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2. Teil 1. Kapitel

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14 Monate zuvor:

„Isa!“ Dr. Josef Achentaler stand hilflos vor dem offenen Kleiderschrank, in dem sich die grauen und blauen Anzüge akkurat aneinander reihten. Er suchte eine bestimmte Krawatte, und weil seine Gattin nicht reagierte, rief er gereizt: „ISAAA! Wo ist denn diese Krawatte? Jetzt hilf mir bitte!“

Währenddessen schaltete Isa die Kochplatte runter und stöhnte leise.

„Isa, wo ist denn...?“, äffte sie ihn nach. „Nie findet der Mann seinen Kram!“ Mit schnellen Schritten verließ sie die Küche und steuerte auf die Ankleide zu.

„Welche suchst du denn?“, fragte sie genervt.

„Na die mit der Ente! Du weißt schon, meine Lieblingskrawatte! Mensch, ich habe es eilig und kann mich damit nicht lange aufhalten!“

„Du meinst sicherlich die Krawatte mit dem Erpel!“

„Ja, jetzt werde nicht kleinlich!“

„Als Jäger solltest du den kleinen Unterschied kennen!“ Josef bewahrte Contenance und erwiderte nichts darauf. Isa griff in das Bündel von Krawatten, die allesamt auf einem Bügel herabhingen und zog die besagte Entenkrawatte hervor.

„Also, ich versteh das nicht, warum du nie deine Sachen im Kleiderschrank findest! Wie kann das denn sei? Wenn du im Bauch einer Frau operierst, schreist du doch auch nicht herum und fragst, Schwester Gisela, wo sind denn die Eierstöcke?“ Isa war nach Streit zu mute. Josef atmete tief durch, so wie er es immer tat, wenn er eine höchst schwierige Patientin zu behandeln hatte.

„Vielen Dank! Spar dir deine giftigen Bemerkungen, das macht nur hässlich!“

„Mpf!“, entwich es Isa. Die Bemerkung traf sie wie ein Faustschlag in den Magen. Es war mal wieder typisch. Der stets über allem erhabene Doktor ließ seine Gattin am offenen Kleiderschrank stehen und verschwand im Bad. Einst schätzte Isa ihn so sehr wegen seiner unerschütterlichen Souveränität, die aber nach elf Jahren Ehe in Verachtung umgeschlagen war.

Sie wischte sich die schweißigen Hände an der Kochschürze ab und eilte zurück in die Küche. Dort drehte sie die Kochplatte wieder hoch. Auch in ihr brodelte es.

„Immer muss ich alles liegen und stehen lassen, wenn der Herr ruft! Immer stehe ich für alle in Rufbereitschaft!“, protestierte sie im Stillen. Aber nur im Stillen, wie so oft.

Josef machte sich nicht die Mühe in die Küche zu gehen, um sich zu verabschieden. Gedämpft hörte sie ihn rufen: „Tschüß, ich fahr jetzt! Bis Montag!“, und die Haustür fiel mit einem Rums ins Schloss. Gleichzeitig klappten Isas Augen für einen Moment zu. Erleichtert und gleich darauf tief verletzt, registrierte sie die Ruhe in der extravagant ausgestatteten Villa.

Josef gab vor, eine hochkarätige Veranstaltung für Gynäkologen in Nürnberg über das Wochenende besuchen zu wollen. Ganz gewiss fand diese besondere Veranstaltung auch mit dem Austausch von Körpersäften in einem Swingerclub statt. Diese Vorstellung schmerzte sie jedes Mal, denn sie wusste von seinen Rudelbums Vorlieben. Schon seit Jahren war der Sex aus dem Schlafzimmer gezogen und hielt sich hartnäckig versteckt. Begonnen hatte dies alles nach der Geburt ihrer Zwillingstöchter. Natürlich entband damals Josef seine geliebte Isa, als junger Oberarzt der gynäkologischen Abteilung. Ihr Glück schien unantastbar, doch dann kam alles anders.

Sie machte sich viele Gedanken, wie es zu dem Verlust des Liebeslebens hatte kommen können. Aber sie wusste keinen Rat und holte sich auch keinen. Manchmal glaubte sie, dass genau ihre Entbindung ihn traumatisiert habe, und deshalb keine Lust mehr für sie empfand. So was hatte sie schon des Öfteren in Fachzeitschriften gelesen.

Eigentlich unverständlich, denn als sie sich kennen lernten, damals in der Asklepios-Stadtklinik, entflammte die Begierde bereits beim ersten Blickkontakt. Wenn sie als medizinisch technische Assistentin Nachtdienst hatte, erschien Dr. Josef Achentaler regelmäßig mit auffallend vielen Blutproben im Labor. Seine Liebesgeständnisse zwischen Urinbechern und summenden Zentrifugen, hütete sie wie einen Schatz in ihrem Gedächtnis. Es war die schönste Zeit ihres Lebens. Und nun saß sie das Wochenende mal wieder alleine zuhause. Ihre neunjährigen Töchter Eva und Nadine befanden sich auch auf einer Klassenfahrt.

Die warme Herbstsonne strahlte durch die gläserne Schiebetür direkt auf den antiken Esstisch. Isa stellte den Gemüseauflauf auf einen Topfuntersetzer und löffelte sich eine Portion auf den Teller. Das sanfte Licht und der Duft der Kräuter erhellten ein wenig ihr Gemüt. Mit einem vollmundigen Spätburgunder spülte Isa schließlich die Speisereste hinunter und griff nach der Süddeutschen Zeitung, die eigentlich Josefs Lektüre ausmachte.

Sie versuchte sich auf einen Artikel zu konzentrieren, der schilderte, warum die Deutschen immer weniger, älter und dicker werden. Aber die langen und komplizierten Sätze stahlen ihr die Freude am Weiterlesen. Desinteressiert blätterte sie den restlichen Wust an Papier durch. Das einzig nützliche schien das Fernsehprogramm zu sein, und legte es auf die Seite. Bei den Kontaktanzeigen machte sie Halt.

„Solche arme Menschen! Wie sie sich anbieten!“ Isa breitete den Bogen Papier aus und beugte sich drüber. Das wollte sie sich genauer ansehen und mit einem Schmunzeln las Isa die Werbetexte beider Geschlechter.

„Ist es Not oder Spaß, was die Leute dazu bewegt auf diese Art Kontakt zu finden?“, fragte sie sich ernsthaft. „Wahrscheinlich beides!“ Die Männer schienen besonders anspruchsvoll. Ihre Partnerin sollte neben körperlicher Vollendung auch intelligent, beruflich eigenständig, kunst- und politikinteressiert sein, sowohl den Kochlöffel als auch den Golfschläger perfekt schwingen können und stets gut gelaunt sein. Als Lohn gäbe es dann einen Akademiker, der einfach nur vielseitig interessiert ist und mit einem Zweitwohnsitz in Südeuropa lockt.

„Was wollen die eigentlich? Kein Wunder, dass sie keine Frau im wirklichen Leben finden!“ Isa schüttelte den Kopf und blieb bei einer Kontaktanzeige hängen, die sich von allen anderen abhob.

Da suchte ein Mann Anfang 40, 190 cm groß, sportlich muskulös, mehrsprachig, studiert und sensibel, eine Frau deren Alter, Beruf und Herkunft völlig unbedeutend waren! Jeder Mann hatte eine ganz genaue Vorstellung von seiner Kontaktanzeigen-Traumfrau, nur dieser nicht! Außerdem investierte er zwei Spalten mit wenig Text für seine Herzensdame. Isa fand viel Gefallen an den Kurzgeschichten, wobei die geleerte Rotweinflasche ihres dazu tat.

Plötzlich drückte die Harnblase. Mit kleinen seitlichen Ausfallschritten suchte sie das Gäste-WC auf. Ausgerechnet hier zog sie nun Bilanz ihres bisherigen Lebens. Isa stützte die Ellenbogen auf die nackten Knie und legte den Kopf in die offenen Handflächen.

„Eigentlich bin ich ziemlich einsam – opfere mich für den Haushalt und meine Familie auf! Und die haben alle was Besseres zu tun. Ach, macht doch was ihr wollt!“ Sie winkte ab und lallte schon ein wenig. Es entwich ihr ein kleiner Rülpser und sie überlegte weiter nach. Selbst den Kontakt mit den Tennisdamen hatte sie eingestellt, denn dieses ewige Society-Geschwätz nach dem Spiel ging ihr fürchterlich auf die Nerven. Natürlich auch die Streitereien, ob der Ball nun im Aus war oder nicht.

„Es musch was passieren! ...neue Leute kennen lernen!“, nuschelte sie vor sich hin und riss zu viel Toilettenpapier ab.

Da fasste Isa einen Entschluss. Wer außergewöhnlichen Leuten begegnen will, muss außergewöhnliche Wege gehen! Dieser Mann, der keine Ansprüche stellte, dem wollte sie antworten.

„Jawohl!“ Entschlossen drückte sie die Spültaste und ging erleichtert in die Küche zurück. Aus einem Haken löste sie eine Schere und schwankte zum Esstisch. Mit großer Sorgfalt schnitt Isa die Anzeige aus. Den restlichen Bogen Zeitungspapier steckte sie sogleich in die grüne Tonne. Josef würde diese Seite sowieso nicht vermissen.

In ihrem Zimmer, welches gleichzeitig Arbeits- und Schlafzimmer darstellte, schaltete sie den Computer ein. Während dieser hochfuhr läutete das Telefon. Isas Herz sprang vor Freude. Vielleicht rufen die Kinder an!

„Achentaler!“, sang sie in den Hörer.

„Grüß dich Isar! Ich bin`s Traudl! Stör ich?“

„Öh, ne, du störst nicht!“, versicherte Isa, und bat sie zum igsten Mal, sie doch nicht immer mit dem Fluss ihrer Heimat zu benennen.

„Ach, reg dich ab! Die Isar ist doch wunderschön. Wohnst doch selbst an ihr! Nimm es als Kompliment!“ Isa wusste zwar nicht was sie mit einem Fluss gemeinsam hatte, aber Traudl besaß besondere Ansichten. Sie plapperte auch gleich weiter.

„Du, Morgen, das klappt nicht mit unserem Treffen! Meine Mutter ist gestürzt und liegt jetzt in der Klinik. Diesmal hat sie ihren persönlichen Wettkampf mit den Krücken verloren.“

„Was ist denn passiert?“

„Mei, einfach nur deppert! Ohne Gehhilfen ist sie die Stufen in den Garten hinunter gestolpert und hat sich einen Oberschenkelhalsbruch zugelegt. Tja, jetzt haben wir den Salat!“

„Oje, das tut mir aber leid! Dann sehen wir uns ein anderes Mal!“, bedauerte Isa die Absage. Es schmerzte sie, weil jetzt auch noch die Freundin keine Zeit für sie übrig hatte.

„Richte deiner Mutter gute Besserung aus!“ Isa bemühte sich klar und deutlich zu sprechen.

„Ja danke, des werd schon wieder! Aber das Zweitschlimmste ist, ich muss mich um ihren Hund kümmern. Sie würde es mir nie verzeihen, wenn ich ihn ins Tierheim gäbe!“

„Ach, ich wusste gar nicht, dass sie einen Hund hat! Was ist das denn für einer? Es wird ja nicht gerade ein Dobermann sein, oder doch?“ Bei dieser Familie konnte man nie wissen.

„Iwo, der Hubertus ist ein Rauhaardackel älteren Semesters. Meine Kinder lieben ihn. Trotzdem wird die ganze Arbeit an mir hängen bleiben, das sehe ich schon kommen!“, klagte Traudl.

„Also, wenn du Hilfe brauchst, ich bin für dich da! Übers Wochenende sind sowieso alle ausgeflogen. Wenn was ist, melde dich, okay?“

„Ja, das ist gut zu wissen!“, bedankte sich Traudl und legte auf.

Der Cursor blinkte geduldig auf dem Bildschirm.

„Was soll ich nur schreiben…, und vor allem, wie fange ich an?“ Wie gelähmt saß Isa vor dem PC. Neben der Tastatur lag der kleine Zeitungsausschnitt. Sie las ihn nochmals durch und dann legten die Finger los:

Grüß Gott, lieber Unbekannter, irgendwie spricht mich Ihre Kontaktanzeige in der Süddeutschen an. Ich tue so was zum ersten Mal. Mein Name ist Isabella und ich bin 36 Jahre alt. Ein Bild möchte ich noch nicht beifügen, denn ich weiß ja auch nicht wie Sie aussehen. Aber vielleicht reicht Ihnen folgende Beschreibung. Meine pechschwarzen Haare lasse ich seit der Geburt meiner Zwillingstöchter kurz schneiden – das unterstreicht meinen sportlichen Typ. Bei einer Größe von 175 cm bringe ich 58 Kilo auf die Waage. Also über meine Figur kann ich nicht klagen. Viele glauben ich stamme aus Südeuropa, wenn da nicht die stahlblauen Augen wären, die ich von meinem Großvater geerbt habe. Zu meinen Hobbys zählen Joggen, Bogenschießen und Kochen. Ich verwöhne gerne und freue mich über Gäste im Haus.

Nun, warum schreibe ich Ihnen? Ich wünsche mir einfach einen neuen Kontakt, der mir frischen Wind ins Leben bringt!

Wenn Isa in diesem Moment geahnt hätte, welchen Sturm sie mit diesem Brief auslösen würde, hätte sie keine einzige Silbe an diesen Mann verschwendet. Aber die Frustration trieb sie an.

Sie äußern keine konkreten Vorstellungen, wie eine Frau zu sein hat, und genau deshalb möchte ich auf Ihre Anzeige antworten. Ich bin neugierig und würde mich über eine Antwort freuen. Bitte nutzen Sie meine Handynummer oder Emailadresse.

Mit freundlichen Grüßen. Isabella!

„So, das reicht!“ Zig mal hatte sie den Text geändert und versuchte locker zu schreiben. „Na ja, der meldet sich eh nicht! Ich muss ja verrückt sein!“ Isa speicherte die Worddatei und schaltete den PC aus. Dann torkelte sie ins Bad. Die Flasche Rotwein entfaltete sich vollends in ihrem Denken und der Motorik. Der Alkohol durchströmte mit voller Fahrt alle Körperzellen. Im Prinzip verabscheute sie betrunkene Menschen. Aber heute verzieh sie sich den Absturz.

Der Radiowecker zeigte 22.35 Uhr, als sie die Bettdecke bis ans Kinn zog. Es wäre wohl zu viel verlangt, auf einen Anruf des Gatten oder der Kids gehofft zu haben. Mit der Frage, was sie in all den Jahren hätte besser machen können, schlief sie ein.

Drei Stunden später schreckte sie aus einem Traum hoch. Auf dem Weg in die Küche, um den quälenden Durst zu löschen, kreisten verschwommen die Traumbilder in ihrem Kopf umher. Sie sah Josef nackt mit seiner Erpel-Krawatte erdrosselt daliegen. Um ihn herum wälzten sich nackte Paare und bemerkten den Toten gar nicht. Aber das Schlimmste war, dass sie über ihm kniete und die Krawatte in den Händen hielt.

„Puh!“, stieß sie vor dem Kühlschrank aus. „Was war das nur für ein Fusel, den ich getrunken habe – das ist ja mörderisch!“ Sie setzte die Wasserflasche so gierig an den Mund, dass ein Rinnsal seitlich die Wange hinunter lief. Den Rest wischte sie über die Backe weg und trottete barfuß ins Schlafzimmer zurück. Isa versuchte erneut Nachtruhe zu finden, und es gelang ihr auch gedanklich niemanden mehr umzubringen.

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