Читать книгу Frankreich - Jürgen Schmude - Страница 12

1.2 Politisches System und administrative Gliederung 1.2.1 Politisches System: Semi-präsidentielle Demokratie

Оглавление

Das politische System Frankreichs ist das Ergebnis eines langen Entwicklungsprozesses, an dessen vorläufigem Ende die Fünfte Republik steht (vgl. Tab. 1.1). Es ist in seinen Grundzügen weiterhin zentralistisch organisiert. Seit Inkrafttreten der Verfassung der Fünften Republik im Jahr 1958, die per Volksabstimmung mit einer großen Mehrheit von 79 % bei 85 % Wahlbeteiligung angenommen wird, kommt dem Staatspräsidenten (Président de la République) eine zentrale Bedeutung zu. Die Fünfte Republik ist eine Kombination aus parlamentarischer und präsidentieller Demokratie und wird daher auch als semipräsidentiell bezeichnet (vgl. Bahro et al. 1996). Seit der Verfassungsreform im Jahr 1962 wird der Staatspräsident direkt vom Volk gewählt und kann maximal zwei aufeinanderfolgende Amtsperioden ausüben. Im Vergleich zu anderen demokratischen Regierungssystemen stehen dem Staatspräsidenten eine Reihe außergewöhnlicher Machtbefugnisse zu. So ist er kraft seines Amtes u.a. befugt

▪ die Nationalversammlung aufzulösen,

▪ die Ernennung bzw. Entlassung des Premierministers vorzunehmen,

▪ ein suspensives Veto gegen Parlamentsbeschlüsse einzulegen,

▪ Volksentscheide durchzuführen,

▪ Sondervollmachten im Notstandsfall zu beanspruchen.

Zudem hat der Staatspräsident den Oberbefehl über die Armee inne, führt den Vorsitz im Ministerrat, ist dem Parlament gegenüber nicht verantwortlich und kann – außer bei Hochverrat – nicht abgesetzt werden.

Die starke Stellung der Staatspräsidenten der Fünften Republik geht auf Charles de Gaulle zurück, dessen Handschrift die Verfassung trägt. Hintergrund der Machtkonzentration auf den Staatspräsidenten sind die Erfahrungen seit 1789: Das Land hat nach der Französischen Revolution bis zum Ende der Vierten Republik (1958) durchschnittlich alle acht Monate eine neue Regierung und insgesamt 16 Verfassungen. Insbesondere die Staatspräsidenten der Dritten und Vierten Republik haben eine äußerst schwache Stellung. Allein zwischen 1946 und 1958 (Vierte Republik) sind 25 verschiedene Regierungen im Amt (vgl. Pletsch 2003: 330f.). Die Konzentration der Machtbefugnisse auf den Staatspräsidenten in der Verfassung der Fünften Republik führt offensichtlich zum gewünschten Effekt, denn seit dem Jahr 1958 gibt es bis zum Jahr 2016 lediglich sieben Staatspräsidenten (vgl. Tab. 1.4) mit z.T. zwei Amtsperioden.

Definition Zentralismus

Zentralismus bezeichnet

1) eine politische Ordnung, die auf eine zentrale staatliche Instanz ausgerichtet ist, d.h. alle Machtbefugnisse sind an (auch geographisch gesehen) einem Ort bzw. in einer Person konzentriert (z.B. im Absolutismus),

2) eine politische Organisation (Partei, Verband, Bewegung), die von einer (alles) dominierenden Zentrale aus geführt wird (z.B. Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SED in der DDR) und

3) Bestrebungen, alle politischen Kompetenzen auf der obersten staatlichen Ebene zu konzentrieren.

Quelle: Schubert/Klein, 2016


Abb. 1.4 Regierungssystem Frankreichs (Stand: 2016)

Wie mächtig der Staatspräsident ist, zeigt die Tatsache, dass er nach der Verfassung den Premierminister nur nach dessen Rücktrittsgesuch entlassen kann, de facto die Mehrzahl der bisherigen Rücktritte von Premierministern in der Fünften Republik jedoch auf Druck des Staatspräsidenten zurückgehen. Dies ist verständlich, denn auch das politische Überleben des Staatspräsidenten, d.h. seine eventuelle Wiederwahl, ist nicht zuletzt von einer erfolgreichen Regierungsarbeit abhängig. Entsprechend gibt es in der Fünften Republik unter den bisher amtierenden sieben Staatspräsidenten mit zusammen zehn Amtsperioden insgesamt 21 Premierminister, die wiederum durch Kabinettsumbildungen 38 Regierungskabinetten vorstehen, d.h. die durchschnittliche Regierungszeit beträgt rund 1,5 Jahre.

Die Stärke des Staatspräsidenten ist insbesondere in den Zeiten von Bedeutung, in denen Staatspräsident und Parlamentsmehrheit nicht dem gleichen politischen Lager angehören. Eine solche Konstellation der cohabitation gibt es mehrfach, insbesondere in den 1980er und 1990er Jahren (vgl. Tab. 1.5). Allerdings ist diese Konstellation seit dem Jahr 2002 unwahrscheinlicher, da die Amtszeiten von Parlament und Staatspräsident mittlerweile auf fünf Jahre (quinquennat) angeglichen sind (zuvor wird der Staatspräsident auf sieben Jahre (septennat) gewählt. Zudem erfolgen seitdem die Parlamentswahlen zeitlich unmittelbar auf die Wahl des Staatspräsidenten und die politischen Mehrheitsverhältnisse, die sich bei der Wahl des Staatspräsidenten zeigen, gelten bisher auch bei den anschließenden Parlamentswahlen.

Tab. 1.4 Staatspräsidenten der Fünften Republik und ihre Amtsperioden (ohne Interimspräsidenten) (Stand: Mai 2017)


Tab. 1.5 Perioden der cohabitation: Staatspräsidenten und Premierminister


Die Regierung (gouvernement) setzt sich aus dem Premierminister, den Ministern und den zu Regierungsmitgliedern ernannten Staatssekretären zusammen. Sie bilden zusammen den Ministerrat (conseil de ministres), dem der Staatspräsident vorsteht. Der Premierminister wird nicht vom Parlament gewählt, sondern vom Staatspräsidenten ernannt, der hierbei an keine Parteibeschlüsse oder Koalitionsabsprachen gebunden ist. Durchaus in eigenem Interesse muss der Staatspräsident aber darauf achten, dass der Premierminister im Parlament eine Mehrheit hat.

Während die Exekutive durch Staatspräsident und Regierung ausgeübt wird, ist das Parlament die legislative Kraft. Es besteht aus zwei Kammern (vgl. Abb. 1.4): Der Nationalversammlung (assemblée nationale), der im Jahr 2015 insgesamt 577 Abgeordneten angehören (davon 19 aus den Überseedépartements, 10 aus den weiteren Überseegebieten und 11 für Auslandsfranzosen), und dem Senat (sénat) mit 348 Senatoren (davon 13 aus den Überseedépartements, 8 aus den weiteren Überseegebieten und 6 für Auslandsfranzosen) (vgl. Assemblée Nationale 2016 und Sénat.fr 2016). Die Mitglieder der ersten Kammer, der Nationalversammlung, werden für die Dauer von fünf Jahren direkt gewählt. Die Wahl wird nach dem Mehrheitswahlrecht (scrutin majoritaire uninominal) mit zwei Wahlgängen durchgeführt. Die Mitglieder der Nationalversammlung üben häufig weitere Ämter aus: als Bürgermeister, als Mitglied im Regionalparlament einer Region oder eines Départements. Die Nationalversammlung hat legislative Aufgaben, die für den Gesetzgebungsbereich in § 34 der Verfassung festgelegt sind (u.a. Erhebung von Steuern, Haushaltsrecht, Verwaltung der Gebietskörperschaften, Zuständigkeit für das Unterrichtswesen oder das Arbeitsrecht). Für alle anderen Gesetzgebungsbereiche sind Regierung und Staatspräsident direkt zuständig. Die Kompetenzen und Zuständigkeiten der Nationalversammlung treten deutlich hinter jene von Regierung und Staatspräsident zurück. Hierdurch werden die Positionen insbesondere des Staatspräsidenten aber auch der Regierung gegenüber dem Parlament gestärkt, was den Erfahrungen aus der Zeit der Dritten und Vierten Republik geschuldet ist.

Der Senat als zweite Kammer des Parlaments ist die Vertretung der Gebietskörperschaften. Er wird alle drei Jahre zur Hälfte neu gewählt. Die Amtsperiode eines Mitglieds beträgt seit dem Jahr 2001 insgesamt sechs Jahre (zuvor neun Jahre). Die Wahl wird indirekt vorgenommen und die Zusammensetzung der insgesamt rund 150.000 Wahlmänner erfolgt nach einem bestimmten Schlüssel aus Abgeordneten bzw. Delegierten der Regional- und Départmentparlamente sowie der Gemeinderäte. Die Wahlmänner der bevölkerungsärmeren, ländlichen Gebiete sind aufgrund des Schlüssels überrepräsentiert. Aus diesem Grunde ist der Senat in der Regel konservativer als die Nationalversammlung (vgl. Pletsch 2003: 333f.). Dies ist durchaus verständlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass die überwiegende Zahl der Gemeinden ländliche Kommunen mit weniger als 2000 Einwohnern sind. Auch der Senat ist an Gesetzgebungsverfahren beteiligt, kann aber durch die Nationalversammlung überstimmt werden. Bei Verfassungsänderungen ist der Senat gleichberechtigt zur Nationalversammlung beteiligt. Die Kontrollmöglichkeiten des Senats gegenüber der Regierung sind schwach und er hat keine Sanktionsmöglichkeiten. Dies führt immer wieder zur Frage der Existenzberechtigung dieser Kammer.

Schließlich kommt dem Verfassungsrat (conseil constitutionnel) eine wichtige Funktion zu. Die Mitglieder dieses mit neun Richtern besetzten Gremiums werden zu je einem Drittel vom Staatspräsidenten, der Nationalversammlung und dem Senat berufen. Außerdem sind alle ehemaligen Staatspräsidenten Mitglied des Verfassungsrates, sofern sie keine anderen Ämter innehaben, die damit nicht vereinbar sind (z.B. Parlamentsabgeordneter oder Präsident eines Regionalparlaments). Im Jahr 2016 nehmen daher die ehemaligen Staatspräsidenten Valérie Giscard d’Estaing, Jacques Chirac und Nicolas Sarkozy nicht an Sitzungen des Verfassungsrates teil. Die neun ernannten Mitglieder werden alle drei Jahre zu je einem Drittel ausgetauscht. Der Verfassungsrat entscheidet über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen, Präsidentschafts- und Parlamentswahlen sowie von Referenden. Wichtige Entscheidungen der letzten Jahre sind z.B. die Ablehnung (Dezember 2012) bzw. Genehmigung (Dezember 2013) der sog. Reichensteuer (Steuersatz bis 75 % auf Einkommen über eine Million Euro; von der Regierung unter Premierminister Manuel Valls zum 1.1.2015 wieder abgeschafft), die Genehmigung des Gesetzes zur Legalisierung der Ehe von gleichgeschlechtlichen Paaren (2013) oder die Genehmigung des Ausnahmezustandes (2016) nach den Anschlägen von Paris im November 2015.

Frankreich

Подняться наверх