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Mona Lisa auf Reisen – die Evakuierung des Louvre

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Vieles geriet untergründig in Bewegung in diesem Jahr 1939, manches Ereignis gewann doppelten Boden. Die Leihgaben, die im Herbst 1938 aus London an die Seine gekommen waren, dienten nicht nur dem künstlerischen Austausch. Sie waren auch ein Akt der Solidarität sowie ein Vertrauensbeweises: Selbst wenn Hitler immer lauter zeterte, die Briten überließen den Franzosen ihre Kunstschätze weiterhin. Sie wussten sie in Paris in guten Händen, so die Botschaft. Freilich verlief der gesamte Akt nicht ohne Vorsichtsmaßnahmen. Als König Georg VI. und Königin Elisabeth die Ausstellung im Juli besuchten, war für den Ernstfall längst alles vorbereitet. Im Louvre war unter dem Infantinnengarten bereits ein Luftschutzraum angelegt.

Das Direktorium des französischen Nationalmuseums war freilich seit Längerem alarmiert. Die Kunsthistoriker hatten schon erste Pläne für die Evakuierung der Kunstwerke im Louvre und in anderen Museen entworfen. Hitler, ahnten sie, war alles zuzutrauen, auch die französischen Kunstschätze dürfte er im Zweifel bedenkenlos plündern. Als Donnerschlag nahmen sie den deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt, unterzeichnet am 24. August 1939 von dem deutschen Außenminister Joachim von Ribbentrop und dem sowjetischen Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten Wjatscheslaw Molotow. Anwesend ebenfalls bei der Zeremonie: Josef Stalin. Nun, ahnte man (auch) im Louvre, war alles möglich. Die Direktion entschied sich, das Museum für drei Tage zu schließen – die Sicherheit der Kunstwerke hatte Vorrang vor allem anderen.

Als eines der ersten Kunstwerke war bereits Ende September 1938 Leonardo da Vincis Mona Lisa aus Paris geschafft worden. Das Gemälde erhielt eine neue Unterkunft im Schloss Chambord an der Loire, das während der Monate vor Ausbruch des Krieges zur nationalen Drehscheibe für bedrohte Kunstwerke wurde. Unter der Regie des Journalisten Jaques Jaujard, stellvertretender Direktor der nationalen Museen Frankreichs, transportierten ab dem 29. August knapp 40 Konvois aus jeweils fünf bis acht LKWs die Kunstwerke aus dem Louvre. Einmal evakuiert, steuerten sie aus Chambord ihre nächsten Stationen an. Die Bestände anderer Museen wurden in benachbarte Schlösser gebracht. Die Depots des Musée Nissim de Camondo und des Museums von Versailles fanden sich im Schloss von Brissac wieder. Die Mona Lisa – französisch: La Joconde – kehrte nach einigen Wochen zwar noch einmal zurück in den Louvre, wurde dann aber aufs Neue in Sicherheit gebracht, aus Sorge um ihren Erhalt an immer anderen Orten: zunächst im Schloss Louvigny an dem Fluss Sarthe, dann in Montauban, später im ehemaligen Zisterzienserkloster Loc-Dieu in Okzitanien und schließlich im Schloss von Montal, auf halber Höhe zwischen Montauban und Limoges.

In den Tagen nach Unterzeichnung des Abkommens in Moskau nahmen die Rettungsaktionen dramatisch an Fahrt auf: Am 1. September 1939 – Deutschland überfiel an diesem Tag Polen und löste damit den Zweiten Weltkrieg aus – waren viele Kunstwerke, gelagert in rund 6000 Kisten, bereits aus der Hauptstadt gebracht, überwiegend in die Schlösser der Loire. Delacroix’ Hochzeit zu Kana ließ sich noch zusammenrollen; andere, Erdpech enthaltende Werke hingegen nicht. Täte man es, würde die Farbe absplittern. Das Floß der Medusa, erschaffen 1818/19 von Théodore Géricault, Die Küche der Engel, 1646 von Bartolomé Esteban Murillo gemalt, Bonaparte bei den Pestkranken von Jaffa, Antoine-Jean Gros’ Meisterwerk aus dem Jahr 1804: Sie alle mussten in ihrer ganzen Länge und Breite transportiert werden. Ein gewaltiges Unternehmen, erinnerte sich Georges Salles, damals einer der Chef-Konservatoren des Louvre:

»Beim Transport gab es viele Zwischenfälle. Der erste Stopp ergibt sich am Viaduct von Passy, dessen Bogen nicht hoch genug ist, um die Fahrzeuge weiterfahren zu lassen: Ein Umweg ist nötig. Ein zweiter Halt am Viadukt von Auteuil, der dann aber durchquert wird. In Versailles eine neue Komplikation: die Drähte der Straßenbahn bilden ein undurchdringliches Netz. Ein Elektriker-Team wird herbeigerufen, um einen Weg zu bahnen: Es begleitet das unglückliche Floß bis zum Hafen.«33

Die Pastellzeichnungen hingegen verblieben in Paris: Ihre extreme Zerbrechlichkeit ließ einen längeren Transport nicht zu. So wurden sie in den Kellergeschossen der Banque de France untergebracht, ein Ort, der sie im Fall des Falles auch vor Bombenangriffen schützen sollte.

Doch die Zeit drängte. Am Tag des deutschen Angriffs auf Polen befanden sich immer noch viele – zu viele – Kunstwerke im Louvre. »Der bisherige Geschwindigkeitsrekord musste geschlagen werden«, berichtete Salles später.

»Wir konnten nicht mehr daran denken, alles in Kisten zu verpacken. Dazu fehlte das Material, und zugleich drängte die Zeit. Im Hof werden die Umzugswagen zusammengezogen. Das Herz wird schwer beim Anblick der an die steinerne Balustrade gelehnten Kunstwerke, die sich nun auf den Weg machen werden. Unter direktem Tageslicht, aus dem Rahmen genommen auf den Rücken, teils aber auch auf den Bauch gelegt, nehmen sie das elende, erbarmungswürdige Aussehen von Bildern an, die man dem Trödler verkauft. Eines nach dem anderen werden sie in die gepolsterten Laderäume der LKWs gebracht, wo sie der Größe nach geordnet, durch Kissen voneinander getrennt und dann auf den Weg zum Bahnhof gebracht werden.«34

Auch anderswo wurden Ende August Kunstwerke auf den Krieg vorbereitet. Die Schutzmaßnahmen setzten der Umgebung ästhetisch hart zu. Die berühmten Pferde von Marly, verteilt auf Skulpturen, die sich damals am Eingang zu den Champs-Élysées befanden, wurden durch dicke Sandsäcke verdeckt. Ebenso verschwanden die Statuen an der Place de la Concorde, an der Place des Victoires, am Pont Neuf sowie eine Reihe anderer Monumente hinter hohen, aus Sandsäcken gestapelten Schutzwällen. Vom Obelisken auf der Place de la Concorde war bald nur noch die Spitze zu sehen. Gewiss, der Schutz war letztlich dürftig, aber vielleicht, so die Hoffnung, bewahrte er die Kunstwerke im Falle eines Luftangriffs wenigstens vor den gröbsten Schäden. Auch die großen Fenster der Kirchen und Kathedralen wurden aus ihren Rahmen genommen und in Schutzräume außerhalb der Städte gebracht. Die Arbeiten fanden in Rekordzeit statt: In wenigen Tagen wurden 5500 mittelalterliche Glasplatten nach Chartres gebracht. Insgesamt waren nach einer Woche 20.000 Quadratmeter Glas in 8000 Kisten verpackt worden. Ebenso fanden die wichtigsten Manuskripte in der Provinz eine neue Unterkunft, den Bomben der Nazis ebenso entzogen wie ihrem Sinn für Kunstraub.

Dass es zu Angriffen nicht kommen möge, diese Hoffnung hegten die Franzosen bis zuletzt. Dass sich die Hoffnung kaum mehr begründen ließ, war ihnen ebenfalls klar. Am 23. August dann – Ribbentrop hatte sich zum Entsetzen Europas mit Stalin auf den Nichtangriffspakt geeinigt – stand die Entscheidung: Greift Deutschland Polen an, wird Frankreich dem Aggressor den Krieg erklären. Am 26. August versuchte Daladier, Hitler noch ein letztes Mal umzustimmen. Nichts stehe dem Versuch entgegen, die internationale Krise noch im Geiste »der Ehre und Würde aller Völker zu lösen.«35 Frankreich stehe zwar zu der Garantieerklärung, die es zusammen mit Großbritannien Polen Ende März 1939 gegeben habe. Man hoffe aber, dass sich die Krise mit friedlichen Mitteln lösen lasse.

»In einer so schweren Stunde glaube ich in aller Aufrichtigkeit, dass kein Mensch, der ein Herz hat, nicht verstehen könnte, dass ein Zerstörungskrieg beginnen könnte, ohne dass zwischen Deutschland und Polen ein letzter Versuch eines friedlichen Arrangements stattfindet. … Sie wissen ebenso gut wie ich, welchen Schrecken das Bewusstsein der Völker auf immer von dem Desaster des Krieges hat, ganz gleich, worum es in diesem geht. Wenn das französische und das deutsche Blut noch einmal fließen wie vor 25 Jahren, wird der Sieg mit größter Wahrscheinlichkeit einer der Zerstörung und Barbarei sein.«

Ebenso wandte sich Daladier an diesem Tag über das Radio auch an seine Landsleute. Über fünf Millionen Haushalte verfügten inzwischen über ein Empfangsgerät – ihre Botschaften, konnte die Regierung annehmen, verbreiteten sich schnell und auf breiter Fläche. Frankreich habe kaum eine Wahl, wandte sich der Premier an die Bevölkerung. »Wenn wir es zuließen, dass diese Völker eines nach dem anderen untergehen, nachdem wir unser Wort verweigert haben, dann stünden wir ohne Ehre da, während sich absehbar alle Versuche, Europa zu beherrschen, gegen unser Land richten würden.«36

Hitler beeindruckten die Warnungen und Bitten wenig: Am 1. September 1939 löste er durch den Überfall auf Polen den Zweiten Weltkrieg aus. Die Franzosen mussten einsehen, dass die Appeasement-Politik, dass aller guter Wille und alle Geduld vergeblich waren. »In Polen bekämpft man sich seit heute morgen«, notierte der Schriftsteller und Rechtsanwalt Maurice Garçon in sein Tagebuch. »Das Radio gibt die allgemeine Mobilisierung bekannt. Das Schlimmste ist wahr geworden.«37

Paris unterm Hakenkreuz

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