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4. Kapitel

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„Mutti, holst du uns heute von der Voltigierstunde ab?“, fragte die kleine Eva beim Frühstück.

„Na selbstverständlich!“, erwiderte Isa und strich der Tochter sanft über die dunklen Haare, die zu einem Pferdeschwanz gebunden waren.

„Auf Kinder, wir müssen los! Da klebt noch Marmelade am Mund!“, ermahnte sie die beiden.

Der Tagesplan stand fest. Kinder zur Schule fahren, einkaufen, auf die Post gehen, kochen, Essen in die Praxis fahren, Kinder wieder abholen, Haushalt auf Vordermann bringen. Das Allerwichtigste war jedoch, den Brief an Rudi abzuschicken. Sie versteckte sorgfältig die geheime Post in ihrer Handtasche. Niemand durfte davon Wind bekommen. Schon gar nicht die Kinder, die bei erstbester Gelegenheit direkte Fragen stellen würden.

Bereits drei Tage später fand sie in ihrem Postschließfach ein dickes Kuvert. Die Fülle des ungeöffneten Briefumschlags ließ die Spannung in die Höhe schießen. Das Öffnen des Kuverts versetzte Isa kurz in ihre Kindheit zurück, wenn unter dem Weihnachtsbaum die Geschenke lagen und der Inhalt die Phantasie ankurbelte. Zuhause machte sie es sich auf dem Sofa bequem, öffnete das Kuvert und faltete das Briefpapier glatt. Der Brief war mit einer akzeptablen Handschrift geschrieben und ein frischer Herrenduft stieg von dem Bündel Papier in ihre empfindliche Nase.

„Hm, ein guter Duft!“, stellte sie fest.

Der unbekannte Rudi ließ ordentlich die Hosen runter und erschütterte Isa gleichermaßen mit abschreckenden, aber auch anziehenden Worten. In einfacher Ausdrucksweise, begleitet von einigen Rechtschreibfehlern, gestand Rudi auf sechs DIN A 4 Seiten, dass er seit zwei Jahren im Gefängnis saß, wegen Steuerbetrugs. Sein sehr bewegtes Leben hat bislang drei Kinder von drei Frauen gezeugt. Als Börsenmakler machte er millionenfachen Gewinn und erlaubte ihm, jede Art von Luxus auszukosten. Nur sein letzter Deal war nicht ganz astrein und eine undichte Stelle hatte ihn verpfiffen, deshalb sitzt er nun. Sehr früh hat er sein gutbürgerliches Elternhaus verlassen und er wüsste, was es heißt mit gar nichts da zustehen. Rudi meinte, er kenne die Menschen besser als irgendein anderer und habe durch seine Berg- und Talfahrten im Leben die ungewöhnlichsten Situationen gemeistert. Es gäbe nichts, worüber er sich noch wundern könnte. Das einzig Positive an seiner Inhaftierung sei, dass sich jetzt die wahren Freunde zeigten. Er fühle sich jedoch recht einsam und wünscht den Kontakt mit einer ehrlichen Frau. Denn alle hätten ihn nur wegen seines vielen Geldes geliebt. Für ihn zählt einzig der Kern eines Menschen, alles andere sei völlig unwichtig. Deshalb habe er die Anzeige ohne konkrete Vorstellungen formuliert.

Dann ging er auf ihre Zeilen ein. Vorsichtig beschrieb er ihr Persönlichkeitsprofil. Das imponierte Isa, wenn auch mit einer Gänsehaut, denn er traf einiges ins Schwarze. Sie sei ein ängstlicher, kritischer Typ, aber sehr intelligent. Deshalb verheimliche sie noch vieles, denn wo kommen die Töchter her? Lebst Du alleine? Wenn nicht, warum schreibst Du mir? Von was lebst Du?

Plötzlich attackierte er sie mit direkten Fragen. Sanft beendete er den Brief mit der Gewissheit, dass er ihr in allen Lebenslagen helfen könne und sie ganz offen mit ihm kommunizieren solle. Es würde ihm unsagbar Leidtun, wenn sie aufgrund der Umstände den Kontakt abbräche. Er versuche ein geeignetes Foto von sich das nächste Mal beizufügen. Sie möge ihm bitte auch eines schicken, obwohl er es ahne, dass sie eine Schönheit sei. Herzlichst Dein Rudi! P.S.: Frage mich, was immer Du wissen willst!

Mit so was hatte Isa nicht gerechnet und ließ das Bündel von duftendem Papier auf ihren Schoß sinken. Sie wusste im Moment nicht was sie davon halten sollte. Sie las den Brief noch einmal. Seine Worte klangen höflich und auskunftsfreudig, das gefiel ihr. Ganz offensichtlich bemühte er sich um sie. Ihr wurde jetzt erst bewusst, wie sehr sie unter mangelnder Anerkennung litt, und seit ewiger Zeit von niemand verwöhnt wurde. Dieser Unbekannte würde jede ihrer Entscheidung akzeptieren. Er schenkte ihr Respekt und machte ihn noch sympathischer.

„ABER ER SITZT IM GEFÄNGNIS! Er ist ein VERBRECHER, ein BETRÜGER!“, schallte eine Stimme in ihrem Kopf.

„Ist er deshalb ein schlechterer Mensch, als die, die frei herumlaufen? Mein Mann betrügt mich auch, wenn auch anders!“

„Aber Betrug bleibt Betrug!“, konterte die drohende Stimme. Isa stopfte den Brief ins Kuvert zurück und erhob sich.

„Egal, ich muss mich ja nicht gleich entscheiden!“, versuchte sie sich zu beruhigen. Ein Blick auf die Uhr, riss sie aus dem inneren Dialog. „Die Kinder!“

Mit ihrem Mercedes M-Klasse Wagen rauschte sie durch die idyllische Auenlandschaft, wo Ex-Bundespräsident von Weizäcker und Industrielle wie Flick residieren. Die schmale Landstraße führte sie überwiegend an grasenden Kühen vorbei. Das friedliche Bild wurde umrahmt von der Benediktenwand und weit in der Ferne ragten ein paar Gipfel des Karwendels in den blauen Himmel. Die bayrischen Voralpen mit ihren top gepflegten Bauernhöfen und geranienbehangenen Balkonen registrierte sie gar nicht. Stattdessen tauchten vor Isas innerem Auge Szenen von Spielfilmen mit Betrügern auf. Egal welcher ihr auch einfiel, es endete nie mit einem Happy End. Ihr Unterbewusstsein suchte nach einer Lösung. Sie riss sich zusammen und konzentrierte sich auf das Überholmanöver eines vor sich herträumenden Radfahrers.

Als Isa in den exklusiven Reiterhof einfuhr, zogen von Norden kommend dunkle Wolken in den Isarwinkel ein. In München regnete es bestimmt. Bald würde es auch hier runter prasseln.

„Von Norden kommt halt nichts Gutes!“, dachte Isa und schlug die Autotür zu.

Einige junge Pferde tollten auf einer nahe gelegenen Weide und wieherten vor Übermut. Die nahende Schlechtwetterfront schien sie nicht zu stören. Isa schritt durch die Stallgassen. Den Geruch von Schweiß, Mist und Heu mochte sie gerne. Im Zickzack wich sie den Pferdeäpfeln aus. Es herrschte reger Betrieb. Durch die Metallstäbe der einzelnen Boxen sah sie Mädchen Pferde striegeln oder Mist aufsammeln. Mit unerschütterlichem Selbstbewusstsein und kräftiger Stimme, gab eine kleine Göre ihrem großen Pferd Anweisungen, endlich den Huf zu heben. Isa schmunzelte.

Ihre Töchter fand sie im nächsten Stall, als die beiden gerade einen verschwitzten Haflinger mit Stroh trockenrieben.

„Können wir los?“, begrüßte sie sie.

„Hallo, Mami! Du kommst zu spät. Ich bin heute das erste Mal auf dem Max gestanden und der ist ganz schnell getrabt. Und Evi ist runter gefallen!“, prahlte Nadine.

„Du Petze! Dafür durfte ich heute auf dem Quadsch mitfahren!“

„Auf dem was?“ Isa kannte Evas eigenen Wortschatz, aus dem man nicht gleich schlau wurde, aber dieser Ausdruck war ihr neu.

„Sie meint das Quad von dem Stalljungen!“, erklärte Nadine abfällig.

„Aber dich hat er nicht mitgenommen! Bäh!“ Bevor die Streiterei losging, scheuchte Isa die Kinder aus dem Stall.

„Versprochen! Das nächste Mal schau ich euch beiden beim Voltigieren und Quadfahren zu, okay?“

Dann rannten die drei über den gepflasterten Hof zum Auto. Es regnete so stark, dass in kurzer Zeit die Haare in dicken Strähnen auf Kopf und Stirn klebten. Isa startete den Motor. Sie stutze, ein süßlich beißender Geruch stieg ihr in die Nase.

„Sagt mal, was habt ihr da in den Tüten? Das ist doch nicht etwa Pferdemist?“

„Ähm, schon...! Wir brauchen es für den Biounterricht... morgen in der Schule!“ Diese Ausrede konnte auch nur von Nadine stammen, die Gerissene, dachte Isa und musterte ihre Tochter im Rückspiegel. Nadine schubste sachte ihre Schwester, was Isa nicht entging. Irgendwas heckten die beiden aus. Aber sie bohrte nicht weiter nach. Ihre Töchter sollen auch ein Geheimnis bewahren dürfen.

„So so, für den Biounterricht! Wollt ihr etwa Würmer züchten? Na ja, egal! Zuhause geht ihr gleich in die Badewanne, abgemacht?“

„Ja!“ Die Zwillinge schienen zufrieden.

Wieder verging ein nichts sagender Tag, und Isa saß wie so oft alleine zu hause. Das einzige Highlight machte tatsächlich Rudis Post aus. Isa antwortete ihm sogleich und legte die Karten offen auf den Tisch.

Ohne viel Umschweife berichtete Isa über ihre unglückliche Ehe. Sie gestand, was sie gerade tue, ihrer Familie gegenüber nicht fair sei. Aber sie wünsche auch keine Affäre oder dergleichen! Sie wolle lediglich eine nette Bekanntschaft für gemeinsame Unternehmungen und zum Reden haben. Aber das sei ja leider mit ihm nicht möglich.

Isa blickte auf und überdachte erneut die ganze Situation.

„Eigentlich ist diese Aktion zum Scheitern verurteilt!“ Während dem Schreiben hatte sich Frust aufgebaut. Isa schaute am Bildschirm vorbei auf die beiden Fotographien, gehalten in silbernen Jugendstilrahmen. Während der Heilewelt Ehe hatten Josef und Isa diese Prachtstücke auf einem Trödelmarkt in Wien entdeckt. Das eine Foto zeigte die beiden auf dem Gipfel des Ayers Rock. Das andere ihre Töchter auf einem Oberländer Kaltblut sitzend.

„Oh Gott, was tue ich da eigentlich?“, überkam es sie.

„Meine Familie! Sie ist doch das Allerwichtigste!“ Isa rieb sich die brennenden Augen. Plötzlich wollte sie diesen Brief und ihre Missetat nur noch schnell beenden.

Mit den Worten, dass dies alles keinen Sinn mache, und sie ihm viel Glück für die Zukunft wünsche, glaubte Isa einen Schlussstrich gezogen zu haben. Ihr Anstand veranlasste sie sich offiziell zu verabschieden. Als sie den Brief einwarf, fühlte sie sich erleichtert.

Erst zehn Tage später, als ihr einfiel das Postfach zu kündigen, schaute sie zuvor hinein. Wie elektrisiert entnahm sie dessen Inhalt. Da lagen tatsächlich zwei dicke Umschläge.

„Dieser Rudi scheint viel zu sagen zu haben!“ Sie hätte am besten die Post ungeöffnet wegwerfen sollen. Aber die verdammte Neugierde hinderte sie daran. Sie musste einfach wissen, was den dicken Inhalt ausmachte.

Es war ein außergewöhnlich warmer Oktobernachmittag. Isa wollte nach den Besorgungen nicht gleich nachhause fahren und parkte das Auto am Fuße des Braunecks. Der milde Wind zog sie hinaus in die Natur auf einen langen Wiesenweg. In ihrer Tasche führte sie die Post von Rudi mit. Auf der erstbesten Bank setzte sie sich nieder und öffnete das dicke Kuvert. Das Bündel Papier war erneut mit einem frischen Herrenduft parfümiert. Gespannt las sie die Zeilen.

Rudolf machte ihr klar, dass er exakt der richtige Partner für ihre Bedürfnisse wäre. Er habe viel Zeit und würde sich liebend gerne um sie kümmern. Natürlich käme eine Liebschaft nicht in Frage – das sei auch nicht seine Absicht! Ihre unglückliche Situation könne er aufgrund seiner Lebenserfahrungen bestens nachempfinden, und sie solle doch bitte die Chance nutzen und erkennen, dass er, aus der Sicht eines Mannes viele gute Ratschläge parat habe. Alles was sie tun muss ist statt reden, eben schreiben. Ob das denn so schlimm wäre? Er wolle alles über sie erfahren, und überaus wichtig sei die Beschreibung ihres Mannes. Wie er ausschaut, womit er sein Geld verdient, welche Vorlieben, Hobbys er tätigt und vor allem auf welchen Frauentyp er stehe. Ihn interessiere einfach alles, sie sei ein ganz besonderer Mensch!

Wie kann man Dich nur so vernachlässigen? Bitte, bitte, brich den Kontakt nicht ab!, waren seine letzten Worte in dem seitenlangen Brief.

Unverzüglich öffnete Isa das zweite Kuvert. Diesen hatte er ein paar Tage später geschrieben. Ihm sei noch eingefallen, dass sie ihn auch gerne mal besuchen könne. Hierfür habe er ein Antragsformular bereits ausgefüllt, das sie nur noch ergänzen und unterschreiben müsste. Am 30. November hat er Geburtstag. Dieser würde auf einen Samstag fallen. Es wäre ganz grandios, wenn Du mich an meinem Geburtstag besuchen kämst, bat er. Überleg es dir! Heute habe ich Dir ein Foto beigelegt, damit du weißt, was dich erwartet. Wie gefalle ich Dir? Bitte ganz ehrlich antworten!!! Ach ja, es wäre auch super nett von Dir, wenn du mir ein paar Briefmarken schicken könntest. Ich habe keine mehr und darf erst wieder im November welche kaufen! So, auf Deinen nächsten Brief bin ich ganz besonders gespannt! Bitte, brich den Kontakt nicht ab und lass uns gute Freunde werden! Dein Rudi.

Isa griff noch mal in das Kuvert und zog ein Foto heraus. Seine Portraitaufnahme gefiel ihr auf Anhieb gut. Amüsiert studierte sie seine Gesichtszüge. Da steckte ein Schalk hinter dem Grinsen. Er erinnerte sie an die Sendung mit dem Monaco-Franze. Ganz der gleiche Typ. Nur die Nase war kleiner, aber sonst besaß Rudi eine verblüffende Ähnlichkeit mit Helmut Fischer. In diesem Moment erlag Isa dem Charme des unbekannten Rudis, der so erweichend schreiben konnte. Ihr Entschluss den Kontakt einzustellen, war wie lästiges Laub weggeblasen.

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