen äußern.

Der Grund für eine derartige Diskretion ist eher in der sozialen als in der moralischen Ordnung zu suchen. Dennoch zögern die Frauen nicht, die körperliche Liebe zu zelebrieren, und Christine de Pisan, deren moralische Gesinnung über jeden Zweifel erhaben sein dürfte, schreibt anlässlich ihrer »ersten Nacht« in der Ehe:

Der Prinz, er macht mich fantasieren,

wenn er sagt, er ist ganz mein.

Vor Süße lässt er mich sterben,

und sicher mag mich der Sanftmütige gern.

Bisher haben wir vor allem die als natürlich angesehene Liebe betrachtet. Aber das Mittelalter beschäftigt sich auch mit abweichendem Verhalten.

1 Diese Seiten haben dem exzellenten Werk von Danielle Jacquart und Claude Thomasset, Sexualité et savoir médical au Moyen Âge (Sexualität und medizinisches Wissen im Mittelalter), viel zu verdanken, auf das ich für weiterführende Informationen verweise.

2 Es ist anzumerken, dass das Kamasutra, eine in Sanskrit von Vatsyayana verfasste Abhandlung von Liebesregeln, aus einer unserem Hochmittelalter vergleichbaren Epoche stammt. Das Werk ist trotz seines erotischen Charakters Teil der religiösen Literatur Indiens. Nachdem es vor allem die Liebkosungen und Finessen studiert hat, die dem sexuellen Akt vorausgehen oder ihn begleiten – die Umarmungen, die gegenseitige Liebe bezeugen, werden in vier Arten unterteilt: das Berühren, das Eindringen, das Reiben oder Einreiben, die Leidenschaft –, zeigt es die unterschiedlichen Verhaltens- und Handlungsmöglichkeiten während der Vereinigung. Ein Kapitel ist den Verhaltensweisen gewidmet, die die Wollust als einziges Ziel haben. Die Folgerung daraus lautet: »Der einfallsreiche Mensch vervielfacht die Arten der Vereinigung, indem er die Vierbeiner und Vögel imitiert; denn diese unterschiedlichen Arten, die gemäß den Gewohnheiten jedes Landes und dem Geschmack jeder Person praktiziert werden, erwecken die Liebe, die Freundschaft und den Respekt in den Frauen.« Wir sind weit entfernt von Burchard, dem Bischof von Worms, der zu Beginn des 11. Jahrhunderts die sexuelle Vereinigung mit Penetration von hinten »auf Art der Hunde« stigmatisiert hat.

Irdische Lust

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