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5. Die neue türkische Bedrohung

Im Juli 1683 waren die Türken ins Reich vorgedrungen und belagerten zum ersten Mal seit 1529 Wien.1 Unmittelbar bedroht waren diesmal offenbar auch Prag, Dresden und München. In diesem Angriff auf Leopolds Hauptstadt gipfelte eine Krise im Osten, die seit einigen Jahren am Köcheln war. Da der Friede von Eisenburg 1684 auslief, hatte Leopold 1681 über einen Sondergesandten in Istanbul um eine Verlängerung ersucht, was das Osmanische Reich jedoch ablehnte. Die Strategie des Großwesirs Kara Mustafa, des Schwagers von Ahmet Köprülü, stützte sich auf die Thököly-Rebellion in Ungarn, die 1682 ihren Höhepunkt erreichte, und stillschweigende Ermutigung aus Frankreich. Wie bei den Krisen des 16. Jahrhunderts gab es keine formelle französisch-türkische Allianz, aber Frankreich mischte durch die Duldung im Osten und die Ablenkung im Westen durch den Einmarsch in Luxemburg im September 1683 erheblich mit.

Österreich hatte die Bedrohung erwartet und 1681 sein Heer auf 60.000 Mann verdoppelt. Ab Januar 1683 wurden zudem diverse andere Streitkräfte mobilisiert. Der Reichstag beschloss ein Triplum, aber die Kreise stellten 1683 lediglich 10.000 Mann ab, viel weniger als ein Simplum.2 Der Rest der deutschen Streitkräfte von etwa 33.000 Mann bestand aus bayerischen und sächsischen Soldaten, die aufgrund separater bilateraler Abkommen im Namen der Kreise und teilweise als Hilfstruppen ausgehoben wurden, wofür jeder Herrscher bedeutende Konzessionen aushandelte. Auch Brandenburg wurde um Beistand gebeten, forderte jedoch für 12.000 Mann den unverschämten Preis von 600.000 Talern sowie eine Reihe territorialer Zugeständnisse und religiöser Garantien für die ungarischen Calvinisten, was eine Einigung unmöglich machte.3 Brandenburgs Widerspenstigkeit und Loyalität zu Frankreich veranlasste auch die Braunschweiger Herzöge in Hannover, Celle und Wolfenbüttel zur Passivität. Ein entscheidender Faktor in der wachsenden Krise war, dass der Papst ein Abkommen zwischen Leopold und seinem einstigen Feind Jan III. Sobieski über die Bereitstellung von 40.000 polnischen Soldaten vermittelte.

Am 12. September 1683 trafen die österreichischen, deutschen und polnischen Streitkräfte in Wien ein, wo die Verteidigungstruppen auf nur noch etwa 4.000 Mann geschrumpft waren.4 Das christliche Entsatzheer besiegte die türkische Armee am Kahlenberg, vertrieb sie aus dem Königlichen Ungarn und eroberte die türkisch besetzte Stadt Gran (Esztergom), den einstigen Sitz des katholischen Primas von Ungarn. Zunächst schielte Leopold dann erneut auf einen Waffenstillstand. Papst Innozenz XI. war nun jedoch entschlossen, ein für alle Mal mit den Türken fertig zu werden. Mit einem Zuschuss von 1,2 Millionen Gulden trug er wesentlich zur Bildung der Heiligen Liga von Österreich, Polen und Venedig im März 1684 bei.

Damit begann eine lange und letztlich erfolgreiche Reihe von Feldzügen von der Eroberung Budas 1686 bis zum Frieden von Karlowitz 1699. 1688 kontrollierte die Liga das gesamte türkische Ungarn und Siebenbürgen; im Oktober 1687 verzichteten die in Pressburg zusammengetretenen ungarisch-kroatischen Stände auf ihr Widerstandsrecht, erkannten die Habsburger als Erbmonarchen Ungarns an und ließen Leopolds Erben Joseph zu ihrem neuen König krönen.5

Der französische Angriff auf das Rheinland brachte den Krieg im Osten ins Stocken; Wilhelm III. und andere drängten Leopold zum Friedensschluss mit den Türken, um sich den Kämpfen im Westen widmen zu können.6 In den Jahren 1690–1696 kam es zu einigen schweren Rückschlägen, nicht zuletzt wegen der Unfähigkeit des Heerführers, des jungen Kurfürsten Friedrich August von Sachsen. Dessen Wahl zum polnischen König nach Sobieskis Tod ermöglichte die Ernennung Eugens von Savoyen, dem 1697 und 1698 entscheidende Siege gelangen, die Österreich eine führende Position in den bereits im Oktober 1688 unter englischer und niederländischer Vermittlung begonnenen Friedensgesprächen verschafften.

Während Polen und Venedig so gut wie leer ausgingen, konnte Österreich massive Gewinne verbuchen. Der Friede von Karlowitz besiegelte den österreichischen Sieg über die Türken, beendete die türkische Herrschaft in Ungarn und legte erstmals eine dauerhafte Grenze zwischen österreichischem und osmanischem Gebiet fest. Wien war keine Grenzstadt mehr, sondern lag nun inmitten eines gewaltig erweiterten Komplexes habsburgischer Länder. Im 18. Jahrhundert kam es zu weiteren Türkenkriegen – zuletzt 1788–1791 –, aber der Friede von 1699 markierte für beide Seiten das eigentliche Ende der Epoche der Religionskriege und der osmanischen Bestrebungen, das Christentum zu vernichten, die in den 1520er Jahren begonnen hatte und seither nur von begrenzten Waffenruhen unterbrochen worden war.7

Der Beitrag des Reichs zum Sieg der Habsburger ist schwer einzuschätzen.8 Die Bedeutung des letzten Türkenkriegs für das Reich ist noch nicht vollständig erfasst. Dies liegt zum Teil an der widersprüchlichen Quellenlage, aber auch an der tief verwurzelten Ansicht vieler deutscher und österreichischer Historiker, das Reich habe keine Rolle gespielt, Österreichs »Staatsbildungskriege« hätten es als Großmacht etabliert und somit aus dem Reich herausgehoben.9 Ohne Zweifel lag ein großer Teil der zentraleuropäischen Habsburgergebiete außerhalb des Reichs; zwischen 1686 und 1699 wurde die Möglichkeit diskutiert, Ungarn zum Reichsfürstentum zu machen, jedoch ohne Ergebnis.10 Gleichzeitig entstanden durch die Ausdehnung des österreichischen Herrschaftsbereichs neue strategische Probleme, die nichts mit dem Reich zu tun hatten. Andererseits übergeht, wer auch nur grob von den habsburgischen Territorien als »österreichischem Imperium« spricht, die Tatsache, dass der imperiale Titel vom Reich ausging, nicht von den Gebieten der Habsburger. In mancher Hinsicht lässt sich die Situation nach 1699 als Variante der Lage deuten, die seit den ersten Versuchen der Habsburger herrschte, einen Sonderstatus im Reich zu erlangen.

Wie die Habsburger, was den Kaisertitel anbelangte, vom Reich abhängig waren, sprechen starke Indizien dafür, dass sie auch auf die Beiträge des Reichs zu den Türkenkriegen angewiesen waren. Die Kämpfe gegen die Türken waren nicht allein eine Sache der Habsburger.11 Vielmehr handelte es sich um einen Krieg des Reichs, der nicht offiziell erklärt werden musste, weil die Verteidigung des Reichs und des Christentums als immerwährende Pflichten betrachtet wurden, insbesondere in Kombination. Die wichtigsten Befehlshaber waren Deutsche und Reichsfürsten: Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden, die Kurfürsten Max Emanuel von Bayern und Friedrich August von Sachsen. Auch Herzog Karl von Lothringen und Prinz Eugen von Savoyen waren Fürsten des Reichs, wenn auch im erweiterten Sinn und nicht qua Teilnahme am Reichstag. Deutsche Truppen spielten stets eine Schlüsselrolle.

Dass deutsche Fürsten diese Truppen oft im Rahmen bilateraler Abkommen zur Verfügung stellten, spricht für den Aufstieg der armierten Territorien nach 1648; ihre Vorfahren im 16. Jahrhundert hätten Soldaten aufgrund von Reichstagsbeschlüssen gemäß der Matrikel von 1521 entsandt. Leopold hatte es nun mit einer Reihe von Fürsten mit stehenden Heeren zu tun, die auf Finanzierungsmöglichkeiten aus waren. Für das sächsische Kontingent etwa bezahlte er 1683, indem er den Kurfürsten ermächtigte, die Beiträge der anderen Mitglieder des obersächsischen Kreises einzubehalten.12 Herzog Ernst August von Hannover gestattete er, 16.000 Taler monatlich von den unbewaffneten Territorien Niedersachsens und 50.000 Taler Erstzahlung von Österreich einzutreiben. Die Kreise Franken und Schwaben entsandten von 1683 bis 1688 jedes Jahr Soldaten, der Kreis Bayern ebenfalls, obwohl der bayerische Kurfürst im Rahmen eines bilateralen Vertrags separat eigene Truppen bereitstellte.13 Als sich Brandenburg 1686 wieder an die Seite des Reichs stellte, schickte es sofort 8.000 Mann an die ungarische Front und stellte von 1693 bis 1698 ein reguläres Kontingent.

Mit der Krise im Westen 1688 endete die reguläre Beteiligung der Kreise Bayern, Franken, Schwaben und Oberrhein an der Ostfront.14 Ihre Streitkräfte wurden nun dringend zur Verteidigung gegen Frankreich benötigt und blieben bis Kriegsende ununterbrochen im Einsatz. Die Truppen der deutschen Fürsten schrumpften zwischen 1689 und 1691 ebenfalls. Einige überstellten ihre Männer zunehmend direkt an die österreichische Armee, anstatt das finanzielle Risiko selbst zu tragen. Dennoch entsandten die deutschen Fürsten nach 1691 bis zum Ende der Auseinandersetzungen weiterhin 15.000 bis 24.000 Mann pro Jahr.

Zusätzlich leistete der Reichstag auch einen finanziellen Beitrag. Über diesen Aspekt des Krieges ist weitaus weniger bekannt. Zumindest 1686 gewährte er eine Summe von 2,76 Millionen Gulden, wovon offenbar zwei Drittel tatsächlich bezahlt wurden.15 Lokale Studien legen nahe, dass selbst kleine Territorien wie Lippe in Westfalen, das in keiner Weise direkt von den Türken bedroht war, sich in den 1680er Jahren redlich mühten, beträchtliche Geldsummen beizusteuern.16 Ihre Motivation war zumindest zum Teil die Hoffnung, die gewissenhafte Bezahlung von Reichssteuern werde ihnen Abgaben an benachbarte armierte Territorien ersparen, die schwerwiegende Folgen für ihre Unabhängigkeit nach sich ziehen konnten. Leopolds Unterhändler übten sogar Druck auf die Hansestädte Bremen, Hamburg und Lübeck aus, ihren Anteil zu leisten.17

Die Erfolge des Kaisers untermauerten die neue Bindung zwischen ihm und den Reichsständen, die sich nach 1679 entwickelte. Leopold selbst erschien nicht auf dem Schlachtfeld, aber Propagandabilder zeigten ihn dennoch in Triumphpose im Sattel vor wütenden Schlachtszenen.18 Die meisten deutschen Stände erachteten ihre Kriegsteilnahme als patriotische Pflicht. Die armierten Fürsten führten darüber oft harte Verhandlungen, aber keiner von ihnen schlug tatsächlich Profit aus seinem Engagement. Auch die unbewaffneten Stände suchten nach Wegen der Beteiligung, die ihnen zumindest nicht schadeten. Mochten manche, etwa der Stadtrat von Lübeck, auch jammern, sie könnten überhaupt keine Zahlungen leisten, so stritten doch selbst sie nicht ab, dass sie, soweit dies möglich war, das gemeinsame Anliegen von »Kaiser und Reich« unterstützen mussten. Der Krieg vereinte das Reich.

Anmerkungen

1 Hochedlinger, Wars, 153–173; Ingrao, Monarchy, 75–83; Wilson, German Armies, 68–86.

2 Hochedlinger, Wars, 156f.; Wilson, German Armies, 68ff.

3 Aretin, Altes Reich I, 303f.

4 Hochedlinger, Wars, 157–160.

5 Ingrao, Monarchy, 84.

6 Hochedlinger, Wars, 160–164.

7 Wrede, Reich, 185–210.

8 Hüttl, »Beitrag«, insb. 148ff. und 154–158, bietet eine ausgewogene Einschätzung; vgl. auch Hochedlinger, Wars, 92–95.

9 Klueting, Reich, 76; Duchhardt, Altes Reich, 20f., 67–70; Hochedlinger, Wars, 7–77; Winkelbauer, Ständefreiheit I, 514f.

10 Klueting, Reich, 37.

11 Lorenz, Türkenjahr, 312f.; Goloubeva, Glorification, 143–154. In diesem Sinn auch Schumann, Sonne.

12 Wilson, German Armies, 70.

13 Hartmann, Reichskreis, 427–432.

14 Wilson, German Armies, 72f.

15 Lorenz, Türkenjahr, 314.

16 Benecke, Society, 5–26; Gschließer, Reichshofrat, 297f.

17 Jörn, »Versuche«, 418–423; vgl. auch Jörn, »Steuerzahlung«, 340–355, 387ff.

18 Wrede, Reich, 161f.; vgl. ebd., 135–185, für eine detaillierte Analyse der Pamphletliteratur zu dem Konflikt; Bilder von Leopold in den Türkenkriegen finden sich bei Goloubeva, Glorification, 143–154.

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