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5. Kapitel

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Die Spannung stieg und es knisterte zwischen den Zeilen. Übermorgen würde sie zu ihm in die Anstalt fahren und einen lebendigen Rudi zum Anfassen bekommen. Wie aufregend! Isa war stolz die Angst vor dem Neuem überwunden zu haben. Keiner der Familie schöpfte Verdacht. So fiel es auch nicht auf, wenn Isa in bester Laune die alltäglichen Aufgaben vollbrachte. Den Kontakt mit Rudi wertete sie als echten Glücksfall.

Auf dem Weg zu Traudl hielt sie bei einer Konditorei an und kaufte eine bunte Palette an Kalorienbomben. Traudl wartete mit Kaffee auf sie. Ihre Freundin wohnte am anderen Ende der Stadt in einem komfortablen Einfamilienhaus. Dort verbrachte sie mit ihren drei Kindern die Zeit überwiegend alleine, denn ihr Mann war oft monatelang als Kapitän eines Kreuzfahrtschiffes unterwegs. Aber das störte Traudl kaum und kümmerte sich intensiv um die Kinder.

Isa hängte ihre Jacke an die Garderobe, während Traudl aus dem Wohn-Ess-Zimmer zu ihr sprach. Ein langer, weiß gefliester Flur führte in den großen Wohnraum. Zuvor konnte man in die Küche abzweigen. Als Isa gerade diesen Bereich passieren wollte, zuckte sie zusammen und blieb abrupt stehen. Ein dunkelgrauer, lebendiger Mopp kam aus der Küche gehoppelt und lief ihr direkt vor die Füße. Mit einem lauten „HUCH!“ blickte sie auf das unförmige Zotteltier.

„Was ist passiert?“, rief Traudl. Sie steckte ihren Kopf in den Flur und lachte sogleich: „Keine Angst! Der Hund tut nichts. Er heißt Hubertus und gehört meiner Mutter. Ich habe dir doch davon erzählt!“ Isa fasste sich schnell.

„Ich habe auch keine Angst! Er stand nur plötzlich im Weg und ehrlich gesagt, ist er nicht gleich als Hund erkennbar!“ Meine Güte, ist das Viech hässlich, dachte sie insgeheim. Ein müdes Hundeaugenpaar blickte sie gelangweilt an und der kleine Kerl blieb einfach mitten im Weg stehen.

„Hubertus komm! Jetzt komm, beweg dich!“, befahl Traudl mit lauter Stimme, aber der Hund wackelte nicht einmal mit dem Ohr. Isa stieg über ihn hinweg.

„Du, ich glaube, der weiß gar nicht, dass er Hubertus heißt! Welch ein großer Name für einen Wackeldackel!“ Isa schüttelte den Kopf. „Deine Zugehfrau ist sicherlich hocherfreut über die bewegliche Putzhilfe. Der fegt mit seinem Hängebauch alle Flusen zusammen. Da muss sie ihn nur noch kräftig ausschütteln und Hund und Boden sind sauber!“ Isa amüsierte sich über diese Vorstellung.

„Ja der arme Wuffi! Meiner Mutter ist sein Aussehen egal. Wasser und Shampoo hat der wohl noch nie gesehen. Aber Fressen ist seine große Leidenschaft und jede Art von Bewegung ist ihm ein Greul!“

„Na, ich denke da gibt es viele Menschen, die den gleichen Lebensstil pflegen!“ Beide lachten. Der runde Kaffeetisch war für vier Personen gedeckt.

„Wen hast du sonst noch eingeladen?“, wollte Isa wissen.

„Frau Breuer-Ochs und meine Heilpraktikerin!“

„Oh nein, die Breuer! Du weißt doch, dass ich die Frau mit ihrem großspurigem Gehabe nicht ausstehen kann!“ Isa war enttäuscht.

„Ach Isa, da stehst du doch locker drüber, oder?“ Und schon klingelte es an der Tür. Missmutig setzte sich Isa an den Tisch und bereitete sich auf eine angespannte Stunde vor. Während im Flur Traudl die anderen Damen empfing und alle laut durcheinander plapperten, musterte Isa die Rüschchen-Tischdecke. Unwillkürlich dachte sie an Traudls Hochzeitskleid. Eigentlich war Josefs Vorschlag gar nicht so übel. Dieser Gedanke erheiterte sie wieder.

Dann begrüßte sie die beiden anderen Gäste und überspielte ihre Antipathie. Frau Breuer-Ochs führte von Beginn an das Wort und unterhielt sich ausschließlich mit Traudl. Die Heilpraktikerin verdiente vermutlich zu wenig Geld, um nur ein Wort an sie zu verschwenden. Und Isa neidete sie den tollen Mann, oder hegte Missachtung, weil sie nur als medizinisch technische Assistentin gearbeitet hatte und keine Studierte war, so wie Frau Sozialpädagogin Breuer-Ochs.

Zum Glück erschienen kurze Zeit später Traudls Kinder. Alle drei stürmten in die Wohnung, als es zu regnen begann. Wie die Orgelpfeifen standen sie vor dem Kaffeetisch. Frau Breuer-Ochs verlor in diesem Moment alle Aufmerksamkeit, denn die Kinder posaunten ihre Forderungen aus.

„Mama, ich habe Durst!“, rief die Mittlere.

„Wo ist denn der Hubi!“, fragte der Älteste.

„Du meinst Berti!“, verbesserte ihn die Mittlere. Isa war die einzige, die den Kinderansturm begrüßte und nutzte die Gelegenheit zur Flucht: „Okay! Alle in die Küche mitkommen zum Kakaotrinken und Kuchenfuttern!“

„Jaaa...!“ Die Rasselbande stürzte in die Küche und drängte sich um die Anrichte. Nur die Kleinste packte den Hubertus, der die heruntergefallenen Kuchenkrümel aufschleckte. Ihre speckigen Kinderarme wurden von dem Schmuddelhund völlig überdeckt. Die Kleine schien überglücklich und verkündete laut: „Ich habe dich lieb, Tussi!“

Jetzt wurde Isa klar, warum der Hund auf seinen Namen nicht hörte. Wie sollte er auch, wenn jeder nach ihm anders rief. Hubi, Berti, Tussi!

Am liebsten aßen die Kinder Marmorkuchen. Sie stopften ihre Münder voll und Ruhe kehrte ein. Nach ein paar Minuten fragte Isa: „Seid ihr alle satt?“

„Hm, hm!“ Die Kinder nickten.

„Dann seid brav und geht in eure Zimmer. Die Mama hat noch Besuch!“

„Ist gut Tante Isar!“ Isa schmunzelte und schickte die Meute die Treppe hoch. Dann zog sie die Schiebetür zum Esszimmer auf.

„Traudl? Ich muss jetzt gehen! Brauchst nicht mit an die Tür. Ich weiß wo es lang geht. Vielen Dank! Und bis bald!“

„Servus Isar!“ Traudl verstand und zwinkerte ihr kurz zu.

Isa schritt den langen Flur zur Garderobe. Sie zog ihre Jacke über und sprang zum Wagen. Mit verschränkten Armen suchte sie Schutz vor dem garstigen Wind. Nur schnell weg! Irgendwas machte sie ruhelos. Ihre Gedanken weilten ständig bei Rudi. Was er wohl gerade tat? Wie schaut es in einem Gefängnis überhaupt aus? Wie sehen Kriminelle aus? Ist es dort gefährlich? Was würde geschehen, wenn Josef dahinter käme? Zu viele Fragen kreisten wie ein Karussell in ihrem Kopf. Aber noch herrschte eine Atmosphäre, die sie als Abenteuer empfand.

Samstag, sechs Uhr morgens, sprang der Radiowecker an. Isa lag bereits seit einer halben Stunde wach. Ihre innere Uhr weckte sie immer früher, wenn es um einen wichtigen Termin ging. Heute war es so weit, in ein paar Stunden würde sie Rudi treffen. Voller Enthusiasmus und Leichtigkeit hüpfte sie aus dem warmen Bett und gleich unter die Dusche.

Was ziehe ich nur an, überlegte sie unter den Wasserstrahlen. Sie entschied sich für eine weiße Bluse, eine enge Jeans gehalten von einem teuren Westerngürtel. Die schwarzen Stiefeletten passten prima zur schwarzen Nappalederjacke. Eine ganz normale Alltagstracht. Selbst mit 70 würde sie noch so rumlaufen. „Ja, das bin ich – keine Show!“ Isa drehte sich zufrieden vor dem Spiegel.

Mit schwarzer Mascara bog sie die langen Wimpern in Form. Wahnsinn – die dunkle Umrandung verlieh ihren Augen ein strahlend frisches Blau, fast schon stechend. Zum Schluss etwas Lipgloss und Rouge. Das sollte reichen. Isa lächelte ihr Ebenbild an.

Sie rechnete mit einer zweieinhalbstündigen Fahrt, Minimum. Von neun bis zwölf Uhr vormittags war die Besuchszeit strikt einzuhalten und hoffentlich nicht so viel los.

Mitten in einem kleinen Ort, unweit von Donauwörth, befand sich die Justizvollzugsanstalt. Eine gewaltige Abteikirche thronte neben dem Bösen. Vermutlich schlichen in dem ehemaligen Kloster vor einem Jahrhundert noch andächtige Mönche über die Fluren, wo heute überwiegend die Fäkaliensprache lauthals verkündet wurde. Ob diese heiligen Mauern gestürzte Seelen zur Umkehr bewegen können?

Jedes Fenster war mit dicken Metallstäben gesichert. Isa stand vor dem massiven Gebäude und blickte nach oben. Nirgends sah sie Vorhänge oder irgendeine Art von Fensterschmuck. Nicht Mal ein Mensch stand am Fenster und schaute hinaus. Alles wirkte tot. Doch auf den Straßen rings rum parkten viele Autos. Dennoch waren kaum Fußgänger unterwegs.

Isa entdeckte die Eingangspforte. An einer schweren Holztür musste sie eine altmodische, abgenutzte Klingel drücken, während zwei Kameras sie ins Visier nahmen. Ohne Gruß, nur mit einem Summen, wurde die Tür geöffnet.

Isa empfand die ersten Schritte in ein Gefängnis wahnsinnig aufregend. Am Empfang saß hinter einer Glasscheibe ein Beamter, der ihren Personalausweis und den Namen des Inhaftierten forderte. Freundlichkeit hatte hier nichts zu suchen. Nachdem er die Angaben kontrolliert hatte, nickte er. Zwei weitere Beamte im Hintergrund beobachteten jede ihrer Bewegungen. Für Tasche und Jacke war ein Schließfach vorgesehen. Man bat sie die Schuhe abzustreifen und durch einen Sicherheitskorridor, wie man sie an den Flughäfen vorfindet, zu schreiten. Dann durfte sie die Schuhe wieder anziehen. Nur den Schlüssel für das Schließfach und etwas Kleingeld für Getränke, erlaubte man ihr in den vorläufigen Besucherraum mitzunehmen. Dann öffnete ihr ein anderer Beamter ein schmiedeeisernes Tor.

„Links sind die Toiletten. Gegenüber ist der Warteraum!“, deutete er ihr. Isa dankte höflich. Sie kam sich wie auf einem fremden Planten vor, auf dem es kein Lachen und keine Wärme gab. Alles wirkte karg, nirgendwo hing ein Gemälde oder ein Kreuz. Die weißen Wände und der graue Steinboden spiegelten Nüchternheit und Kälte wider. Ihre Schritte hallten im Flur. Sie spürte die Blicke der Beamten an ihrem Rücken haften.

Die Toilette war mit dem Notwendigsten ausgestattet. Vermutlich störte niemand die schwarze gebrochene Klobrille. Aus dem Hahn floss nur kaltes Wasser und ein abgenutztes Handtuch hing daneben.

„Was hast du denn erwartet?“, fragte sie sich. „Du bist hier nicht in einem Hotel!“

In einem billigen Spiegel kontrollierte sie ihr Aussehen und die Frisur. Mit Erstaunen registrierte sie eine wachsende Nervosität in ihr aufsteigen. Isa schnaufte zweimal tief durch. Dann öffnete sie voller Spannung die Tür zum Wartezimmer. In einem langen, schmalen Raum, gefüllt mit stickiger Luft, saßen bereits Angehörige von Inhaftierten. Es waren überwiegend Frauen mit Kindern, die sich in einer fremden Sprache unterhielten. Isa sagte leise: „Grüß Gott!“, erhielt aber kein Echo.

Ganz hinten am Fenster war noch ein Tisch frei. Sie würde erst drankommen, wenn man „Besuch für Link“ ausrief. Diese Vorgehensweise hatte sie bei den anderen beobachtet, die vor ihr dran waren.

Nervosität füllten ihre Hände mit Schweiß. Sie kam sich wie ein Fremdkörper vor und musterte den verkratzten Holztisch. Es war ihr peinlich hier zu sitzen. Sie fühlte sich hilflos und blickte um sich. Ein alter grob gestrickter Pulli wurde von einem Garderobenhaken durchbohrt. Es schien, als würde er schon ewige Zeiten hier hängen und keiner scherte sich drum. Isa wusste nicht mehr wo sie hinsehen sollte, denn zum Lesen gab es nichts. Aus dem Fenster schauen ging auch nicht, denn das Milchglas hielt den Blick im Raum gefangen.

„Meine Güte, wird man als Besucher denn mit bestraft?“, gewann Isa den Eindruck. Die Zeit schlich nur so dahin. Es waren noch vier Personen vor ihr dran.

Endlich ertönte „Link“ aus dem Lautsprecher und Isas Herz machte einen Satz. Wie zu Befehl stand sie auf und steuerte die Holztür an. Das hatte sie bei den anderen Besuchern abgeschaut. Erst wenn die Tür summte drückte man dagegen und durfte eintreten. Isa atmete ganz flach als sie in eine andere Welt wechselte und diese besondere Schwelle überwand. Jetzt trat sie in einen warmen Raum, gefüllt mit Zigarettenrauch, der mit langen Neonröhren beleuchtet wurde. Einfache Holztische und Stühle standen im Zimmer verteilt. Ein Beamter zu ihrer Linken sagte: „Grüß Gott!“, und zeigte auf einen Mann. „Das ist ein bisschen wie die Sendung „Herzblatt“!“, dachte Isa unwillkürlich.

Und da stand er nun, der vertraute Brieffreund Rudi, der es fertig gebrachte hatte, sie in ein Gefängnis zu locken. Rudi lächelte sie an und schüttelte ihre Hand. Sein Händedruck war kräftig, die Haut eher zart. Wortlos zog er sie an einen freien Tisch, möglichst weit weg von dem Beamten, der auf einem kleinen Podest thronte und den Raum überwachte. Rudi war blass und musste an Gewicht zugelegt haben, seit der Aufnahme des Fotos.

„Du siehst müde aus!“ Was Besseres fiel Isa nicht ein.

„Ich konnte vor Aufregung kaum schlafen!“ Jetzt hörte sie zum ersten Mal seine Stimme. Sie hatte sie sich ganz anders vorgestellt. Überrascht vernahm sie einen fränkischen Dialekt in einer mittleren Tonlage. Der Duft von getragener Wäsche stieg in ihre Nase. Abwartend schaute sie ihn an. Auch er wirkte unsicher. „Hast du Geld für Getränke dabei?“

„Ja, was willst du denn?“

„Eine Cola und wenn´s reicht, ne Schachtel Benson and Hedges!“ Isa war froh etwas tun zu können und bahnte sich den Weg zum Automaten. Sie fühlte sich von allen Seiten beobachtet. Der Beamte in der Nähe schenkte ihr ein wenig Sicherheit zwischen all den Verbrechern und Mördern, die hier ganz friedlich an Tischen saßen und mit Angehörigen plauderten.

„Es ist mir peinlich, dass ich für unser erstes Treffen keinen schöneren Ort bieten kann! Aber das wird sich bald ändern.“

„Wie lange hast du noch zu sitzen?“

„Knapp zwei Jahre. Aber ich hoffe auf eine Verlegung in ein anderes Bundesland. Am besten nach Schleswig Holstein. Dort sind die Haftbedingungen viel lockerer, als hier in Bayern. Auch könnte ich mit einer vorzeitigen Entlassung rechnen!“ Rudis feine Finger lösten die Folien der goldenen Zigarettenschachtel. Mit einem langen Sog zündete er sich eine Zigarette an.

„Rauchst du?“ Er hielt ihr die Schachtel entgegen.

„Nein! Ich habe nie geraucht!“ Isa winkte ab.

„Du hast nicht zufällig eine Freundin in Norddeutschland wohnen, die sich als meine Scheinverlobte ausgeben könnte?“, fragte er seelenruhig.

„Wie?“ Isa hatte mit solch einer Frage nicht gerechnet, aber sie überlegte brav, ob überhaupt jemand aus ihrem Freundeskreis dort oben wohnte.

„Ne, tut mir leid! Da ist niemand.“

„Schade! Habe ich mir schon gedacht!“ Rudi sog an der Zigarette, bis die Glut den Filter erreichte. Dann drückte er die Kippe aus und legte seine warmen Hände über ihre, die sie wie zum Gebet auf dem Tisch gefaltet hielt. Die Berührung empfand sie als angenehm und hielt still.

„So, meine wunderschöne Bella!“, begann Rudi freundlich. „Vielen Dank, dass du heute gekommen bist! Ich fühle mich sehr wohl und vertraut in deiner Nähe!“ Er setzte sich zurück und ließ ihre Hände wieder frei.

„Ich verspreche dir, wenn ich mal draußen bin, lade ich dich zum Essen ein. Dann feiern wir diesen besonderen Tag nach. Ich kenne so unglaublich wunderschöne Ecken auf dieser Welt. Karibik, Thailand, Südafrika…hm! Werde ich dir alles zeigen, musst nur ein wenig Geduld haben! So eine tolle Frau wie du, muss ein Mann täglich verwöhnen!“ Isa lachte kurz auf.

„Verwöhnen?“

„Ja! Du bist völlig vernachlässigt!“ Dann begann Rudi über seine Ex-Frauen zu erzählen, die alle nichts taugten. Auch sein Elternhaus erhielt nur Minuspunkte, da die Eltern auf der Kohle säßen und ihn kaum unterstützten. Geschwister besaß er keine, und so würde er eines Tages ein Vermögen erben. Sein sauer verdientes Geld liege auf ausländischen Konten. Schließlich suche die Staatsanwaltschaft danach. Dann machte er ihr erneut Komplimente. Ihre Augen und feinen Gesichtszüge wären das Schönste was er je zu sehen bekam.

„Wenn ich dich als Frau hätte, würde ich dich mit nichts auf der Welt tauschen!“ Seine braunen Augen strahlten und Isa glaubte es tatsächlich. Er hatte sie mit seinem Charme völlig eingelullt. Als höflicher Mensch lauschte Isa seinen außergewöhnlichen Geschichten und kam gar nicht dazu, Fragen zu stellen. Doch plötzlich wurde aus heiterem Himmel Rudis Redefluss von einer lauten Stimme unterbrochen.

„Herr, Link! Es ist so weit!“ Isa blickte zuerst den Beamten auf dem Podest fragend an, dann Rudi.

„Liebste Bella! Du musst jetzt gehen. Wenn du unter der Woche kommen könntest, hätten wir mehr Zeit. Am Wochenende ist immer zu viel los. Da kriegen wir nicht einmal eine Stunde!“ Er griff wieder nach ihren Händen und nickte ihr zu. Isa war leicht verwirrt, das ging ihr alles viel zu schnell. Wie fremd gesteuert erhob sie sich. Rudi trat auf sie zu und er kam ihr so nahe, dass sie glaubte er wolle sie küssen. Aber Rudi setzte seinen Mund an ihr Ohr.

„Ich vermisse dich jetzt schon. Du hast mich total verzaubert! Bitte komme bald wieder!“, hauchte er, so dass es angenehm kitzelte.

Isa wusste nichts darauf zu erwidern. Wie ein hilfloses Kind ließ sie sich führen. Zum Abschied drückte Rudi sie fest an sich. Isa fühlte seinen massigen Körper und empfand es als eine aufrechte und herzliche Geste. Dann ließ er sie los und wie in Trance versetzt schritt sie aus dem Besucherraum. Im Vorzimmer waren jetzt alle Tische mit Wartenden besetzt. Hastig bahnte sie ihren Weg durch die Menschenansammlung.

Das Verlassen der Anstalt verlief wesentlich schneller, als das Betreten. Draußen vor der großen Eingangstür atmete sie tief die nasskalte Novemberluft ein. Nie zuvor hatte sie diese durchdringende feuchte Luft als Genuss empfunden. Aber jetzt schenkte sie ihr ein ganz intensives Freiheitsgefühl. Isa schloss für einen Moment die Augen, bevor sie sich auf den Weg machte.

Auf die zweieinhalbstündige Heimfahrt verspürte sie gar keine Lust. Sie war doch eben erst gekommen!

„Jetzt reiß dich zusammen!“, tadelte sie sich selbst und startete den Motor. Es kostete sie viel Disziplin die nötige Aufmerksamkeit für den Verkehr aufzubringen. Ihre Gedanken hafteten bei Rudi, seinen Worten, seinen Berührungen, seinem Geruch. Solch einem außergewöhnlichen Mann, dazu an einem so hässlichen Ort, war sie nie begegnet. Oder war es nur die ungewöhnliche Situation, die alles besonders machte? Sie wusste es nicht. Aber eines musste sie sich eingestehen. Rudi gefiel ihr und es war ihr unmöglich, mit dem Verstand Gefühle zu ordnen. Denn Gefühle lassen sich schlecht zügeln. Aber manchmal reisen sie wie eine Lawine alles mit sich, und das kann lebensgefährlich werden!

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